Die Katholische Kirche und Missbrauch: Es nicht genau wissen wollen

Seite 2: Der Beschuldigte als Kronzeuge

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Für das Jahr 1997 steht wieder etwas in der Personalakte von Peter R.: Eine Frau, die im Kindergarten tätig war, hatte der Bistumsleitung von einem sexuellen Übergriff Peter R.s berichtet. Ein Protokoll ihrer Aussage findet sich aber leider nicht in der Akte, dafür das Protokoll eines Gespräches, dass der Personalchef zusammen mit dem Justitiar des Bistums mit Peter R. geführt hat: Es ging um finanzielle Unregelmäßigkeiten und den sexuellen Übergriff. Peter R. bestritt alle Vorwürfe der Frau.

Holst erinnert sich, dass R. in dem Gespräch nichts nachgewiesen werden konnte, und er sich sicher gewesen sei, dass R. zumindest nicht straffällig geworden sei. Die Frau war damals volljährig. Ein Gespräch mit ihr habe er nicht geführt, meint Holst.

Trotzdem wurde Peter R. aus der Hildesheimer Gemeinde versetzt. Sein Nachfolger dort, Diakon Wilfried Otto, kennt die Frau, die ihn damals anzeigte. Aus einem Gespräch mit dem verstorbenen Bischof weiß er, sie hätte gedroht zur Staatsanwaltschaft zu gehen, wenn Peter R. nicht versetzt würde. Holst hingegen sagt, der Vorwurf der Frau sei nicht der Hauptgrund für den Abzug gewesen, sondern Peter R.s Umgang mit Geld.

Demzufolge wurden die folgenden Vorgesetzten von Peter R. wohl auch nicht über Missbrauchsvorwürfe informiert. Hans-Joachim Osseforth, der ehemalige Pfarrer der Gemeinde in Hannover-Mühlenberg, in der R. ab 1999 eingesetzt war, gab an, ihm hätte man als Grund für die Versetzung von R. Unregelmäßigkeiten bei der Finanzverwaltung angegeben. "Also habe ich zugesehen, dass er nicht mit Geld und Verwaltungsdingen in Berührung kam." Von den Missbrauchsvorwürfen habe er erst Anfang 2010 erfahren.

Peter R. konnte als Priester weiterarbeiten - ob mit oder ohne Auflage, wer weiß das schon? Otto ist entsetzt, dass bei Peter R.s Versetzung aus Hildesheim nicht gesagt wurde, dass er übergriffig geworden sei. Die folgenden Missbrauchsfälle hätten nicht passieren müssen, wenn man hier Klartext geredet hätte, so Otto.

Das gute Gesicht der katholischen Kirche

Wer nach dem bisher Geschilderten glaubt, Werner Holst habe seinen Job als Missbrauchsbeauftragter nicht ernst genommen, den belehrt er eines Bsseren: Er habe das Thema sehr scharf und offensiv verfolgt, so Holst - uns er sei bereit gewesen einzugestehen, dass nicht immer alles richtig gelaufen sei. Im Fall Peter R. gibt er zu, dass er damals auf ihn reingefallen sei.

Bei seiner Verabschiedung aus seiner letzten Pfarrstelle im Jahr 2014 verweist Holst stolz darauf, dass er sich bei einer WDR-Talkshow im Jahr 2002 mutig Fragen zum Thema Missbrauch in der Kirche gestellt habe.

Wenn man sich die Sendung mit Bettina Böttinger anschaut, wird man erinnert, dass das Thema Missbrauch nicht erst 2010 mit den Enthüllungen am Canisius-Kolleg auf der Agenda stand: 2002 waren es die Meldungen über Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche der USA, die auch diesbezügliche Fragen an die hiesige Kirche provozierten.

Die Deutsche Bischofskonferenz verabschiedete deshalb auf ihrer Herbstvollversammlung 2002 Leitlinien "Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche" - und Werner Holst übernahm die undankbare Aufgabe ins Fernsehen zu gehen, nachdem viele andere Würdenträger abgesagt hatten.

Holst räumte dort Fehler in den Bistümern ein: Früher hätte man die Täter einfach stillschweigend versetzt, "aber das haben wir ja sehr schnell aufgegeben": Therapie und strafrechtliche Verfolgung seien heute selbstverständlich, so Holst im Jahr 2002, wo er immerhin schon 18 Jahre in seinem Amt als Personalchef und Missbrauchsbeauftragter tätig war.

"Die erste Fürsorge gilt den Opfern", betonte er in der Talksendung. Deshalb habe er "in den späteren Fällen" Kontakt mit den Opfern aufgenommen, alle erdenklichen Hilfen angeboten und die Entschuldigung des Bischofs übermittelt. Und man hätte gelernt, dass die Öffentlichkeit einbezogen werden müsse.

Außerdem lobte Holst in der Fernsehsendung die neuen Leitlinien der Bischofskonferenz. Allerdings dauerte es in seinem Bistum noch gut sieben Jahre bis zu diesen Leitlinien verbindliche Ausführungsbestimmungen erlassen wurden; dies geschah nämlich erst im Januar 2010 - wobei die Kritik laut wurde, dass die Ausführungsbestimmungen möglicherweise erst nach dem Aufdecken des Missbrauchs am Canisius-Kolleg fertiggestellt und dann rückdatiert worden seien.