Spanien in der Reformkrise
Die Probleme mit dem Arbeitsmarkt und mit den sozialen Systemen werden von Regierung nicht angegangen
Die spanischen Sozialisten gelingt keine Reform des Arbeitsmarktes, die schon längst abgeschlossen sein sollte. Wegen der Überalterung der Gesellschaft steht auch eine umstrittene Rentenreform an. Die Krise im Gesundheitswesen konnte nur deswegen verschoben werden, weil man die Steuern für Alkohol und Tabak erhöht hat. Doch das Geld reicht nicht aus, weshalb die Regierung auch „Gesundheitscents“ auf die Spritpreise aufschlagen will. Preiserhöhungen stehen der Bevölkerung auch in Haus, weil die Regierung eine Energiesteuer einführen will. Wegen der Erhöhung der Energiepreise gab es schon die ersten Blockaden von Bauernorganisationen, die mit einer Ausweitung der Proteste drohen.
Es ist bezeichnend für die Probleme der sozialistischen Regierung in Spanien, wenn sie von der Gewerkschaft angegriffen wird, die eigentlich deren Politik in die Arbeiterschaft transformieren soll. Doch die Arbeiterunion (UGT) ist bestürzt über den Kurs der Sozialisten, vor allem wenn es um die Reform des Arbeitsmarkts geht. Die UGT hat am Freitag die Regierung und die Unternehmer in einem Schreiben aufgefordert, endlich ihre Vorstellungen über die Reform auf den Tisch zu legen. Diverse Gespräche des Sozialpakts seien im September ohne Annäherung verlaufen. Sie wurden erneut vertagt und sollen erst Mitte Oktober fortgesetzt werden. Doch dafür sei es notwendig, dass die „Regierung ihre Vorschläge konkretisiert“. So sieht sich der spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero gezwungen, den „offensichtlichen Konflikt“ anzuerkennen. Doch die Gespräche seien nicht an einem „toten Punkt“ angelangt. In „wenigen Wochen“ würden die Probleme gelöst, schließlich hätte man 1997 auch mehr als ein Jahr für eine Reform gebraucht.
Starker Zuwachs an zeitlich befristeten Verträgen
Dabei sind die Gewerkschaften schon seit dem Frühjahr sauer auf die Regierung. Da hatte die UGT und die großen Arbeiterkommissionen (CCOO) die Sozialpaktgespräche platzen lassen. Zapatero vergisst wohl, dass seine Reform schon vor der Sommerpause verabschiedet sein sollte, womit er die Früchte des neuen „Politikstils“ ernten wollte. „Dialog“ hieß sein Zauberwort, nachdem die konservativen Vorgänger ihre Reform nach einem Generalstreik 2002 zurücknehmen mussten. Seit der Machtübernahme im März 2004 sollen sich die Tarifparteien mit der Regierung in Verhandlungen auf konkrete Maßnahmen verständigen. Doch das scheiterte im März daran, dass die Regierung sich die Vorhaben der Unternehmer fast gänzlich zu eigen machte.
Statt deren Missbrauch mit Zeit- und Kettenverträgen einzugrenzen, setzte die Regierung auf eine Verbilligung und Vereinfachung von Kündigungen. Den Sozialisten schwebte sogar eine Absenkung des Unternehmeranteils an der Sozialversicherung vor. Angeblich sollte so mehr Beschäftigung in dem Land geschaffen werden, dass selbst im erweiterten Europa noch an der Spitze der Arbeitslosigkeitsstatistik rangiert. Unter den alten 15 Mitgliedern nimmt das Land weiter die Spitzenposition ein. Die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Begründung und Entschädigung gekündigt werden können, sollte ausgeweitet werden. Gegen solcherlei Ansinnen haben in dieser Woche auch die Franzosen massiv gestreikt, nur werden die Maßnahmen dort von den Konservativen vorangetrieben (Steuerreform in Frankreich).
Die Bekämpfung der ausufernden Zeitarbeit mahnt sogar der IWF an, der nicht gerade ein Verfechter von Arbeiterrechten ist. Doch damit hatten die Vorschläge der Regierung wenig zu tun, welche die Gewerkschaften als „unsinnig“ und „unausgewogen“ bezeichneten. Die Zeitarbeit feiert unterdessen immer heftigere Urstände, wie die UGT in einer Studie aufzeigte: 33,3 Prozent aller bestehenden Verträge sind inzwischen befristet, manchmal sogar nur für Stunden.
Im Juli wurden nur noch sieben Prozent aller Verträge unbefristet geschlossen. Die Hälfte davon waren zuvor befristete Verträge, die umgewandelt wurden. Allein im vergangenen Jahr hatte die Zeitarbeit 2,5 Prozent zugelegt. Seit 2003 stellt die UGT eine Steigerung von insgesamt 20 Prozent fest. „In unserem Land gibt es mehr Zeitarbeiter als in Italien, Großbritannien, Belgien und Schweden zusammen“, schreibt die UGT. Es seien weit über fünf Millionen.
Probleme mit der Rente und dem Gesundheitsystem
Doch auch in der Rentenfrage ist keine Einigung mit den Gewerkschaften in Sicht. Neben der Einschränkung der Zeitarbeit, fordert die EU eine Reform des Rentensystems. Spanien habe wegen der Überalterung der Gesellschaft ein „großes Problem“ und setze die Kriterien der EU nicht um. Dass die Rentenkassen derzeit gut gefüllt sind, ändere daran nichts. Denn in Spanien ergebe sich über die Einwanderung ein verzerrtes Bild durch „Übergangseffekte“. Die meist jungen Einwanderer stützten das Sozialsystem einer vergreisenden Gesellschaft, zahlen ein, erhielten aber noch keine Leistungen. Durch die Regulierung von mehr als einer halben Million Einwanderer hat sich die Tendenz verstärkt, wodurch ein Plus von fast sieben Milliarden Euro erreicht wird.
Doch die EU fordert strukturelle Änderungen, Rentenerhöhungen sollen an die Produktivität gekoppelt und von der Inflationserhöhung abgekoppelt werden. Damit würde ein Absenken der ohnehin niedrigen Renten und Mindestlöhne einhergehen, weil die Produktivität in Spanien seit Jahren fällt. Doch als Zugeständnisse an die Gewerkschaften hatten die Sozialisten den Mindestlohn im Januar um 4,5 % erhöht. Mit 513 Euro liegt er aber immer noch unter der Armutsgrenze. Am 1. Januar sollen die Mindestrenten, je nach Art, um 6,5-8 Prozent steigen, die insgesamt drei Millionen Personen in Spanien beziehen. Die liegen zwischen 132 Euro für eine Waisenrente und bei höchstens 658 Euro bei völliger Invalidität und somit auch unter der Armutsgrenze, die bei 700 Euro angesiedelt wird.
Streitpunkte in den festgefahrenen Verhandlungen sind, dass die Regierung den Zeitraum für die Berechnung der Rentenhöhe erweitern will. Derzeit werden nur die letzten 15 Jahre herangezogen. Eine Ausweitung würde eine Absenkung der Renten bedeuten. Die Gewerkschaften fordern angesichts prall gefüllter Kassen aber, dass der früher obligatorische Militärdienst auf die Rentenzeiten angerechnet wird. Das würde vor allem vielen Rentner mit Minimalrenten eine Verbesserung bringen.
Zum Unmut der Verbraucher, werden die Löcher in den Gesundheitskassen nun über Steuererhöhungen bei der Tabak- und Alkoholsteuer gestopft. Die wurden Mitte September um fünf und zehn Prozent erhöht. Doch das reicht nicht aus. Deshalb sollen die Verbraucher demnächst auch für Strom und Kraftstoffe tiefer in die Tasche greifen, damit die Einnahmen des Staates steigen und das Defizit von über fünf Milliarden Euro ausgeglichen werden kann. Der Entwurf der Regierung sieht vor, die Strompreise um zwei Prozent anzuheben. Die Autonomen Regionen sollen „Gesundheitscents“ auf den Benzinpreis aufschlagen und die ohnehin hohe Gebühr für die Neuzulassung von Autos soll noch einmal erhöht werden.
Damit versucht die Regierung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Denn als Nebeneffekt soll über die Verteuerung der Energiekosten auch der massive Ausstoß von CO2 vermindert werden. Denn Spanien ist auch beim Verstoß gegen das Klimaschutzprotokoll von Kyoto Spitze, weshalb auch eigentümliche Ideen zu dessen Erfüllung diskutiert werden (Klimagas unter die Erde).
Doch an der Frage der Energiepreise schlägt der Regierung stets Widerstand der Straße ins Gesicht, da jede Spritpreiserhöhung ohnehin Mehreinnahmen über die Mineralöl- und Mehrwertsteuer in ihre Kassen spülen. Schon im Herbst des vergangenen Jahres hatte es ein Aufflammen der Spritpreisproteste gegeben. (Neuauflage der Spritpreisproteste?). Im Sommer kam es auch in Katalonien zu den ersten Protesten von Bauern und kürzlich hatte der Verband Fenadismer, der kleine Transportfirmen und selbständige LKW-Fahrer vertritt, seine Mitglieder zum zweitägigen Streik gegen die hohen Spritpreise aufgerufen. Der Preis für Diesel sei seit Januar um 20 Prozent gestiegen. In den vergangenen zwei Jahren sei er sogar um mehr als 40 Prozent geklettert, klagte der Verband. Die Regierung verhindere, dass die gestiegenen Preise an die Frachtgebühren weiter gegeben würden.
Diesen Streik konnte die Regierung mit Versprechungen zunächst bremsen, doch doch mit einer Autobahnblockade der Grenze zwischen Frankreich und Spanien haben am Sonntag Abende vier Transportvereinigungen einen neuen Streik begonnen. Für den 21. Oktober mobilisieren die Bauernverbände zu großen Protesten und einer Großdemonstration nach Madrid. Sie fordern noch immer einen steuerfreien Berufsdiesel und fordern Kompensationen von der Regierung auch wegen der extremen Dürre im Land.
In verschiedenen Landesteilen haben Bauern schon mit Blockaden von Raffinerien begonnen. Sie wurden am Donnerstag zunächst eingestellt, nachdem sich das Agrarministerium zu Verhandlungen bereit zeigte. Die Bauernvereinigung COAG hat am Freitag mit einer Ausweitung der Proteste gedroht, wenn die Regierung nicht sofort Maßnahmen kompensatorische Maßnahmen ergreife