Die Dreifaltigkeit der Tributökonomie

Seite 2: Rente statt Profit

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Das Subventionswesen für Konzerne, für ihre Shareholder und Manager, ist Teil einer größeren Struktur, die man bisweilen als "Sozialismus für Reiche" oder "Neofeudalismus" bezeichnet hat. Den oberen Schichten ist es gelungen, sich ein "bedingungsloses Maximaleinkommen" zu sichern, das von ihren Leistungen und Verfehlungen weitgehend entkoppelt ist. Nicht Markterfolge erhalten und vermehren die großen Vermögen und Einkommen, sondern Strategien der Privilegiensicherung, insbesondere durch Einflussnahme auf den Staat. Die staatliche Gabenökonomie für Superreiche verbindet sich mit dynastischen Strukturen, in denen Macht und Reichtum wie einst beim Adel durch die Geburt vererbt werden.

Dazu gehört auch, dass ein immer größerer Teil des Kapitals gar nicht durch Produktion und Verkauf von Waren und Dienstleistungen vermehrt wird, sondern durch das, was man in der Ökonomik "Renten" nennt. "Rente" bedeutet hier nicht Altersversorgung, sondern ein Einkommen aus Gebühren für die Nutzung von Land, Wohneigentum oder aus "geistigen Eigentumsrechten", zum Beispiel Patenten. Entscheidend ist, dass Kapitalbesitzer hier gar nichts produzieren und dann verkaufen, sondern allein aus dem Rechtstitel auf ein Eigentum ein Einkommen generieren.

Tributzahlungen von diesem Typ vereinnahmen einen erheblichen Anteil der Volkseinkommen. In deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München müssen die Menschen im Schnitt etwa die Hälfte ihres Einkommens für Miete bezahlen. Nur ein Bruchteil davon kann als Gebühr für Baukosten, Instandhaltungen und Dienstleistungen aufgefasst werden. In Berlin zum Beispiel konnten Wohnungseigentümer bei Altbauten mit einer Nettomiete von sechs Euro pro Quadratmeter bis vor Kurzem gut leben, ausreichend Rücklagen für Reparaturen bilden und sogar Gewinne machen. Dieselben Wohnungen werden nun für einen Quadratmeterpreis von zwölf Euro und mehr vermietet. Die sechs zusätzlichen Euro sind reines Tributgeld. In anderen europäischen Metropolen liegen die Preise oft noch viel höher, in Paris zum Beispiel bei bis zu 50 Euro pro Quadratmeter. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte zu Recht: "Der Pariser Wohnungsmarkt kennt keine Wirtschaftskrise."

Wenn neu gebaut wird, sind natürlich größere Investitionen notwendig, und es lässt sich die Vermietung als ein gewöhnliches Geschäft begreifen, um diese Kosten plus einen Gewinn herauszuholen. Nun sind Wohngebäude aber keine Verbrauchsgüter, sondern können potenziell Jahrhunderte existieren. Sind die einmal getätigten Investitionen amortisiert, fließt, von Verwaltungskosten und gelegentlichen Instandsetzungen abgesehen, ein endloser Strom leistungslosen Einkommens an die Eigentümer. Da in vielen Ballungsgebieten strukturell Knappheit von Wohnraum herrscht, die nur sehr bedingt oder gar nicht durch Angebotserweiterung gemildert werden kann, sind diese Einkommensströme einem echten Marktgeschehen weitgehend entzogen.

Die Konzentration des Wohneigentums ist ein zentrales Mittel, um einen gewaltigen Geldfluss von der Unter- und Mittelschicht in Richtung der großen Vermögen aufrecht zu erhalten, der so gut wie nichts mit der Produktion und dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen zu tun hat. Ähnlich wie einst die Adelsprivilegien, so verleiht hier der bloße Eigentumstitel umfassende Rechte auf Tributzahlungen. Und der Staat schützt diese Privilegien und setzt sie notfalls mit Gewalt durch: Wer seine Miete, sei sie auch noch so überzogen, nicht bezahlen kann oder will, wird irgendwann von der Polizei geräumt. Das Gespann von Immobilieneigentümern und Staatsgewalt gehorcht letztlich einem ähnlichen Prinzip wie das Schutzgeldsystem der Mafia: Man entrichtet Tribut dafür, dass man nicht mit Gewalt vertrieben wird. Und wie bei der Mafia kann man nicht über einen fairen Preis verhandeln.

In dieser Perspektive ist der Kampf für ein "Recht auf Stadt" und gegen Zwangsräumungen eine wichtige Keimzelle für eine andere ökonomische Ordnung - so wie seit biblischen Zeiten der Kampf um eine gerechte Landverteilung. Wie es in der Epoche der Französischen Revolution um eine Abschaffung der Adelsprivilegien ging, so gilt es heute, das moderne Tributsystem des Geldadels aufzubrechen und die Städte den Menschen zurückzugeben, die sie bewohnen. Die Überführung privater Wohnungsgesellschaften in die Hände von nicht-profitorientierten Genossenschaften und kommunalen Betrieben wäre dazu ein erster Schritt.

Die künstliche Verknappung immaterieller Güter

Das Tributsystem erstreckt sich auch auf immaterielle "geistige Güter" wie etwa wissenschaftliche Entdeckungen, technische Erfindungen, kulturelle Leistungen, Software, Markennamen und sogar die genetischen Codes von Lebewesen. "Geistige Eigentumsrechte", die eine exklusive Verfügung über solche Güter garantieren, sind bei näherer Betrachtung ein sehr seltsames juristisches Konstrukt. Sie verknappen künstlich, was eigentlich im Überfluss da ist und durch intensivere Nutzung nicht weniger wird, sondern mehr. Wenn jemand etwa einen Softwarecode nutzt, wird er einem anderen nicht weggenommen, sondern vervielfältigt sich. Die Kosten dafür gehen gegen Null. Natürlich müssen Programmierer von etwas leben; aber Patentgebühren fließen in den seltensten Fällen in die Hände der tatsächlichen Urheber, so wenig wie Mieten in die Hände der Bauarbeiter fließen, die die Häuser einst erbauten. Stattdessen sind sie vor allem eine Methode von Kapitalbesitzern, um in einem Wirtschaftssystem, in dem es immer schwieriger wird, durch Produktion Profite zu machen, dauerhaft leistungslose Einkommen zu generieren.

Und diese Strategie ist recht erfolgreich. Gebühren aus "geistigen Eigentumsrechten" nehmen einen immer größeren Anteil der Volkswirtschaften und Unternehmensprofite ein. In den USA bestreitet die Copyrightbranche bereits elf Prozent des Bruttoinlandproduktes. In einem Bericht des Europäischen Patentamtes heißt es, dass Industrien, die sehr viele geistige Eigentumsrechte beanspruchen, inzwischen bereits 42 Prozent des EU-Sozialproduktes und 90 Prozent der Exportwirtschaft ausmachen. Die Profite daraus gehen meist am Fiskus vorbei, indem sie zum Beispiel über eine Briefkastenfirma in den Niederlanden kanalisiert werden, wo auf Patentgebühren keine Steuern anfallen.

Nun funktioniert dieser Teil des Tributsystems keineswegs reibungslos, sondern wird immer wieder herausgefordert. Gegen das ACTA-Abkommen, das die Ansprüche aus geistigen Eigentumsrechten gegen die Bürger massiv verschärfen sollte, gingen weltweit Hunderttausende auf die Straße. Es gelang schließlich, den Vertrag im EU-Parlament zu stoppen. Das Internet hat die Monopol- und Gatekeeper-Funktionen der Schallplatten-, Film- und Medienindustrie untergraben und freie Software bringt Microsoft und Co. in Bedrängnis.

Allerdings ist es Microsoft bisher gelungen, seine 50 Milliarden US-Dollar Umsatz aus Lizenzen zu verteidigen, obwohl es weitaus bessere, tributfreie Alternativen gibt und Microsoft-Programme enorme Sicherheitslücken aufweisen, die regelmäßig von Kriminellen und staatlichen Überwachungsorganen genutzt werden. Die Strategie des Monopolisten besteht darin, die Kunden in eine "Lock-in"-Situation zu manövrieren, indem die Kompatibilität mit anderen Systemen gezielt verhindert wird. Dazu fügt Microsoft zum Beispiel in Word-Dokumente große Mengen von verschlüsseltem Code ein, der beim Öffnen in anderen Programmen zu Entstellungen führt - und zugleich Hackern Tür und Tor öffnet.

Öffentliche Verwaltungen haben immer wieder versucht, sich aus dem Microsoft-Tributsystem zu befreien, etwa die Städte Wien und München, sind aber durch Lock-in-Strategien und intensiven Lobbyismus - im Fall der Stadt München auch durch den Filz zwischen Konzern und CSU - dazu gedrängt worden, zu Windows und Office zurückzukehren. Microsoft-Lobbyisten sitzen weltweit in Ministerien und Stadtverwaltungen und nutzen mit staatlicher Förderung Schulen und Universitäten zum Marketing. Der Ökonom Rufus Pollock von der Cambridge University spricht vom "klassischen Drogendealer-Modell": früh abhängig machen und dann ein Leben lang zahlen lassen.

Um die umstrittenen Tributansprüche aus "geistigem Eigentum" durchzusetzen, greifen einige staatliche Behörden zu harschen Einschüchterungsmethoden. Ein Beispiel dafür ist der Fall von Aaron Swartz. Der Programmierer und Netzaktivist hatte Millionen von Copyright-geschützten wissenschaftlichen Artikeln heruntergeladen, um sie öffentlich zugänglich zu machen. Ein schweres Verbrechen? Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Wissenschaftsverlage verdienen Milliarden damit, dass öffentliche Bibliotheken ihre Zeitschriften für horrende Gebühren abonnieren, obwohl weder die Autoren noch die Lektoren (peer-reviewer) bezahlt werden, die Produktionskosten also gering sind. Die Forschungsergebnisse, die auf diese Weise privatisiert werden, sind meistens von öffentlichen Universitäten finanziert worden. Swartz' Aktion griff diese Form von Tributsystem an.

Obwohl die betroffene Online-Plattform auf eine Klage verzichtete, forderte die Staatsanwaltschaft 35 Jahre Haft und eine Million Dollar Strafe. Wenige Monate später beging der nur 26-jährige Swartz Selbstmord. Doch der weltweite Aufschrei über seinen Tod hat den Widerstand gegen das Tributsystem weiter angefacht.

Die Gentechnik-Industrie hat es in vielen Ländern geschafft, staatliche Protektion dafür zu erlangen, um die globale Landwirtschaft in ein Tributsystem für Patentinhaber zu verwandeln. Hersteller von patentiertem Saatgut wie Monsanto und Bayer, die inzwischen drei Viertel des Weltmarktes kontrollieren, verbieten es Bauern, einen Teil der Ernte als Saatgut für das nächste Jahr zu nutzen, so wie es die Menschheit seit mehr als 10.000 Jahren getan hat. Patentämter, Ministerien und Gerichte untermauern den Anspruch dieser Unternehmen, jedes Jahr erneut Tribut zu fordern. Der Bauer Vernon Bowman etwa wurde von einem US-Gericht zu einer Strafe von 85.000 Dollar verurteilt, weil er es gewagt hatte, Samen erneut zu benutzen, ein Urteil, das vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde.

Auf der anderen Seite schwillt der Widerstand gegen die Gentechnik- und Patentindustrie weltweit massiv an. Der Kampf um freies Saatgut ist eines der entscheidenden Felder der Auseinandersetzung um eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährung geworden.

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