Die Inflation steigt
Die Finanzkrise lässt nicht nur in den USA das Wirtschaftswachstum einbrechen
Monatelang erklärten Politiker, die hohe Inflation sei nur ein vorübergehendes Phänomen und im Frühjahr werde sie zurückgehen. Das Frühjahr ist da, doch genau das Gegenteil ist der Fall. In der Eurozone ist sie auf einen Höchststand von 3,5 Prozent geklettert, in Deutschland auf 3,3. In Ländern wie Spanien nähert sie sich der fünf Prozent Hürde und Lettland, Bulgarien und Estland weisen schon zweistellige Raten auf. Der geldpolitische Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB), die Leitzinsen zu erhöhen, wächst. Gleichzeitig wird auch der Druck der Politik auf die Zentralbanker stärker, den Zins unverändert zu lassen oder gar zu senken. Denn das Wachstum in der EU ist nicht so stabil wie gerne behauptet wird. Die US-Rezession wird Europa stärker treffen als bisher zugegeben und die Immobilienkrise hat Spanien schon fest im Griff.
Der EZB-Präsident Jean-Claude Trichet will es allen recht machen. Als Trichet letzte Woche vor den Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments trat, machte er deutlich, dass die Zentralbank den Leitzins auf vier Prozent belassen will: "Wir glauben, dass das gegenwärtige Zinsniveau das richtige ist", sagte Trichet in Brüssel.
Als Argumente dafür führte er die Gefahr weiter steigender Preise in der Euro-Zone und die Tatsache an, dass vorerst kein Ende der Finanzmarktturbulenzen in Sicht sei. Die Phase hoher Inflation werde länger dauern als ursprünglich erwartet, gab der EZB-Präsident zu. Nun sei entscheidend, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, um "Zweitrundeneffekte" zu vermeiden. Um die Glaubwürdigkeit zu sichern, sei es wichtig, angemessene Leitzinsen nur an der Preisstabilität zu orientieren, doch sei Unsicherheit für die Konjunktur außergewöhnlich hoch.
Doch nun hat die Europäische Statistikbehörde Eurostat gestern einen neuen deutlichen Anstieg der Inflation in der Eurozone gemeldet, der merkwürdig oft in der Fachpresse das Attribut "unerwartet" erhält. Angesichts vorliegender Analysen und den stetig steigenden Preisen für Energie oder für Lebensmittel ist eigentlich nur erstaunlich, dass einige die Entwicklung überrascht. Wie zu erwarten war, ist die Inflation nun um 0,2 % auf 3,5 % geklettert. Da das bisher nur eine Schätzung ist, könnte sie, wenn die endgültigen Daten vorliegen, noch höher ausfallen. Zuletzt hatte Eurostat sie für Februar auf 3,2 % geschätzt, doch real lag sie dann bei 3,3 %.
Was nun, Herr Trichet?
Die steigende Inflation ist auch ein Ergebnis davon, dass die EZB nicht ihrer Aufgabe nachkommt. Nähme Trichet seine Worte vom vergangenen Mittwoch ernst, dann müsste die EZB nun endlich auf die Inflationsbremse treten und den Leitzins anheben, um noch etwas Glaubwürdigkeit zu retten. Sonst wird die Inflation die Lohnzuwächse wieder auffressen, die vielen Arbeitnehmern in diesem Jahr erstmals wieder einen realen Lohnzuwachs bescheren sollten. Oder werden sich Trichets Worte nur in einen Aufruf an die Arbeitnehmer verwandeln, erneut über die Lohnzurückhaltung mit einem "Sozialismus für Reiche" die Zeche zu zahlen (Zwei Dollar pro Aktie der fünftgrößten Investmentbank der USA)?
Rumäniens, Polens und Ungarns Nationalbanken haben den Leitzins längst erhöht. Bukarest hob ihn um 0,5 auf 9,5 % an. Die Inflation belief sich 2007 auf 6,57 % und lag auch dort deutlich höher als die von der Regierung angestrebten 4,3 Prozent. Sie war im Februar auf fast 8 Prozent gestiegen, was die Zinsanhebung nötig werden ließ. Dem Beispiel folgten auch Polen und Ungarn, die zuletzt am Montag den Leitzins um 0,5 % auf 8 % anhoben.
Angesichts der sich weiter öffnenden Schere zwischen Zielmarke und Realität müsste eigentlich auch die EZB folgen. Schließlich ist ihre primäre Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen. Doch von dem Ziel, einer Inflation von weniger als 2 % zu sorgen, verabschiedet sich die EZB immer deutlicher (Gibt die Europäische Zentralbank die Preisstabilität auf?). Das hat auch damit zu tun, dass der Druck auf sie immer stärker wird, weil die Konjunktur wesentlich schlechter läuft, als stets behauptet wurde. Eine Zinssteigerung würde den Politikern die ohnehin abgespeckten Wachstumsziele kurzfristig noch stärker verhageln. So will die EZB alle zufrieden stellen und den Leitzins lassen, wie er ist.
Dabei wäre ein entschlossenes Vorgehen nötig, sonst wird die zunächst in den USA verschleppte Krise nun auch in Europa verschleppt. Dort mutierte die Subprime-Krise auch wegen der Politik der Notenbank zu einer allgemeinen Bankenkrise. Sie dürfte längst die US-Wirtschaft in die Rezession gezogen haben, die Krise könnte sich sogar in eine Systemkrise verwandeln (Am Abgrund mit der Dollarflut). So darf man sich es auf der Zunge zergehen lassen, wenn nun immer öfter die Verstaatlichung von Banken gefordert wird, um sie vor dem Zusammenbruch zu retten. Der US-Ökonom Nouriel Roubini sagte in einem Interview: "Etliche Banken werden einfach zusammenbrechen, wenn wir sie nicht verstaatlichen. Das kostet den Staat eine Unmenge, doch er hat sowieso ein Problem: Ob er nun Banken verstaatlicht, faule Kredite kauft oder die nächste Welle abwartet: Es wird teuer und ziemlich schlimm. Es geht nicht mehr ohne einen großen Eingriff."
Die Krise wird sich auch deutlich auf die europäische Konjunktur auswirken
Allgemein werden die Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Gerade war es die Prognose für Österreich, die von 2,4 auf 2,1 gesenkt. Zuvor hatten auch schon die Regierungen Großbritanniens und Frankreich ihre Prognosen gesenkt. In Frankreich verfehlt Nicolas Sarkozy alle gesetzten Ziele. Trotz des schwachen Wachstums 2007 von 1,9 % legte er für 2008 einen Haushalt vor, der auf eine Wachstumsprognose von 2,25 % baute. Doch statt nach oben geht es auch in Gallien bergab. Die Wirtschaftministerin Christine Lagarde spricht inzwischen nur von 1,7 – 2 %. Analysten prophezeien ein Wachstum von 1,5 %.
Die Folge ist, dass die Staatsverschuldung wächst. Schon 2007 ist sie von 63,6 % im Vorjahr auf 64,2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gewachsen. Das Haushaltsdefizit lag 2007 bei 2,7 %, dabei hatte Sarkozy 2,4 % versprochen. 2008 sollte sie weiter auf 2,3 % sinken. Beide Ziele wird er verfehlen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Observatoire francais des Conconctures économiques (OFCE) erwartet, dass die Defizitquote 2008 eher um 3 % herum liegen werde. Das Ziel, bis 2012 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, werde mit Sicherheit nicht erreicht. Dabei sieht der Maastricht-Vertrag vor, dass die Gesamtverschuldung maximal 60 % des BIP betragen und das Defizit höchstens 3 % des BIP ausmachen dürfe. So wird Frankreich im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, wenn es gegen alle Auflagen verstößt.
Erwartungsgemäß wird die Krise besonders hart Spanien treffen, weil dort viele Jahre eine völlig fehlgeleitete Politik betrieben wurde. Die Ökonomie hing zu einem Drittel an einem Bauboom, der sich seit Jahren im Rahmen einer sich aufblähenden Immobilienblase entwickelt hatte. Die Regierung kommt kaum noch nach, ihre Wachstumsprognosen zu berichtigen. Der Wirtschaftsminister Pedro Solbes geht offiziell noch immer von 3,1 % aus, doch hat die Regierung die Prognose intern längst auf 2,4 – 2,7 % gesenkt. Nun liegen Analysen vor, die gerade noch von 1,8 % ausgehen.
Auch die Immobilienfirmen geben inzwischen zu, dass 2008 die Preise für Häuser und Wohnungen fallen. Von einer "flachen Landung", welche die sozialistische Regierung lange ankündigt hatte, ist keine Rede mehr. Die Statistikbehörde teilte mit, dass die Verkäufe von Immobilien im Januar im Vergleich zum Vorjahr sogar um 27,1 Prozent eingebrochen sind.
Doch mit den fallenden Preisen beginnt sich hier die Spirale nach unten zu drehen, die in den USA schon so richtig in Fahrt ist. Da hohe Kredite von Banken sogar ohne Eigenanteil vergeben wurden, sitzen viele Familien auf Immobilien, die längst den Preis nicht mehr wert sind, den sie dafür bezahlt haben. Zudem nutzt es ihnen nichts, wenn die EZB die Zinsen stabil hält. Denn die schlauen spanischen Banken haben mit Duldung der Regierungen die Hypothekenkredite an den Zinssatz gebunden, mit dem sich Banken untereinander Geld ausleihen. So haben sie das Zinsrisiko voll auf die Familien abgewälzt und der Euribor erreichte am Freitag mit 4,73 % einen neuen Jahresrekord. Die Zinslast steigt für viele Familien, die wegen der Rekordinflation von 4,6 Prozent erneut Reallohneinbußen hinnehmen müssen.
Die abstürzende Bautätigkeit, die auch einen abflauenden Konsum nach sich zieht, lässt zudem die Arbeitslosigkeit steigen. Wegen der Arbeitslosigkeit, der hohen Inflation und hoher Hypothekenzinsen können immer mehr hoch verschuldete Familien ihre Kredite nicht mehr abzahlen. Welche Gefahr hier für das spanische Bankensystem lauert, lässt sich mit einer Zahl beschreiben. 60 % aller vergebenen Kredite sind mit dem Bauboom verknüpft und wegen fallender Immobilienpreise sind viele Kredite nun durch nichts mehr gedeckt.
Ohnehin steigt auch die Saumseligkeit in großen Schritten. Bei 5 % legen Analysten die magische Marke an. Steigt die Saumseligkeit bis zu diesem Niveau, was pessimistische Analysten vorhersagen, "dann haben die Banken, die Sparkassen im Besonderen, viele Probleme", sagt der Professor für Ökonomie Pompeu Fabra. Die Immobilienkrise hat nun also einen Brückenkopf in Europa. So darf man gespannt auf neue Horrormeldung von Abschreibungen aller europäischen Banken warten, die auch stark im spanischen Immobilienmarkt engagiert sind.