Deutschland diskutiert erneut Verbot der "Grauen Wölfe" nach rassistischen Gewaltexzessen in Belgien

Graue Wölfe Verbot in Deutschland

Deutschland erwägt ein Verbot der "Grauen Wölfe" seit Jahren. Die Organisation bleibt trotz der Forderungen aktiv. Das sind die Hintergründe.

Erneut wird in Deutschland über ein Verbot der "Grauen Wölfe" diskutiert. Die türkischen Ultranationalisten wurden 2017 von der Bundeszentrale für politische Bildung als größte rechtsextreme Organisation in Deutschland bezeichnet. Ihre Mitgliederzahl wurde damals auf 18.000 geschätzt.

Gewaltexzesse in Belgien: Auch in Deutschland möglich?

Anlass der aktuellen Verbotsdiskussion sind rassistische Gewaltexzesse in Belgien. Nach den Feierlichkeiten zum kurdischen Neujahrsfest Newroz kam es am 24. März in der Provinz Limburg zu Lynch-Angriffen türkischer Ultranationalisten auf eine kurdische Familie aus Syrien.

In der Stadt Löwen hatten rund 5.000 Kurden und Kurdinnen das Neujahrsfest Newroz gefeiert. 50 Kilometer weiter wurden Teilnehmer der Festlichkeiten, die mit kurdisch beflaggten Autos von dort zurückkehrten, von einem türkisch-nationalistischen Mob empfangen. Eine kurdische Familie aus dem türkisch besetzten Afrin konnte sich mit Kindern und Freunden in ihr Haus flüchten.

Das Haus wurde jedoch von dem Mob unter islamistischen Tekbir-Rufen und dem Wolfsgruß der türkischen faschistischen Organisation "Graue Wölfe" angegriffen und beinahe in Brand gesetzt. Dabei wurden mindestens sechs Kurden zum Teil schwer verletzt. Die Angriffe nationalistischer Türken auf überwiegend aus Nordsyrien geflüchtete Menschen dauerten noch mehrere Tage an.

Täter-Opfer-Umkehr: Die Schuldzuweisung der Bürgermeister

Der Vize-Bürgermeister des betroffenen Ortes Heusden-Zolder, Yasin Gül, "der selbst 2019 wegen seiner Nähe zur türkisch-faschistischen Bewegung der Grauen Wölfe aus der flämischen Christdemokratie (CD&V) ausgeschlossen worden war"1, beschuldigte die Opfer, sie hätten mit kurdischen Flaggen die türkischstämmige Bevölkerung provoziert: "Natürlich sind die nationalen und religiösen Empfindlichkeiten in dieser Region sehr hoch. Deshalb konnten unsere Bürger angesichts einer solchen Provokation nicht schweigen", rechtfertigte Gül die pogromartigen Ausschreitungen auf Kurden.2

Die Stimme der Opfer: Augenzeugen widersprechen

Auch der Bürgermeister von Houthalen-Helchteren, Alain Yzermans, machte die Opfer für die Angriffe der türkischen Nationalisten verantwortlich. Er behauptete, ein türkischer Jugendlicher, der gegen die zurückkehrenden Kurden protestiert habe, sei von den Kurden angegriffen worden, woraufhin hunderte Türken zu einem von Kurden bewohnten Haus gezogen seien.

Dagegen berichteten Augenzeugen, mehrere Gruppen in Houthalen-Helchteren und Heusden-Zolder hätten Autos mit Kurden gestoppt, die Insassen auf die Straße gezerrt und zusammengeschlagen. Von den Angreifern aufgenommene Videos, die diese selbst in den sozialen Netzwerken verbreiteten, bestätigen die Augenzeugenberichte: darin sind Männer zu sehen, die auf am Boden liegende Personen eintreten und dabei "Dreckskurden" und "PKK-Bastarde" rufen.

Andere Aufnahmen zeigen Faschisten, die Autos demolierten, die sie anhand von Kurdistan-Wimpeln und Schals in den Farben Grün, Rot und Gelb identifiziert hatten." In den Videos ist auch zu sehen, wie Angreifer den faschistischen Wolfsgruß zeigen.

Der Vorsitzende der Informationsstelle für antikurdischen Rassismus, Civan Akbulut, ist irritiert über die Äußerungen der Bürgermeister Gül und Yzermans, die die Schuld für die faschistischen Angriffe bei den Opfern suchten.

Spätes Eingreifen der Polizei verhindert Flammenhölle

Die belgische Polizei intervenierte erst sehr spät, setzte Wasserwerfer ein und konnte in letzter Minute verhindern, dass das Haus der syrisch-kurdischen Familie in Brand gesetzt wurde.

Kurdische Organisationen befürchten, dass türkische Konsulate in Belgien Druck auf die belgische Politik ausüben, um die von türkischen Faschisten ausgehenden Pogrome als Reaktion auf Provokationen von PKK-Anhängern zu framen.

Anders als in Deutschland gilt die PKK nach Urteilen des obersten belgischen Gerichts nicht als terroristisch, sondern wird als legitime Befreiungsbewegung eingestuft. Das ist der türkischen Regierung ein Dorn im Auge, die jede Kritik an ihr als PKK-Terrorpropaganda ahndet. Kurz vor den Angriffen hielt sich der türkische Außenminister und ehemalige Geheimdienstchef Hakan Fidan in Belgien zu Gesprächen auf. Die Vermutung liegt nahe, dass er versucht hat, die belgische Politik "auf Linie zu bringen".

Der kurdische Journalist Deniz Babir berichtet, dass Fidan auch die konservativ-nationalistische türkische Community in Belgien traf. Die Angriffe der türkischen Nationalisten könnten Teil einer orchestrierten Propaganda des türkischen Außenministers gewesen sein, vermuten daher kurdische Organisationen.

Medien und Propaganda: Die Rolle türkischer Berichterstattung

In den türkischen Medien wurden die Angriffe als Auseinandersetzung zwischen PKK-Sympathisanten und Türken dargestellt. Der türkische Nachrichtensender TRT berichtete beispielsweise, dass es sich bei den Betroffenen um kurdische Terrorsympathisanten gehandelt habe. Die Angriffe der türkischen Gruppen seien eine "Reaktion auf Provokationen" gewesen. Auf verschiedenen türkischsprachigen Kanälen wurden die Angreifer als "ehrenwerte Türken" gefeiert.

In Deutschland gab es einen Angriff auf das türkische Generalkonsulat in Hannover von rund 20 Personen, die nach Solidaritätsprotesten gegen die Angriffe auf die kurdische Bevölkerung mit Steinen und Eisenstangen Fensterscheiben des Konsulats beschädigt haben. In einer Mitteilung des türkischen Außenministeriums hieß es:

Nach dem Angriff wurden deutsche Beamte kontaktiert und daran erinnert, dass sie für die Sicherheit unserer Bürger und diplomatischen Vertretungen verantwortlich sind und dass Provokationen gegen die türkische Gemeinschaft in Europa nicht toleriert werden sollten. […] Wir erwarten von den betroffenen Ländern, dass sie keine Toleranz gegenüber den Aktionen der Anhänger der Terrororganisation zeigen und die Täter so schnell wie möglich vor Gericht stellen.

Wie die beiden belgischen Bürgermeister spricht auch das türkische Außenministerium von "Provokationen gegen die türkische Gemeinschaft in Europa" – auch hier wird die Täter-Opfer-Umkehr sichtbar.

Die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim wies darauf hin, dass es sich nicht um Ausschreitungen zwischen irgendwelchen Leuten handele, sondern die Kurden seien aus politischen Gründen angegriffen worden.

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