Die Aufgabe für das neue Jahrzehnt: Rechtsradikalismus bekämpfen

Kommentar: Besonnenheit ist angesagt

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Wir haben im kommenden Jahrzehnt viel zu tun, viele Aufgaben vor uns: Den CO2-Ausstoß eindämmen, was erfordert, dass wir alle uns einschränken; die Rente reformieren, um Altersarmut zu verhindern; den Arbeitsmarkt reformieren und den Dumpinglohnsektor abschaffen; keine Waffen mehr an Despoten liefern; den digitalen Wandel sozialverträglich gestalten; und so weiter.

Aber vor allem anderen steht der Kampf gegen den Rechtsextremismus. Auf allen Ebenen der Gesellschaft. Wir haben ein Jahrzehnt hinter uns, das mit Thilo Sarrazin als Wegbereiter rassistischer "Das wird man doch noch sagen dürfen"-Thesen begann und mit der Aufdeckung der NSU-Terroristen (und solange der Verfassungsschutz nicht bereit ist, die unzähligen offenen Fragen und Ungereimtheiten zu beantworten, solange er Akten für Jahrzehnte unter Verschluss halten will - solange müssen wir davon ausgehen, dass der Verfassungsschutz mindestens eine Mitschuld an diesen Morden trägt).

Es ging weiter mit der Gründung einer neuen Partei, die viel zu lange als 'rechtspopulistisch' verharmlost wurde und sich in Richtung rechtsradikal entwickelte, mit dem Einzug dieser Partei in sämtliche Landesparlamente und in den Bundestag - mithilfe von sechs Millionen Wählern (und nein, nicht jede demokratisch gewählte Partei ist eine demokratische Partei); mit einer Explosion rechtsradikaler und rassistisch motivierter Straftaten bis hin zum Mord an Walter Lübcke und dem Terroranschlag auf die Synagoge in Halle.

Es ist ein Jahrzehnt, das damit endet, dass der Intendant eines öffentlich-rechtlichen Senders vor einem rechtsradikalen Mob einknickt, anstatt seinen Leuten den Rücken zu stärken, während rechtsradikale Gruppen vor der Senderzentrale eine Demo abhalten.

Politik und Medien lassen sich von den Rechten treiben

Womit wir bei einem Kernproblem sind. Tage nach dem "Omagate" haben die Senderverantwortlichen noch immer nicht begriffen, dass die Empörungswelle eine konzertierte Aktion rechtsradikaler Gruppen war (die, das nur nebenbei, den Beitrag erst recht spät entdeckt haben, denn ursprünglich lief das Kinderlied bereits in einer Satiresendung vor mehreren Wochen - ohne dass sich irgendwer darüber aufgeregt hätte).

Die Kollegen von Spiegel Online haben recht gut aufgedröselt, wie es dem rechten Social-Media-Mob gelungen ist, das Thema hochzujazzen und wie schließlich einschlägige Gruppen vor dem Vierscheibenhaus in Köln aufmarschierten.

Inzwischen tut die rechte Szene, was sie am besten kann: Sie schickt Morddrohungen an WDR-Mitarbeiter - und Intendant Tom Buhrow gibt sich verwundert und entsetzt. Dabei hätte es viel Druck aus dem Kessel genommen, hätte er sich von Anfang an hinter seine Mitarbeiter gestellt.

Diejenigen, die sich künstlich über die satirische "Umweltsau" aufregen sind im Wesentlichen dieselben, die es für Meinungsfreiheit halten, Politikerinnen als "Drecksfotze" zu titulieren und die immer sofort zur Stelle sind, wenn es darum geht, allen Muslimen einen Mangel an Humor und Demokratiefähigkeit zu unterstellen, wenn deren Radikalinskis wegen Karikaturen durchdrehen (was in schöner Regelmäßigkeit belegt, dass Rechtsradikale und Islamisten derselbe Menschenschlag sind - siehe auch weiter unten).

Es sind dieselben Leute, die in Unkenntnis des Pressekodex fordern, man solle die Nationalität von Straftätern nennen - und die damit freilich nicht den Pass, sondern die Hautfarbe meinen. Wobei das natürlich, würde man es denn wirklich konsequent tun, für jene, die es fordern, ziemlich ungemütlich wäre, denn die mit gigantischem Abstand größte Gruppe unter allen Straftätern sind weiße Männer.

Wir erleben in den letzten Jahren, wie Politik und Medien sich von den Rechten treiben lassen.

Der unsägliche Flüchtlingsdeal mit Erdogan

Das fatalste Beispiel hierfür ist sicher der unsägliche Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Despoten Erdogan, dem man Milliarden gibt, damit er Geflüchtete an der Weiterreise in die EU hindert - oft genug auch mit Gewalt; der mit diesem Geld zur Zeit syrische Flüchtlinge in jene syrischen Gebiete umsiedelt, aus denen er (mit deutschen Waffen und islamistischen Söldnern) die kurdischen Einwohner vertrieben (oder ermordet) hat.

Dieser Deal ist eine Bankrotterklärung der europäischen Werte. Und der einzige Grund, aus dem er zustandekam, war, dass die Bundesregierung den rechten Hetzern nach 2015 erlaubt hat, mit Hass und Drohungen und Angriffen auf Menschen mit dunkler Hautfarbe die Agenda zu setzen.

Das Gegenteil wäre richtig gewesen: Den Radikalen den Wind aus den Segeln nehmen, indem man zu seiner Politik und zu seinen Werten steht; indem man darauf verweist, dass die "Krise" gar keine wäre, wenn alle EU-Mitglieder an einem Strang ziehen und Menschen aufnehmen würden. Zumindest langsam scheint ein Umdenken einzusetzen: Mehrere EU-Parlamentarier regen aktuell Strafen für jene Länder an, die sich querstellen. Und das ist der einzig richtige Weg. Wer EU-Mitglied sein, wer vom Staatenbund profitieren will, der muss seine Werte teilen.

Dasselbe gilt genauso für die Medien, für Journalisten, für uns alle: Wir müssen begreifen, dass (was inzwischen oft genug nachgewiesen wurde) gut organisierte rechte Gruppen das Internet instrumentalisieren, um den Eindruck zu erwecken, ihre hasserfüllten Positionen würden Mehrheiten repräsentieren. Es gilt, sehr genau hinzuschauen - wäre das beim WDR geschehen, hätte es das "Omagate" nie gegeben, die künstliche Empörung wäre in den Untiefen des Twitter- und Facebookrauschens verpufft.

Die Agenda an Besonnenheit ausrichten

Vor fünfzehn Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, seine Agenda an dauerempörten und deutlich angetrunkenen Stammtischen auszurichten - und es gibt auch heute keinen Grund dafür. Besonnenheit ist angesagt. Und eine klare Haltung. Bei rassistischen Positionen gibt es nicht zu diskutieren. Absolut nichts.

Kaum eine Woche vergeht ohne Skandale um rechtsradikale Umtriebe bei Bundeswehr und Polizei, und die Reaktion ist fast immer dieselbe: Die Höchststrafe sind Versetzungen. Leute, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, die teils faschistischen Gruppierungen nahestehen, das muss in aller Deutlichkeit klar sein, haben in Uniformen und Ämtern eines pluralistisch-demokratischen Staates nichts, aber auch gar nichts verloren. Wehrmachtslieder haben in der Bundeswehr nichts verloren, und wer sie singt, muss Konsequenzen spüren.

Beim Verfassungsschutz scheinen ganz langsam andere Zeiten anzubrechen - er schreibt sich nun den Kampf gegen rechts auf die Fahnen, stuft immerhin den AfD-Flügel und deren Jugendorganisation als rechtsradikal ein. Das ist ein Anfang. Ob es nachhaltig ist, wird sich zeigen. Bis dahin stünde es dem Dienst gut zu Gesicht, wenn er die eigenen Mitarbeiter auf ihre Verfassungstreue untersucht.

Der Verfassungsschutz war zu lange auf dem rechten Auge blind, um noch an Zufälle zu glauben, vom unsäglichen Gehampel in der Causa NSU gar nicht zu sprechen. Solange Personen mit Sympathien für rechtsradikale Positionen im Verfassungsschutz aktiv sind, ist dieser eine Gefahr für die Verfassung.

Wir wissen schon lange, dass rund fünfzehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung rassistische, antipluralistische, antisemitische, homophobe, islamophobe, radikalnationalistische bis rechtsradikale Haltungen haben, also im Kern Verfassungsfeinde sind. Das war immer so und es steht zu befürchten, dass es im Wesentlichen so bleibt.

Es ist jener Teil von Bürgern, die sich selbst aus dem demokratischen, auf Kompromiss und Konsens ausgelegten Dialog (der gerne auch Streit sein darf) ausgrenzen. Sie zurückzugewinnen, in die Mitte der Gesellschaft zu integrieren, ist schwierig bis unmöglich. Möglich aber ist es, sie machtlos zu halten. Wer Antidemokrat ist, wer Verfassungsfeind ist, wer Menschenfeind ist, darf in diesem Land keine Macht haben, keine gesellschaftliche Verantwortungsposition bekleiden.

Die Gesellschaft ist heute eine andere als 1933

Die Demokratie braucht Mechanismen, die ihre Abwahl verhindern - was ohne solche Mechanismen passiert, zeigt uns ein Blick in die Türkei, wo Islamisten und Nationalisten bis ins Detail dieselbe Geisteshaltung haben wie die Rechtsradikalen hierzulande. Es ist derselbe Menschenschlag. Es war 1933 derselbe Menschenschlag.

Dass sich 1933 wiederholt, ist trotzdem nicht zu befürchten. Die Gesellschaft ist heute eine andere. Sie ist offener, weltgewandter, gebildeter, sie ist in weiten Teilen geschichtsbewusst. Sie versteht, dass es Kern der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist, die Mechanismen zu verstehen, die faschistische Regime ermöglichen - denn nur dann kann man sie verhindern. Achtzig Prozent oder mehr dieser Gesellschaft teilen die demokratischen Werte, auf denen Deutschland fußt. Für diese Werte gilt es, einzustehen. Heute mehr denn je.

Nicht nur politisch. Sondern im Alltag. Jeden Tag. Auch in der Familie. Es darf kein Schweigen mehr geben, wenn jemand rassistische Sprüche von sich gibt. Es darf keine Normalisierung geben, wenn Menschen rechtsradikal wählen. Es darf keinerlei Appeasement gegenüber jenen geben, die andere aufgrund ihrer Religion oder Hautfarbe angreifen und bedrohen. Und es darf keine Akzeptanz für die halbgaren altbekannten Ausflüchte mehr geben. Hinter "Ich bin kein Nazi" passt kein "aber"!

Um es mit den Worten von Walter Lübcke zu sagen: "Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."