Deutschland in der Zange: Russische und ukrainische Desinformation nimmt zu

Bild: Lemberg Vector studio, Shutterstock.com

Bericht über Fakenews aus Moskau weist auf zunehmendes Problem hin. Aber was ist mit proukrainischer Propaganda? Ein Telepolis-Leitartikel.

Kein Impressum, keine Quellen, schlichte Botschaften: Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und das Investigativportal The Insider haben sich in einem umfassenden Bericht Phantomseiten gewidmet, die mutmaßlich gezielt aus Russland Propaganda für den Kreml verbreiten.

Es gehe darum, Angst und Zwietracht in westlichen Gesellschaften zu sähen, so die These des Artikels "So manipulieren Moskaus Agenten die deutsche Debatte über den Ukrainekrieg", am dem fünf Journalisten mitgewirkt haben. Insbesondere Deutschland stehe im Visier, schreiben sie.

Propaganda hat massiv zugenommen

Tatsächlich hat die Propaganda aus Russland seit der Invasion in der Ukraine massiv zugenommen. Diese Entwicklung beschäftigt zunehmend auch die deutsche und europäische Politik. Das Bild ist allerdings unvollständig: Zunehmend wird in der EU auch Propaganda aus der Ukraine verbreitet. Hier auch im Visier: Medien und hochrangige Politiker.

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Russische Einflusskampagnen nutzen laut des Berichts des Spiegels und von The Insider manipulative Internetseiten ohne Impressum und Herkunftsangabe, um Kreml-konforme Narrative zu verbreiten. Zusätzlich würden Hunderttausende Fake-Accounts auf sozialen Medien eingesetzt, um die Propaganda weiter zu streuen.

Ressentiments gegen ukrainische Flüchtlinge

Die Artikel auf diesen Seiten zielen darauf ab, polarisierende Positionen zu verstärken und das Vertrauen in Institutionen zu untergraben. Besonders auffällig seien die Versuche, Ressentiments gegen ukrainische Flüchtlinge zu schüren, indem behauptet wird, sie würden den deutschen Wohlstand gefährden und die Sozialsysteme überlasten.

Beide Medien berufen sich auf ein Datenleck beim russischen Auslandsgeheimdienst SWR. Die so erhaltenen Informationen gebe tiefe Einblicke in die Vorgehensweise und Ziele der Hinterleute.

Erzeugen von Angst in Bevölkerung

Die Dokumente offenbarten, dass das Erzeugen von Angst in der Bevölkerung Europas als neues "Leitmotiv" der russischen Bemühungen gelte. Die Informationen und Grundlagen des Berichts konnten nicht überprüft werden. Dazu heißt es beim Spiegel, man habe die …

… Geheimdienstunterlagen, die aus einer Cyberattacke kremlkritischer russischer Hacktivisten stammen und der Redaktion zugespielt wurden, geprüft und zudem von Experten bewerten lassen. Sie halten die Inhalte für plausibel. Die Beteiligten, deren Daten und weitere Angaben ließen sich unabhängig verifizieren. Die russische Botschaft in Berlin reagierte nicht auf eine Spiegel-Anfrage. Auch Kolessow äußerte sich nicht.

Der Bericht spielt damit auf Michail Kolessow an, einen russischen Agenten, der als Schlüsselfigur in der Koordination dieser Kampagnen bezeichnet wird. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass Russland die Konfrontation im Informationskrieg bisher als erfolglos ansieht und nun mit "kognitiven Attacken" und dem Schüren von "Panik und Horror" eine neue Richtung einschlägt.

Desinformationsdoktrin aus Moskau?

Die Geheimdienstunterlagen enthielten eine Art Desinformationsdoktrin. Sie legen nahe, dass Russland gezielt einen Keil zwischen die Ukraine und ihre Unterstützer treiben und westliche Gesellschaften spalten will. Es wird deutlich, dass die russischen Propagandisten versuchen, über die emotionale Ebene Einfluss zu nehmen, indem sie vor allem auf die Emotion Angst setzen, heißt es in dem Bericht weiter.

Neben den virtuellen Kampagnen sieht der Plan auch die Organisation von Massenprotesten in EU-Ländern vor. So sollen bis zu 100 Personen für Demonstrationen angeheuert und mit je 100 Euro entlohnt werden, um die Aktionen mit Fotos und Videos für spätere Internetkampagnen festzuhalten. Es habe bereits verdächtige Protestaktionen in verschiedenen europäischen Städten gegeben, die auf eine russische Beteiligung hindeuten könnten, hießt es vage.

Deutsche Behörden reagieren

Die deutschen Sicherheitsbehörden und das Bundesinnenministerium nehmen diese Entwicklungen ernst und haben eine Spezialeinheit zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation ins Leben gerufen.

Marcel Schliebs, ein Experte für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt, setze sich intensiv mit der Aufdeckung und Analyse russischer Einflusskampagnen auseinander. Er habe aufgezeigt, dass insbesondere die Bundesregierung in den Kampagnen als lachlässig gegenüber der eigenen Bevölkerung dargestellt wird.

Zahlreiche Programme auf EU-Ebene

Der Bericht macht deutlich: Das Problem der russischen Desinformation steht im Fokus medialer und politischer Aufmerksamkeit. Die EU-Kommission hat, wie es auf der Seite des Auswärtigen Amtes heißt, zahlreiche Initiativen zur Bekämpfung von Desinformation ergriffen.

Dazu zählt ein Aktionsplan gegen Desinformation von 2018, der die Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit wichtigen Akteuren wie Online-Plattformen, Journalisten und der Zivilgesellschaft fördert.

Ergänzt wurde dieser durch den Europäischen Aktionsplan für Demokratie von 2020, der Leitlinien für Online-Plattformen entwickelt. Zur Verbesserung der Erkennung von Desinformation wurde der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) mit mehr Fachpersonal und digitaler Infrastruktur gestärkt, einschließlich der Kampagne "EUvsDisinfo" der East StratCom Task Force.

Frühwarnsystem und 27 nationale Kontaktstellen

Ein Frühwarnsystem und 27 nationale Kontaktstellen wurden 2019 eingerichtet, um Desinformationskampagnen in Echtzeit zu erkennen. Der freiwillige Verhaltenskodex für Online-Plattformen von 2018, der 2022 verschärft wurde, verpflichtet Plattformen wie Google, Meta und TikTok, aktiv gegen Desinformation vorzugehen. Der dritte Bericht des Verhaltenskodex wurde im März 2024 veröffentlicht.

Die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) unterstützt unabhängige Faktenchecker seit Juni 2020. Schließlich ermöglicht der Digital Services Act, der am 17. Februar vollständig anwendbar wurde, eine schnellere Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der Nutzer umfassender; das entsprechende nationale Gesetz trat am 14. Mai 2024 in Kraft.

Propaganda aus der Ukraine nicht im Fokus

Kaum eine Rolle scheint bei all diesen Bemühungen die zunehmende Propaganda und Desinformation aus der Ukraine zu spielen. Dabei weisen entsprechende Angriffe, die der ukrainischen Seite zugeordnet werden können, erstaunliche Parallelen zu entsprechenden russischen Angriffen auf. Auch von dieser Seite sind sogenannte Phantomseiten ohne Impressum und Quellenangaben zu finden – auch sie oft mit offensichtlich falschen Informationen.

Ein solches Beispiel hatte Telepolis selbst Mitte Mai öffentlich gemacht. Unsere Redaktion war damals ins Visier einer proukrainischer Propagandaseite geraten, die Telepolis bezichtigte, Inhalten der prorussischen "Voice of Europe" veröffentlicht zu haben.

Telepolis hatte Fall öffentlich gemacht

Unsere Redaktion hatte den Fall damals auch publik gemacht, weil "Voice of Europe" in Tschechien verboten werden soll und im Visier von EU-Gremien steht.

So schwerwiegend die Vorwürfe waren, so haltlos waren sie. Ein Schaubild sollte angeblich ein Netzwerk zwischen verschiedenen Medien und "Voice of Europe" darstellen. Bei näherem Untersuchung stellte sich jedoch heraus, dass die zitierten Inhalte von Telepolis nicht von "Voice of Europe" stammten, sondern von Ted Snider, einem Kolumnisten der US-Seiten antiwar.com und Responsible Statecraft, der in einem Artikel für Telepolis aus externen Quellen wie Newsweek, Le Monde und France24 zitierte.

Reaktion und Qualitätsstandards von Telepolis

Telepolis selbst hatte im Zuge der Debatte um Voice of Europa schon Wochen zuvor den einzigen Link zu der russischen Seite aus einem seiner Artikel entfernt und auf seine Qualitätsstandards verweisen.

Die Angriffe auf Telepolis und der Umgang der Bundesregierung mit ähnlichen Fällen werfen Fragen bezüglich der Medienfreiheit und der Einflussnahme politischer Interessen auf. So blieb auch der Fall des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev, der Redakteure der Berliner Zeitung öffentlich kritisierte, blieb vonseiten der Bundesregierung unbeantwortet.

Zudem ist die Zuverlässigkeit von EU-eigenen "Faktencheckern" umstritten. In den Niederlanden hatte vor längerer Zeit schon das Portal euvsdisinfo.eu für Aufsehen gesorgt, als dortige Medien unvermittelt auf einer Liste vermeintlicher Fake-News-Verbreiter landeten. Später wurden diese Einträge wieder gelöscht, was die Glaubwürdigkeit des Portals unterminiert.

SPD-Mann Rolf Mützenich im Visier

Im Zuge der demokratischen Debatte um die Haltung zum Ukraine-Krieg sind längst aber auch führende Bundespolitiker ins Visier der Propaganda geraten. Im Telepolis-Podcast hat der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, vor diesem Hintergrund Kritik am Auswärtigen Amt geübt.

Im Gespräch mit dem Journalisten Dietmar Ringel nahm der SPD-Fraktionschef zu einer staatlichen ukrainischen Internetplattform Stellung, von der aus Medien und Journalisten wie der Leiter des ZDF-Büros in Moskau an den Pranger gestellt und teilweise bedroht worden waren. Auch Mützenich selbst fand sich auf einer schwarze Liste der Ukraine wieder.

Mützenich kritisiert Außenamt

Auf die Frage, ob die deutsche Politik gefordert wäre, sagte Mützenich:

Ja, in der Tat. Und ich hoffe, dem wird das Auswärtige Amt auch gerecht werden. Aber dafür bedarf es letztlich des politischen Willens. Mir ist allerdings nicht zur Kenntnis gelangt, dass für die Vorwürfe gegenüber deutschen Politikern oder Nichtregierungsorganisationen oder Medienvertretern auch mal ein Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter geführt wurde.

Andererseits müsse man auch sehen, dass die Ukraine überfallen worden sei und Tausende Tote zu beklagen habe. "Da kann es manchmal auch ein Übermaß an Kritik geben aus dieser Situation heraus", fügte der führende SPD-Politiker an.