Die Angst des Roboters beim Elfmeter

Seite 2: Emotionen als physiologische Anspannung

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Nicht nur Robotiker thematisieren Emotionen mehr und mehr. Neurobiologen und Kognitionswissenschaftler forschen schon lange über die biologische Notwendigkeit bzw. den Nutzen von Gefühlen, und auch über den Sitz derselben im menschlichen Gehirn. Heute, wo mit Hilfe von MRI (Magnetic Resonance Imaging) die Aktivierung von Gehirnarealen am Bildschirm verfolgt werden kann, ist es ein Leichtes, sich Experimente auszudenken, bei denen Hass- oder Liebeszentren erregt werden sollen (insofern es solche Zentren gibt). Fast jede Woche erfahren wir über neue "Sichtungen" von aktivierten Arealen bei den unterschiedlichsten Aufgaben. Emotionszentren werden dabei immer wieder ins Spiel gebracht, und auch wenn die Ergebnisse nicht immer vergleichbar sind, ja, obwohl sie sogar widersprüchlich sind, bieten sie einen ersten Einblick in die Verarbeitungsmaschinerie von Emotionen im menschlichen Gehirn.

Rein physiologisch gesehen, sind Emotionen chemische Vorgänge im Körper, d.h. Signalnetze. Bereits Pflanzen werfen chemische Signale in die Luft, um Nützlinge im Kampf gegen Schädlinge zu rekrutieren. Im Gehirn auch: Freude oder Angstzustände gehen Hand in Hand mit der Ausschüttung von Neuromodulatoren bzw. Hormonen, die erhöhte Aufmerksamkeit fordern oder den Körper auf die Flucht vorbereiten. Alle Federn werden chemisch angespannt und bereits ein kleiner Reiz kann als Auslöser wirken. Man kennt es vom Choleriker: Wenn das System einmal geladen ist, entlädt sich die Wut sehr schnell und praktisch unvermittelt.

Emotionen haben deswegen einen unmittelbaren physiologischen Nutzen. Droht Gefahr, ist es gut, sämtliche Reserven in Bewegung zu setzen, Adrenalin in die Blutbahn zu bringen und alle Muskeln anzuspannen. Geschieht dies dauernd, reden wir von Stress, der langfristig schädlich werden kann. Extreme Emotionen sind deswegen manchmal das allerletzte Mittel, um Gefahren auszuweichen oder ihnen zu begegnen.

Kurioserweise wird dieser Ansatz auch bei Maschinen verfolgt. Die Autoindustrie z.B. entwickelt sogenannte "pre-crash" Systeme, bei denen im Auto eingebaute Abstandssensoren eine mögliche Kollision innerhalb der nächsten zwei bis drei Sekunden erkennen und das Auto darauf "anspitzen". Dafür wird die Kraftverstärkung des Bremspedals angehoben, so dass bereits eine leichte Berührung des Fahrers ausreicht, um eine Vollbremsung einzuleiten. Damit wird wertvolle Zeit gespart, da die Elektronik das Auto eigentlich besser stoppen kann als der Fahrer selbst. Gleichzeitig bleibt die Verantwortung und Haftung beim Fahrer, da dieser ja selbst gebremst hat. Wenn man so will, hat sich das Auto "erschreckt" und reagiert beim Bremsvorgang empfindlicher.

Emotionen als Heuristik

Antonio Damasio ist der Neurobiologe, der vielleicht am intensivsten von Robotikern gelesen wird. Das liegt einerseits daran, dass seine Aufsätze dem allgemeinen Publikum zugänglich sind, aber auch daran, dass die Hauptthesen von "Descartes Error" besonders relevant für die Künstliche Intelligenz sind.5

Damasio postuliert in seinem Buch, dass es eine enge Verbindung zwischen Emotionen und Entscheidungen gibt. Personen, bei denen Gehirnareale geschädigt wurden, die Emotionen verarbeiten, scheinen nicht in der Lage zu sein, "ökonomisch" für sich vorteilhafte Entscheidungen treffen zu können. Bei Spielen, in denen sie die falsche Strategie verfolgen, sind sie z.B. nicht in der Lage, diese zu ändern - auch wenn sie im Spiel dafür mehrmals bestraft werden. Der eingegangene Verlust tut nicht weh und führt nicht zur Verhaltensänderung. Sie merken nicht, dass es günstigere Alternativen gibt.

Nach Damasios Urteil weisen Emotionen blitzschnell gewissen Entscheidungen eine Bewertung zu, bevor der deliberative Teil des Gehirns mit dem "number crunching" anfängt, d.h. mit der Abwägung aller möglichen Pros und Contras. Die Reduktion auf eine Handvoll möglicher Alternativen verhindert Unentschlossenheit. Man kennt es aus Experimenten im Supermarkt mit vielen Produkten: Dort, wo die Auswahl reichhaltiger ist, können sich die Kunden schwerer entscheiden und kaufen letztendlich weniger. Dies nennt man "choice overload".6

Fliegen kommen ohne Emotionen aus und gleichen Robotern. Bild: Amada44/gemeinfrei

In der KI-Forschung kennt man seit Jahrzehnten den Wert von Heuristiken. Aus Spaß redet man vom Beispiel des Roboters, der eine Bombe entschärfen soll, und regelmäßig daran scheitert, dass er zu lange überlegt. Auf der Suche nach dem optimalen Abschaltvorgang wird der gesamte Entscheidungsbaum im Computer mühsam durchschritten, weil der Roboter einfach keine Eile kennt. Emotionen könnte man deswegen als "shortcuts" für schnelle, obwohl suboptimale, Entscheidungen verstehen, die eine Reaktion in Echtzeit ermöglichen. Heuristiken liefern auch in vielen Fällen Lösungen, die nicht sehr weit vom Optimum liegen.7

Insekten brauchen dkeine Emotionen, weil sie fast wie Roboter aufgebaut sind, d.h. zum Teil rein reaktiv. Die Flugmuskeln einer Fliege haben z.B. eine direkte Verbindung zu den neuronalen Kreisen in den Augen, die den optischen Fluss verarbeiten.

Bewegt sich die Welt im linken Auge schneller als im rechten, dann befindet sich die Fliege näher zu Hindernissen links als zu Hindernissen rechts. Eine Drehung nach rechts wird dann direkt von dem Flugmuskel und ohne Intervention des Gehirns eingeleitet - und so bleibt die Fliege beim Fliegen im Tunnel wohlzentriert. Auch der Flugreflex der Fliege ist gut bekannt: Hält man eine Fliege mit einer Pinzette hoch, fängt diese sofort an, mit den Flügeln zu schlagen. Die Flugmuskulatur "weiß", dass in Abwesenheit von Bodenkontakt sofort das Fliegen "eingeschaltet" werden muss. Bei Insekten gibt es, wie man sieht, eine direkte und unmittelbare sensomotorische Kopplung. Insekten tun, was sie direkt messen, sie sind voll reaktive Systeme.

Je höher wir im Lebensreich aufsteigen, desto intelligenter werden die Tiere und desto weniger rein reaktiv ist ihr Verhalten. Der Prozess ist jedoch nicht binär, es gibt kein Schwarz oder Weiß. Von den Insekten zu den Reptilien, kleinen Säugetieren, Vögel und schließlich Primaten bietet sich ein Kontinuum an Intelligenz an - und parallel dazu eine graduelle Überlagerung des rein reaktiven mit dem deliberativen Verhalten.

Wir Menschen sind selbst Tiere und diese reaktive Historie haben wir in unserem Körper auch materialisiert vorgefunden. Ich rede dabei nicht von den basalen physiologischen Vorgängen, wie dem Herzschlag oder dem Atmen, Vorgänge, bei denen wir uns wie reine Automaten verhalten, sondern über höhere kognitive Leistungen. Sogar beim Sehen verhalten wir uns reaktiv: unsere Augen springen unwillkürlich da hin, wo sich etwas bewegt. Wir glauben, dort Gesichter zu sehen, wo es keine gibt, in Bäumen oder Wolken. Sämtliche optischen Illusionen beruhen darauf, dass wir nicht nur sehen, sondern dass unser Gehirn unbewusst immer etwas sehen will.