Deutschland - überrollt, überfremdet, überfordert?!?

Seite 3: Die Periode großer Wirtschaftskrisen und der arbeitsmarktpolitischen Kehrtwende 1974-1988

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Im Oktober 1973 wurde anlässlich des Jom-Kippur-Krieges die erste Ölkrise ausgelöst. Die OPEC drosselte zielgerichtet die Fördermengen, um die westlichen Länder bezüglich ihrer Unterstützung Israels mittels drastischer Preissteigerungen unter Druck zu setzen. Diese Ölkrise - verbunden mit der (wegen des Vietnamkriegs) hohen Staatsverschuldung der USA - führte dort zur Stagflation. Alle Faktoren zusammen lösten dann auch in Deutschland in den Jahren 1973/74 eine schwere Rezession aus mit der Folge bis dato weitgehend unbekannter Erscheinungen wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und steigende Sozialausgaben.

Der Spiegel titelte damals: "Arbeitslose: 'So knüppeldick war's noch nie'". Der Spiegel berichtete von der Überlegung, zum Schutz der heimischen Bevölkerung eine Art Gastarbeiter-Steuer für Unternehmen einzuführen: Je Beschäftigten ohne deutschen Personalausweis monatlich 100 Mark, sonst 80 Mark Strafgebühr. Auf jeden Fall führte diese wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Problemlage dazu, dass die damalige Koalitionsregierung aus SPD/FDP noch im Jahr 1973 sämtliche Anwerbeabkommen kündigte.

Damit fand die Periode aktiv von Deutschland erwünschter und proaktiv gemanagter Zuwanderung ihr Ende. Während in der Folgezeit - wenn auch auf niedrigem Niveau - aus den zwischenzeitlich auf neun Mitgliedsstaaten angewachsenen EWG (DK, IE, GB) noch weitere Zuwanderung (und Abwanderung) stattfand, unterwarf Deutschland die Zuwanderung von Arbeitskräften aus nicht zur EWG gehörenden Ländern restriktiveren Regeln.

Der oben beschriebene, noch aus dem "Wirtschaftswunder" resultierende Überschuss an Zuwanderung im Jahr 1973 von rd. 340.000 schlug damit um in sein Gegenteil eines Überschusses der Fortzüge aus Deutschland. Der Wanderungssaldo sank 1974 auf minus 42.000 (- 89.806 EWG, + 38.511 Drittstaaten, + 9.424 Schutzsuchende; siehe Abb. 2). Auch in den nächsten drei Jahren verzeichnete der Gesamtwanderungssaldo weiter negative Vorzeichen. In den vier Krisenjahren 1974-77 verzeichneten sowohl die Wanderungsbewegungen aus dem Gebiet der neun EWG-Staaten (Abb. 2: blau) als auch aus Staaten außerhalb dieser Region (rot) einen negativen Saldo.

Abbildung 2

Fünf Jahre nach Beginn der (Ölpreis-)Krise kam es zu langsamer wirtschaftlicher Erholung. Der Wanderungssaldo erreichte 1978 zögerlich einen kleinen Überschuss von rd. 50.000 und dann in 1980 bereits wieder von rd. 245.000. Dieser von 1977 bis 1980 andauernde positive Wanderungsüberschuss verdankte sich aber nicht mehr ausschlaggebend einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung mit entsprechendem Zuzug von Arbeitskräften, sondern ist im Wesentlichen auf den Familiennachzug von hier verbliebenen Ausländern zurück zu führen. Denn viele der bis zur Krise eingewanderten ausländischen Arbeitskräfte unterließen aus Sorge, nicht mehr nach Deutschland zurückkehren zu können, eine (vorübergehende) Rückkehr in ihr Herkunftsland und versuchten stattdessen ihre Familien nach Deutschland zu holen.

Daneben spielte, wenn auch in geringerem Ausmaß, der Zuzug Schutzsuchender eine Rolle. Zwischen 1978-80 kamen u. a. 38.000 Kriegsflüchtlinge aus Vietnam und im Jahr 1980, dem Jahr des Militärputsches in der Türkei, mehr als 100.000 türkische Asylantragsteller nach Deutschland.

Bereits sechs Jahre nach der ersten Ölpreiskrise 1973 wurde Deutschland in den Jahren 1979/80 durch die zweite Öl-(preis)-Krise getroffen. Ausgelöst war sie im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung während des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak. Diese Zweite Ölkrise verursachte in den Jahren 1981/82 die bis dato schwerste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Schon 1982 sank der Wanderungssaldo Arbeitsuchender aus der nun formierten EG (GR, PT, ES) und den Drittstaaten auf minus 150.000. Lediglich bei den Schutzsuchenden stieg die Zahl auf rd. 37.000 (siehe Abb.2).

Da die Rezession im Jahr 1983 zu einer Arbeitslosigkeit von 15% der ausländischen Arbeitnehmer führte, forcierte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kohl deren Abwanderung durch das im selben Jahr beschlossene Rückkehrhilfegesetzes (10.500 DM je Staatsangehörigem zuzüglich 1.500 DM je Kind). Bereits 1982 hatte auch SPD-Fraktionschef Herbert Wehner gewarnt: "Wenn wir uns weiterhin einer Steuerung des Asylproblems versagen, dann werden wir eines Tages von den Wählern, auch unseren eigenen, weggefegt."

Dank der Rückkehrhilfen sank der Wanderungssaldo dann bis 1984 auf minus 214.000. Erst 1985 wurde wieder eine wenn auch geringe Netto-Zuwanderung von rd. 30.000 registriert. Diese ging aber ausschließlich auf den Zuzug von Schutzsuchenden zurück (+74.000). Die Wanderungssalden von Arbeitskräften aus EG und Drittstaaten lagen weiterhin im Minusbereich (-42.000). Im Jahr 1988 stieg der Wanderungssaldo dann aber auch aus wirtschaftlichen Gründen wieder deutlich ins Plus von rd. 290.000. Darauf entfielen rd. 185.000 Arbeitskräfte aus EG und Drittstaaten.

Betrachtet man diesen durch zwei Ölkrisen geprägten Gesamtzeitraum von 1974 bis 1988, so lag der gesamte Zuwanderungsüberschuss im Unterschied zu den 1,3 Mio. von 1953-1973 in diesen 15 Jahren bei lediglich rd. 240.000 Ausländern. Rd. 6,8 Mio. Personen zogen in dieser Zeit nach Deutschland und rd. 6,5 Mio. Personen zogen von dort wieder fort. Unter den 6,8 Mio. Zugezogenen befanden sich rd. 0,7 Mio. Schutzsuchende, das sind rd. 11% aller Zugezogenen.

Im Durchschnitt dieser 15 Jahre kamen rd. 48.000 Schutzsuchende per anno nach Deutschland. Gegenüber den jährlich im Mittel rd. 5.000 Schutzsuchenden in der Zeit 1950-1973 ist dies eine nicht unwesentliche Steigerung.