Die Finanzkrise diente EU-weit der "Flexibilisierung" der Arbeitsmärkte

Statt der von der EU geplanten "Flexicurity", so eine britische Studie, wurde die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einseitig der Austeritäts- und Wirtschaftspolitik untergeordnet

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Die Finanzkrise, die in eine Euro- und Verschuldungskrise übergegangen ist, hat nicht nur so genannte Hilfspakete und Austeritätsprogramme verursacht, sondern auch aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit einen Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt zuungunsten der Arbeitnehmer, wie das gerade auch wieder in Frankreich der Fall ist, wo die Regierung den Arbeitsmarkt flexibilisieren will. Flexicurity, wie das von der EU seit 2005 genannt wurde, ist eines der Stichwörter, um die gesetzlichen Regulierungen zu öffnen, während man den Arbeitnehmern Glauben lassen will, dass die Sicherheit der Arbeitsplätze gewahrt wird.

Die Krise wurde, da die Reichen weiter geschont und die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich vertieft wurde, in den einzelnen Ländern und über die deutsche Dominanz auf EU-Ebene auf dem Rücken der Unter- und Mittelschichten und dem Sozialstaat ausgetragen. Der Einbruch der Flüchtlingsströme und die aufschäumende Fremden- und EU-Feindlichkeit mit dem damit einhergehenden Verlangen nach Grenzen für gegenseitig abgeschottete gated nations ist teilweise auch daraus zu erklären.

Wissenschaftler vom Sheffield Political Economy Research Institute (SPERI) der University of Sheffield haben für ihre Studie Daten aus 18 EU-Mitgliedsländern und Norwegen auf dem Hintergrund des politischen Konzepts oder Versprechens der Flexicurity untersucht. Es basiert letztlich darauf, dass die Arbeitsmärkte gleichzeitig flexible und sichere Arbeitsbedingungen schaffen können, indem die Flexibilisierung mit Unterstützungsprogrammen für Arbeitslose, mit staatlicher Aufstockung der Löhne, die nicht ausreichen, und mit Strategien des lebenslangen Lernens einhergeht. Also in etwa das, was unter Rot-Grün mit den so genannten Hartz-IV-Reformen umgesetzt wurde. Die Politik passt sich dabei der Theorie an, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn die Firmen weniger Verpflichtungen bei Neueinstellungen eingehen.

Die Bilanz der Wissenschaftler ist ziemlich eindeutig. Zwar wurden nach 2008 in der EU die Arbeitsmärkte flexibilisiert, d.h. der gesetzliche Arbeitnehmerschutz wurde geschwächt, was zu einer Verringerung der Arbeitsplatzsicherheit geführt hat, aber es wurden keine neue Maßnahmen zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen eingeführt. Besonders unter Druck standen die verschuldeten Länder Spanien, Griechenland und Portugal, die mit Rettungsprogrammen beglückt wurden, um den Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber zu verändern. Die Sozialpolitik werde zunehmend der Wirtschaftspolitik untergeordnet, die Sozialpolitik gilt der EU-Kommission, so der Bericht, nur noch als "wirtschaftlicher Anpassungsmechanismus".

Für die Autoren hat Großbritannien darin eine Pionierrolle gespielt, was nun zu einem europaweiten Trend wurde. "Im Europa nach der Krise hat es einen starke politische Veränderung zu einem liberaleren Modell geringerer Arbeitsplatzsicherheit und erhöhter Arbeitsmarktflexibilität gegeben", schreibt Jason Heyes, einer der Autoren. Großbritannien wurde zum Vorbild für den Rest der EU. "In allen EU-Staaten wurde es leichter, Arbeitnehmer zu entlassen, die Fortbildung nimmt ab und die sozialen Sicherheitssysteme werden mit größerer Konditionalität und "Workfare"-Ansätzen umgebaut, um Gelder zu erhalten."

Abbau der Arbeiternehmerrechte und der sozialen Sicherung

Verglichen wurde die Flexicurity-Situation in 19 Ländern im Jahr 2006 vor der Krise und im Jahr 2011. 2006 habe es zwei große Cluster gegeben. Die meisten Länder wie die Niederlande, Dänemark, Deutschland, Frankreich Finnland oder Norwegen hatten relativ viel in aktive und passive Arbeitsmarktmaßnahmen investiert, aber eine gemäßigte Arbeitsmarktflexibilität aufgewiesen. Im zweiten Cluster finden sich die osteuropäischen Länder Slowakei, Ungarn und die Tschechische Republik sowie Italien und Griechenland. Portugal und Spanien bildeten auf der einen Seite ein unterschiedliches Cluster mit relativ strengen Arbeitsmarktgesetzen und geringen Ausgaben für die soziale Sicherheit, Irland und Großbritannien hatten auf der anderen Seite bereits einen stark flexibilisierten Arbeitsmarkt mit ebenfalls geringen Ausgaben für die soziale Sicherheit. Polen stellte mit einem starren Arbeitsmarkt und geringen sozialen Ausgaben eine Ausnahme dar.

2011 hat sich die Sozialpolitik nach dem Bericht gegenüber 2006 signifikant verändert. Spanien und Portugal haben sich durch Flexibilisierung der Arbeitsmärkte dem Hauptcluster angenähert, aber bleiben damit ebenso wie Polen am unteren Rand der Sozialausgaben. Auch im Fall von Irland, das sich Deutschland und Österreich angeglichen hat, fand eine solche Annäherung statt, allerdings durch eine Reduzierung der Sozialausgaben und der Arbeitsmarktflexibilisierung. Griechenland kürzte Sozialausgaben und ermöglichte es Arbeitgebern, Vollarbeitsplätze in Teilzeit umzuwandeln. Ein eigenes Cluster bilden nun Dänemark, Schweden und Finnland, in denen verstärkt auf lebenslanges Lernen gesetzt wurde. Einige Länder hingegen haben wie Deutschland, Belgien oder Schweden die Rechte von Leiharbeiter gestärkt.

Großbritannien bleibt isoliert und darin weiter "Vorbild". Das Land hat 2008 den Arbeitsmarkt weiter flexibilisiert und schärfere Sanktionen für das "Workfare"-Konzept eingeführt, in aktive Arbeitsmarktmaßnahmen wird kaum investiert. In Spanien und Portugal wurden am massivsten Regulierungen des Arbeitsmarkts geöffnet und Sozialausgaben gekürzt. Die Visegrad-Länder hielten an den niedrigen Sozialausgaben fest. In der Slowakei und in der Tschechischen Republik wurden nur vorübergehend Arbeitnehmerrechte gestärkt, ab 2011 fuhr man wieder zurück, lockerte beispielsweise die Bedingungen für eine Kündigung oder setzte beispielsweise die Länge für ein befristetes Arbeitsverhältnis heraus. Die Autoren gehen davon aus, dass die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Kürzung der Sozialausgaben nach 2011 verschärft wurden, was insbesondere für Griechenland zuträfe.

Das Ergebnis ihrer Studie lässt das EU-Konzept der Flexicurity nicht gut aussehen, weil wegen der Austeritätspolitik primär die Flexibilität verstärkt wurde. Da die Unterstützung und Sicherheit für Arbeitnehmer aber nicht parallel ausgebaut wird, sehen die Autoren die EU-Programme für soziale Sicherheit und den Arbeitsmarkt gefährdet, weil sie auf dem Flexicurity-Konzept aufbauen und damit legitimiert werden. Um dies zu ändern, müsste die Austeritätpolitik verändert werden. Dafür aber gibt es, wie Heyes richtig anmerkt, derzeit keine Hinweise.