Gibt die Europäische Zentralbank die Preisstabilität auf?

Steigende Inflation, faule Immobilienkredite, Konjunkturprobleme: Der Druck auf die EZB nimmt zu

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Die Teuerung steigt und steigt. Sie ist im Euroraum mit 3,3 % auf dem höchsten Stand seit 2001. Das sind 0,2 - 0,3 Prozent mehr als Experten noch vor wenigen Tagen vorausgesagt haben. In Deutschland ist mit mindestens 3 % ein neuer Rekord seit 1994 erreicht. Die Teuerung frisst Lohnzuwächse auf, was sich auf den Konsum auswirkt und sie weiter anheizt. In einigen Ländern, wie in Spanien, läuft die Inflation aus dem Ruder und hat schon die Marke von 4,1 % erreicht. Sie liegt damit mehr als doppelt so hoch, als die Regierung gerechnet hatte. Trotz einem starken Wachstum steigt dort wegen der platzenden Immobilenblase auch seit Monaten die Arbeitslosigkeit. Wegen der Krise um die faulen Immobilienkredite und einer abflauende Konjunktur gehen Finanzexperten davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) in diesem Jahr den Leitzins nicht mehr erhöht. Doch das wäre notwendig für das EZB-Ziel, für Geldwertstabilität im Euroraum zu sorgen.

Der Druck auf die EZB nimmt vor der Sitzung am Donnerstag zu. Sie kommt durch die deutlich steigende Inflation in einen Widerspruch, den sie nur schwer auflösen kann. Auf der letzten Sitzung im November hat die EZB entschieden, nicht an der Zinsschraube zu drehen, um den Inflationsgefahren zu begegnen. Doch seither ist die Teuerung erneut und massiv angestiegen. Die Inflation ist um 0,6 % auf 3,3 % im Euroraum hochgeschossen, teilte (PDF-Datei) das Europäische Statistikamt Eurostat gestern mit. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, schließlich hatten die Finanzexperten vor einigen Tagen 3,3 % als Höchstwert für den Jahresbeginn 2008 erwartet. Dieser Wert muss deutlich höher angesiedelt werden, wenn nicht gegengesteuert wird.

Die deutliche Verteuerung ist auch in Deutschland zu spüren. Die Verbraucherpreise lagen im November um mindestens 3 % höher als vor einem Jahr, gab das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Berechnungen Ende November bekannt. Die definitiven Zahlen könnten auch in Deutschland höher ausfallen. "Das ist die höchste Teuerungsrate seit Februar 1994", hieß es in der Presserklärung. Im Vergleich zum Vormonat sei das ein Anstieg um 0,4 %, womit sich auch hier ein deutlicher Preisschub zeigte. Nimmt man Spanien als Beispiel, wo die Inflation im November sogar schon auf 4,1 % gestiegen ist, deutet sich der Problemhorizont ab.

"Inflationsbuckel"

Eines der wichtigsten Ziele der EZB ist es, für Geldwertstabilität zu sorgen, weshalb sie eine Inflationsrate unter 2 % anstrebt. 3,3 Prozent mit steigender Tendenz, die sogar deutlicher als erwartet ausfiel, müssten eigentlich zu einer Erhöhung der Leitzinsen führen, damit die Inflationsneigung sinkt. Noch letzte Woche versuchten sich einige der EZB-Ratsmitglieder in Beschwichtigungen. Bei der Prognose von 3 % erklärte Vitor Constancio: "Die Inflation ist nicht außer Kontrolle". Er könne nicht erkennen, dass der Preisdruck von Dauer sein werde. Ähnlich hatte sich zuletzt auch EZB-Präsident Jean-Claude Trichet geäußert, der von einem "Inflationsbuckel" sprach.

Allerdings gab es schon letzte Woche warnende Stimmen aus dem Rat. Der Chef der griechischen Notenbank Nicholas Garganas sagte: "Die Aufwärtsrisiken für die Teuerung steigen nicht nur, sie haben auch begonnen sich zu manifestieren". Die EZB werde dafür Sorge tragen, dass die Inflationserwartungen nicht zunehmen würden und keine Lohn-Preis-Spirale in Gang komme, sagte er in einem Reuters-Interview. Auch der Vorsitzende der Runde der Finanzminister, Jean-Claude Juncker, zeigte sich mit Blick auf die Teuerung schon besorgt, als sich die Finanzminister in Brüssel letzte Woche trafen.

"Wir können die steigenden Inflationsrisiken nicht ignorieren", sagte der luxemburgische Premier. Er wies auch darauf hin, dass die Konjunktur an Fahrt verliere. So darf man wahrlich gespannt sein, wie die EZB entscheidet und ob sie sich vom Ziel der Geldwertstabilität verabschiedet und nun beginnt Konjunkturpolitik zu machen. Bisher gehen die Finanzexperten davon aus, dass die EZB die Zinsen nicht erhöhen wird, wie eine Umfrage ergab.

Bis zur Halskrause und auf Lebenszeit verschuldet

Gern wird auf die Preissprünge bei Benzin und Heizöl verwiesen, um die hohe Inflation zu begründen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich dämpft der enorm hohe Euro im Verhältnis zum Dollar deutlich den Preisanstieg im Bereich Energie ab, denn die benötigten Rohstoffe werden in Dollar abgerechnet. Deutlich schlagen gestiegene Lebensmittelpreise zu Buche. In Spanien hat die Inflation schon mindestens 4,1 % erklommen und die Verbesserungen zur Annäherung an die Inflationsziele der Regierung versenkt, wie Wirtschaftsminister Pedro Solbes nun einräumte.

Heftigste Preissteigerungen im zweistelligen Bereich verzeichnet man in Spanien für Grundnahrungsmittel, wofür auch die steigende Nachfrage nach "Biosprit" verantwortlich ist (vgl. Preise für Lebensmittel schießen in die Höhe). Dabei, so betonen viele Produzenten, erhielten sie für Weizen und Mais nicht mehr Geld als früher, weshalb es sich auch hier oft um Spekulationsgewinne auf dem Weg zum Verbraucher handele. Die Endverbraucherpreise für Grundnahrungsmittel, wie Sonnenblumenöl, das sich um knapp 30 % verteuerte (Milch um fast 24 %, Geflügel um knapp 20 % und Mehl um knapp 14 %), machen einem einfachen Haushalt die Wirtschaftsführung nun fast unmöglich. Der nächste Preisschub wird allgemein beim Fleisch erwartet, wegen der hohen Futtermittelpreise, die um 30 % gestiegen sein sollen.

Viele spanische Familien sind bis zur Halskrause und auf Lebenszeit verschuldet (vgl. Verschulden auf Lebenszeit in Spanien) und sie sind wegen der gestiegenen Zinsen schon in arge Bedrängnis geraten (siehe Spekulationsblase in den USA platzt). Der erwartete Reallohnzuwachs in diesem Jahr wird wegen der Inflation erneut zu einem Reallohnverlust führen und verstärkt das Problem weiter: Höhere Lohnforderungen sind die wahrscheinliche Folge, dies heizt dann die Inflation wieder an. Die Inflation wirkt sich auch auf die Rentenkassen aus. Die sind in Spanien zwar gut gefüllt (siehe Spanien beschließt "freiwillige" Verlängerung des Rentenalters auf 70 Jahre), aber die Anpassung an die Inflation, die mit dem Novemberwert durchgeführt wird, kostet im nächsten Jahr gut drei Milliarden Euro zusätzlich.

Arbeitslosigkeit im vierten Monat in Folge gestiegen

Die steigenden Aufwendungen für Grundnahrungsmittel und Hypotheken machen sich mittlerweile deutlich im Konsum bemerkbar, weil die Zinssteigerungen über variable Zinsen in Spanien voll "durchgereicht" werden. Zwar geht Solbes noch immer davon aus, dass Spanien das Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von enormen 3,8 % abschließen wird, doch davon hat die Masse der Bevölkerung nichts.

Erstaunlich ist, dass bei einem angeblich derart hohen Wachstum die Arbeitslosigkeit nun im vierten Monat in Folge gestiegen ist. Im November waren es 2,2 % mehr und nun sind knapp 2,1 Millionen Menschen offiziell als Arbeitslose registriert. Sogar die regierungsnahe Zeitung El Pais weist darauf hin, dass der Zusammenbruch der Bautätigkeit etwa 30.000 Arbeitslose mehr produziert hat, die aber noch versuchen als "Selbstständige" ihr Auskommen zu sichern.

Ohnehin offenbart sich bei den Zahlen aus Spanien ein Widerspruch: In Deutschland und generell in der EU sinkt die Arbeitslosigkeit, obwohl das Wirtschaftswachstum dort meist deutlich niedriger (PDF-DAtei) ausfällt als in Spanien. Angesichts der anstehenden Wahlen im Frühjahr müssen die spanischen Zahlen mit Vorsicht genossen werden, denn die sozialistische Regierung tut alles, damit sich das Desaster, das durch die platzende Immobilienblase gerade angerichtet wird, erst nach den Wahlen im März richtig zeigt.

Die Folgen des US-Immobiliencrash noch nicht wirklich absehbar

Dafür können solche Äußerungen stehen, mit denen der Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero versucht die Lage schönzufärben: "Ich trauere dem Bausektor nicht nach", es sei das Ziel der Regierung zu einem Wachstum zu kommen, dass nicht nur auf dem Bausektor und dem Konsum beruhe.

Woher der Wechsel kommen soll, muss Zapateros Geheimnis bleiben. Denn in der Steigerung der Produktivität fällt Spanien weiter ab. Stieg sie in Europa im vergangenen Jahr um 1,5 %, erreichte Spanien mit 0,7 % nicht einmal die Hälfte. Und das ist nichts neues, sondern in Spanien notorisch (vgl. Spanien in der Reformkrise) - einen Schwenk haben die Sozialisten in fast vier Regierungsjahren, wie zum Beispiel in der Klimapolitik nicht einmal wirklich versucht.

Die steigende Arbeitslosigkeit macht das Desaster deutlich, das die platzende Immobilienblase anzurichten beginnt. Ausgerechnet im Urlaubsmonat August begann die Arbeitslosigkeit zu steigen. Dass weist darauf hin, dass sich viele keinen Urlaub mehr leisten konnten, weshalb weniger Beschäftigung im Tourismusbereich entstand. Traditionell fällt die Arbeitslosenrate im August.

Spanien macht derzeit Druck, um eine Zinserhöhung am Donnerstag durch die EZB zu verhindern. Denn ein neuer Zinsschritt würde vielen faulen spanischen Immobilienkrediten den Rest geben, den Konsum weiter schwächen, die Bauwirtschaft gänzlich zum Erliegen bringen, die bisher ein Drittel zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat und seit dem Immobilien-Crash in den USA (vgl. Spekulationsblase in den USA platzt) auf breiter Front in einen Abwärtssog gerissen worden ist.

Da die Folgen des US-Immobiliencrash noch nicht wirklich absehbar sind und die Finanzkrise immer weitere Kreise zieht (vgl. Subprime-Krise: Credit Crunch erreicht Asien), wird die EZB aller Voraussicht nach der Geldwertstabilität nicht die Priorität geben. Sie wird versuchen, die schwächelnde Konjunktur zu stützen und zu verhindern versuchen, dass der aufziehende spanische Immobilien-Crash dann Europa und seine Banken demnächst in eine neue Krise stürzt. Doch damit wird die Krise nur vertagt und ein wichtiger Pfeiler beschädigt, der für die Stabilität nötig ist: Die Geldwertstabilität.