Die Gewerkschaft und der Neofeudalismus
Verdi marschiert Seit an Seit mit den Lobbyisten der Rechteinhaberindustrie
Seit letzter Woche steht fest, wen die Bundestagsfraktionen als Experten in die Internet-Enquete-Kommision entsenden. Die Union benannte neben dem obersten Musikindustriefunktionär Dieter Gorny den Bitkom-Hauptgeschäftsführer und DRM-Lobbyisten Bernhard Rohleder (von dem bekannt ist, dass er gerne auf Staatskosten isst, den aufgrund verschiedener Vorwürfe gegen sein Haus in die Kritik geratenen Präsidenten der Bayerischen Landesmedienzentrale, Wolf-Dieter Ring, den Wirtschaftswissenschaftler Christof Weinhardt, Nicole Simon, die Autorin des Buchs "Twitter - mit 140 Zeichen zum Web 2.0" und den bei McKinsey beschäftigten Berater Harald Lemke, der eine Karriere als IT-Direktor des Bundeskriminalamtes und Bevollmächtigter der Hessischen Landesregierung für e-Government hinter sich hat.
Darüber, wie und nach welchen Kriterien CDU und CSU diese Auswahl trafen, war bei den beiden Parteien ebenso wenig in Erfahrung zu bringen wie bei der SPD. Die schickt neben Wolfgang Schulz, den Direktor des vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegründeten und geprägten Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung und Cornelia Tausch, der Bereichsleiterin Wirtschaft und Internationales beim Verbraucherzentrale Bundesverband, auch Lothar Schröder, den Bereichsleiter Technologie- und Innovationspolitik bei der Gewerkschaft Verdi in die Runde. Aus dem Rahmen fällt hier nur der Perl-Programmierer Alvar Freude, der sich auch als Mitgründer des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur einen Namen machte.
Freudes Äquivalent bei den FDP-Experten ist padeluun, der Vorsitzende der Datenschutz-NGO FoeBud und Mitorganisator der Big Brother Awards. Außerdem nominierten die Liberalen Wolf Osthaus, den Leiter der Abteilung Government Relations bei eBay Deutschland und Hubertus Gersdorf, einen Juraprofessor von der Universität Rostock, der unlängst auch außerhalb akademischer Krise Aufsehen erregte, als er ankündigte, über einen Boykott der Rundfunkgebühr die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne des ZDF durchsetzen zu wollen.
Am wenigsten Fragen bezüglich der Kompetenz der Kandidaten stellen sich bei den beiden von den Grünen benannten Experten: Sie beriefen die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, die bereits seit den 1990er Jahren hauptsächlich über Netzthemen veröffentlicht, und Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Sehr viel heterogener zusammengesetzt wirken dagegen die von der Linkspartei berufenen Spezialisten: Das sind einerseits Constanze Kurz, Informatikerin, FAZ-Kolumnistin und Sprecherin des Chaos Computer Club - und andererseits Anette Mühlberg, die als Referatsleiterin Verwaltungsmodernisierung, E-Government, Neue Medien bei der Gewerkschaft Verdi nominiert wurde.
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Verdi vertritt nämlich ganz offiziell Positionen, die durchaus denen der Rechteinhaberindustrie gleichen: Bereits 2003 forderte der Dienstleistungsgewerkschaftsvertreter Wolfgang Schimmel auf einem Symposion des Bundesjustizministeriums nicht nur die möglichst schnelle Verabschiedung der neuen EU-Richtlinie zum Schutz der Rechte an "geistigem Eigentum", die auch geringe und unabsichtliche Urheberrechtsverletzungen unter harte Strafen zwingen sollte, sondern darüber hinaus eine "doppelte Lizenzgebühr" für die "rechtswidrige Nutzung" von Medien.
Gestern hatte der Bundesvorstand der Gewerkschaft zu einer Pressekonferenz anlässlich des "Welttags des geistigen Eigentums" geladen. Das Motto der Veranstaltung lautete: "Diebstahl geistigen Eigentums im Netz - 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft". Und wo die Reise dabei hinging, das zeigte nicht nur die Verwendung des von der seriösen Immaterialgüterrechtswissenschaft abgelehnten und fehlerhafte Analogien zum Sacheigentum herstellenden PR-Begriffs "geistiges Eigentum", sondern auch die Auswahl der anderen Teilnehmer der ganz aus dem Verdi-Presseetat (und damit aus Mitgliedsbeiträgen) finanzierten Veranstaltung, auf der die Journalisten auch mit kostenlosen "Erfrischungen" versorgt wurden: Neben Heinrich Bleicher-Nagelsmann, dem im letzten Moment für den stellvertretenden Verdi-Bundesvorsitzenden und ZDF-Fernsehrat Frank Werneke eingesprungenen Verdi-Bereichsleiter für "Kunst und Kultur", sprachen dort Dieter Gorny, der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Musikindustrie, Jürgen Doetz, der Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), Christiane von Wahlert von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Alexander Skipis, der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Peter Henning vom Vorstand des Verbands Deutscher Drehbuchautoren (VDD).
Schon in der Einladung wurde behauptet, dass die "illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet" einer neuen "Untersuchung" zufolge "allein in Deutschland im Jahr 2008 bei Produktion und Vertrieb von Spielfilmen, TV-Serien, Musik und Software einen Schaden von 1,2 Milliarden Euro verursacht und damit rund 34.000 Arbeitsplätze gekostet" hätte. Mittlerweile stellte allerdings sogar der amerikanische Rechnungshof offiziell fest, dass solche Studien vor allem Erfindungen ohne Realitätsgrundlage sind. Und für die so genannte Tera-Studie, auf welche sich die Gewerkschaft in ihrer Behauptung bezog, trifft dies in besonderem Maße zu.
Nach der Veröffentlichung dieser Einladung wies nicht nur das Blog Carta darauf hin, dass die Gewerkschaft ein "massives Problem" hat, weil inzwischen "nahezu der gesamte Bereich der Kreativschaffenden im Internet [...] bei ver.di kein zu Hause" mehr findet. Auch "organisatorische Ausgründungen" führte der Carta-Autor Philipp Otto unter anderem darauf zurück, dass sich die "für die gewerkschaftliche Ausrichtung beim Urheberrecht Verantwortlichen [als] beratungsresistent" erwiesen.
Offenbar angesichts solcher Kritik versuchte der Verdi-Vertreter am Montag etwas zurückzurudern und meinte, man sei sich mit den anderen Verbänden betreffs der Methoden nicht ganz einig und es gebe kein "Bündnis" mit ihnen. Auch kam Heinrich Bleicher-Nagelsmann nicht umhin, einräumen zu müssen, dass die Tera-Studie "methodisch zu hinterfragen" sei. Dessen unbelassen, wollte er sie trotzdem als "deutliches Warnsignal" gewertet wissen.
In jedem Fall durfte Philippe Hardouin von der Pariser Firma Tera Consultants sein an wissenschaftlichen Standards gemessen durchaus abenteuerliches Werk ausführlich anpreisen und mit Zahlen daraus behaupteten, dass durch das Internet ohne "konkrete Gegenmaßnahmen" bis 2015 ein Schaden in Höhe von 56 Milliarden Euro Einnahmeausfall und 1,2 Millionen abgebauten Arbeitsplätzen auf die EU zukommen würde. Und "konkrete Gegenmaßnahmen" müssten den Ausführungen der ihm folgenden Sprecher nach nicht nur Hadopi-ähnliche Eingriffsmöglichkeiten beinhalten, sondern auch eine auf EU-Ebene eingeführte Zensurinfrastruktur, die explizit gegen Streaming-Angebote aus anderen Ländern angewendet werden soll.
Hintergrund der Zusammenarbeit von Medienindustrie und Gewerkschaften sind auch kaum bekannte europäische Strukturen wie der "Soziale Dialog für den Audiovisuellen Sektor", in dessen Rahmen der "internationale Gewerkschaftsverband" UNI-MEI, dessen Präsident Bleicher-Nagelsmann ist, nicht nur bei der EU Lobbyarbeit für die "Sicherung von Urheberrechten" macht, sondern derzeit auch eine weltweite Kampagne gegen "digitalen Diebstahl" finanziert.
Auf Anfrage von Telepolis, inwieweit auch die beiden Verdi-Vertreter in der Internet-Kommission des Bundestages solche Forderungen vertreten werden, ließ Lothar Schröder durch einen Mitarbeiter ausrichten, es gebe eine hausinterne Arbeitsgruppe, in der "in den nächsten Wochen [...] die Positionen, die in die Enquete-Kommission eingebracht werden sollen, diskutiert und abgestimmt" würden. Seine von der Linkspartei nominierte Kollegin Annette Mühlberg meinte, sie könne dazu "gar nichts" sagen, weil sie sich im Urlaub befinde.