Die CIA ist besser als ihr Ruf
Die Bush-Regierung sucht die falschen Informationen über die Massenvernichtungswaffen auf die Geheimdienste abzuschieben, die aber hatten auch schon vor den Gefahren eines Bürgerkriegs und vermehrter Terroraktivitäten gewarnt
Nach den verheerenden Angriffen der letzten Zeit und dem Bekanntwerden eines angeblich von Abu Musab al-Zarqawi stammenden Dokuments, in dem die al-Qaida-Strategie darlegt wird, die Schiiten durch Anschläge gegen die Sunniten aufzuhetzen, taucht das Gespenst des Bürgerkriegs wieder auf, in den das Land versinken könnte. Das war von Kritikern des von der Bush-Regierung gewünschten Kriegs als großes Risiko genannt worden - und auch die CIA, die nun die Last der Disinformation tragen soll, hatte dies schon 2002 gesagt - und überdies stets nur im Konjunktiv von möglichen Massenvernichtungswaffen gesprochen.
Gelegentlich kann man dem Treiben auf der politischen Weltbühne nur noch ungläubig zusehen. Gerade jetzt, wo jeder die Möglichkeit besitzt, weltweit einen bislang unvorstellbaren Zugriff auf Informationen zu haben, um Äußerungen von Politikern oder aktuelle Meldungen der Medien überprüfen zu können, scheinen sowohl Politiker als auch viele Medienangehörige auf die Vergesslichkeit der Menschen zu setzen. Das Paradebeispiel sind derzeit die von den Bush- und Blair-Regierungen konstruierten Kriegsgründe: Und die Aufklärung scheint in diesem Fall - wie auch in vielen anderen - ein Paradefall der Dekonstruktion zu sein, bei der man bekanntlich niemals zum Ursprung kommt, sondern nur von einer kapriziösen Falle oder Verschleierung zur anderen. Das fasziniert nicht nur Intellektuelle, sondern scheint auch der Kern unserer Systeme zu sein, in denen sich Politik und Medien mehr denn je verschränkt haben. Schließlich ist auch der Terrorismus ein Medien- oder Aufmerksamkeitsphänomen.
Im endlos sich jagenden Strom der Neuigkeiten geht die Orientierung verloren und wird nur noch in der Aktualität gelebt. Offenbar lässt sich darauf setzen, dass die Menschen und die Medien, die unter dem Zwang der Nachricht, d.h. des Neuen und Schockierenden, stehen, Geschichten nicht wirklich hinterfragen und zur Amnesie neigen. Kommen doch vereinzelte Erkenntnisse und Erinnerungen auf, so wird ein Komitee oder ein Ausschuss wie jetzt wieder eingerichtet, die/das der Wahrheitsfindung dienen soll, in Wirklichkeit aber die Aufgabe hat, Erkenntnisse nicht nur zu verschleppen, sondern dem Vergessen anheimzugeben. Bis ein Bericht zustande kommt, ist der Vorfall längst abgekocht, zumal Aufklärung sowieso wesentlich langweiliger als der nächste Skandal einer persönlichen Verfehlung ist, als der "fog", der jeden Tag - und nicht nur im Krieg oder auf der Bühne - gezündet wird, um die Aufmerksamkeit zu wecken und zu immunisieren.
Dass nun die Bush-Regierung mit der von einem Außenstehenden schwer verständlichen Hilfe des CIA-Chefs Tenet die Schuld an den falschen Informationen der CIA zuschieben will, passt in das Schema, das zwar einerseits von den überall aktiven Beratern und Spin-Doktoren betrieben wird, aber das offenbar auch einigermaßen erfolgreich ist (aber vielleicht haben Buch und Blair die "Medienpolitik" auch überreizt, die mit ihrer möglichen Abwahl zu Ende kommen könnte). Vorerst aber wird den Geheimdiensten die Schuld an den "falschen" Informationen zugeschoben.
In den USA wird so beispielsweise das Briefing des Präsidenten für dessen unrichtige Äußerungen verantwortlich gemacht, als hätten Bush und sein Stab keinerlei Möglichkeiten, eigenständig die vorhandenen Informationen zu bewerten. Das ergäbe das Bild eines Präsidenten, der in einer Glocke sitzt und leicht nach der einen oder der anderen Seite zu beeinflussen ist, weil er nichts anderes wahrnimmt als die vorgekauten Informationen, die er erhält - und sich nicht bemüht, andere zu bekommen. Das ergibt weder den Eindruck der Verantwortlich noch ein Gefühl des Vertrauens in die Urteilskraft eines selbstdenkenden Menschen.
Eine andere Variante der Entschuldung ist noch ein wenig seltsamer. Die CIA nimmt die Verantwortung auf sich und entschuldigt sich, weil man falsch verfahren sei. Man habe letztlich einfach Informanten vertraut, ohne die von diesen übermittelten Informationen durch eine unabhängige Quelle zu überprüfen. Informanten, die nachweislich Falschinformationen wie der vom Pentagon geförderte Dschalabi (Das Geheimherz der Lügenfabrik) geliefert haben, dürfen freilich weiterhin ihre politischen Karrieren mit Unterstützung der US-Regierung pflegen (Dschalabi ist Mitglied des irakischen Regierungsrates). Was also angehende Journalisten schon im Grundkurs lernen, dass man nur Informationen Glauben schenken soll, die mindestens von zwei unabhängigen Quellen bestätigt wurden, wenn man nicht selbst recherchiert hat, sollte dem mächtigen Geheimdienst eine ganze neue Erkenntnis sein? Andererseits ist die CIA eine Behörde wie jede andere, und so werden karrierebewusste oder auch ängstlich um ihre Jobs bangende Mitarbeiter tunlichst die Informationen liefern, die weiter oben oder ganz oben gut ankommen. Wobei man letztlich wieder bei der Regierung landet.
Allerdings muss man geradezu die CIA in Schutz nehmen, die offenbar mit der Mithilfe von ihrem Chef Tenet zum Sündenbock gemacht werden soll, obwohl jeder, der den Nachrichtenfluss einigermaßen verfolgt oder Suchmaschinen-tauglich ist, eigentlich wissen könnte, dass das nicht stimmt. Die CIA ist besser ist als ihr Ruf, der ihr im Augenblick von der Bush-Regierung zugewiesen wird, die lieber nicht vom extra eingesetzten "Office of Special Plans" spricht, das die kriegslegitimierenden Informationen auch den Geheimdiensten vorbei beschaffen und konstruieren sollte (Das Geheimherz der Lügenfabrik; Die Tarnung der Bush-Regierung). Schon kurz nach dem 11.9. hatte Verteidigungsminister Rumsfeld eine Gruppe installiert, die die Geheimdienstinformationen bewerten sollte. Schon damals war man unzufrieden mit den politisch nicht genehmen Informationen aus den Geheimdiensten (Sturz Husseins durch Oppositionelle unwahrscheinlich).
Noch vor dem Irak-Krieg und nach der Rede Powells vor der UN haben ehemalige CIA-Mitarbeiter der Bush-Regierung empfohlen, den CIA-Bericht, der im Oktober 2002 zur Kriegsvorbereitung fertiggestellte wurde, noch einmal zu lesen (Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!). Wohlweislich hatte die Bush-Regierung versucht, die Veröffentlichung des Berichts zu verhindern. Er wurde nur durch den Druck des demokratischen Senators Bob Graham, der damals der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses war, teilweise veröffentlicht. In dem Bericht wurde von Massenvernichtungswaffen nur als Möglichkeit gesprochen, auch wenn hier bereits sehr stark alles auf die Anforderungen seitens der Bush-Regierung zugeschnitten wurde. Der nicht-öffentliche Teil enthielt aber schon anderes.
Hier stand, dass eine Verbindung von Saddam Hussein mit al-Qaida als unwahrscheinlich zu gelten habe. Zudem wurde vor den Risiken eines Angriffs gewarnt, der durch die Zerstörung der Diktatur einen Bürgerkrieg befördern könnte. Es komme sehr darauf an, wie Saddam "die Bühne verlässt". Die neue Regierung werde große Schwierigkeiten bewältigen müssen, um Stabilität zu erreichen. Nicht nur würden die vielen ethnischen Gruppen eine größere Autonomie fordern, die Jahrzehnte dauernde Diktatur hätte auch den Irakern jede Möglichkeit verwehrt, demokratische Traditionen der Konsensbildung aufzubauen. Seltsamerweise ist auch der Artikel in der Washington Times, der darüber berichtete (Sturz Husseins durch Oppositionelle unwahrscheinlich), nicht mehr im Archiv. Hier gibt es eine Kopie. Und was tatsächlich eingetreten ist, hatten die CIA-Analysten auch vorhergesagt:
Nach unserer Ansicht würde eine Invasion des Irak die Ausbildungslager für Terroristen mit Rekruten für eine unbestimmte Zukunft überfluten. Weit entfernt davon, die Bedrohung auszulöschen, würde sie diese exponentiell vergrößern.
Die CIA-Veteranen machten überdies die Bush-Regierung auf ihren fundamentalen Fehler aufmerksam. Die militärische Strategie berücksichtige nicht die Quellen des in der islamischen Welt bestehenden Hasses gegen die USA, weswegen die hinter dem Terrorismus liegenden Ursachen auch nach einem erfolgreichen Krieg weiter bestehen bleiben würden.