Die Achse Ankara-Moskau-Beijing formiert sich

Seite 3: Wirtschaftliche Umorientierung

Der Handel zwischen der Türkei und den SCO-Ländern wächst rasant. Das ist zu einem guten Teil auf die Sanktionen des Westens gegen viele SCO-Länder zurückzuführen. Die Türkei hat eine Zollunion mit der EU, die was das Land derzeit zu einem attraktiven Punkt macht, um Zölle oder Sanktionen zu umgehen.

Im Vorfeld des SCO-Gipfels wies der türkische Fernsehsender TRT World darauf hin, dass die türkischen Exporte in die SCO-Länder in den vergangenen fünf Jahren um 85 Prozent gestiegen sind. Machten sie 2019 erst 14,1 Milliarden US-Dollar aus, erreichten sie 2023 bereits 26,1 Milliarden US-Dollar.

Für die türkischen Importe gilt ähnliches: Auch die Einfuhren der Türkei aus den SCO-Mitgliedsländern erreichten im vergangenen Jahr 106,3 Mrd. USD und waren damit etwa doppelt so hoch wie die 55,6 Mrd. USD im Jahr 2019.

Noch liegt der Anteil der SCO-Staaten an den Gesamtexporten der Türkei im vergangenen Jahr bei nur 10 Prozent. Denn die EU ist der bei Weitem wichtigste Handelspartner Ankaras, auf den fast ein Drittel des Handels entfällt. Umgekehrt ist die Türkei mit einem Anteil von 3,6 Prozent am gesamten EU-Handel beteiligt. Aber Russland beliefert die Türkei mit fast der Hälfte ihres Erdgasbedarfes und einem Viertel ihrer Erdölimporte.

Chinesische Investitionen

Ankara bemüht sich intensiv und mit einigem Erfolg um ausländische Investitionen. Hier kommt China mit seinen enormen Finanzressourcen ins Spiel. So hat etwa das chinesische Automobilunternehmen BYD angekündigt, dass es im Westen der Türkei ein Werk im Wert von einer Milliarde US-Dollar plant.

Es ist anzunehmen, dass diese Fabrik weitere chinesische Investitionen nach sich ziehen wird. Die günstige Lage der Türkei könnte das Land zu einer "Produktionsdrehscheibe" machen, deren Schwerpunkt ‒ zumindest vorerst noch ‒ auf zollbefreiten Exporten in europäische Länder liegt.

Allerdings ist es noch ein weiter Weg, bis das Reich der Mitte in der Türkei mit Europa gleichziehen wird. 2022 beliefen sich die chinesischen Direktinvestitionen in der Türkei auf 1,7 Milliarden Dollar. Bisher steht die EU-27 immer noch für 59 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei.

Auch die Menschen wenden sich vom Westen ab

In vielerlei Hinsicht hat sich die türkische Öffentlichkeit inzwischen von der EU und den USA abgewandt und blickt eher nach Osten:

Eine im Dezember 2022 von der türkischen Firma Gezici durchgeführte Umfrage ergab, dass 72,8 Prozent gute Beziehungen zu Russland befürworten. Aber fast 90 Prozent sehen die Vereinigten Staaten als ein feindliches Land an.

Neuere Umfragen des Pew Research Center zum 75-jährigen Bestehen der Nato zeigen kein ganz so düsteres Bild, aber die Türken haben mit 42 Prozent immer noch die zweitniedrigste Zustimmungsrate zum Bündnis unter den Mitgliedern.

Die öffentliche Meinung in der Türkei ist mit überwältigender Mehrheit gegen Israel und die USA. Während des Nato-Gipfels sagte Erdoğan, die USA seien "mitschuldig" an israelischen Massakern.

Mit-uns-oder-gegen-uns-Politik

Die Lage ist prekär, denn Nato würde es wohl nicht dulden, dass die Türkei Mitglied der SCO ist. Es wäre nur allzu typisch für die westliche Mit-uns-oder-gegen-uns-Politik, zu versuchen, das Land dazu zu zwingen.

Umgekehrt versucht die Türkei mit einem neuen Gesetz, gegen "ausländische Interessen" vorzugehen. Nach Angaben von Turkish Minute drohen jedem drei bis sieben Jahre Gefängnis, der

im Auftrag oder im strategischen Interesse einer ausländischen Organisation oder eines Staates Nachforschungen über (türkische) Bürger und Institutionen mit dem Ziel durchführt oder anordnet, gegen die Sicherheit oder die politischen, inneren oder äußeren Interessen des Staates zu handeln.

Solche Gesetze werden zunehmend von Staaten erwogen oder beschlossen, die eine Einmischung des Westens in ihr Land fürchten, oft mit dem Ziel, farbige Revolutionen anzustiften. Doch es gibt keine Garantie dafür, dass die Türkei bedingungslos und auf ewig Mitglied der Nato bleibt.