Die Piraten als mediales Drama

Seite 3: Die Kritik an den Piraten als Fortsetzung des Dramas

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Wie wir wissen, ist die versprochene Revolution bislang ausgeblieben. Die großen Schlachten sind nicht geschlagen worden. Die Schlagzeilen werden eher durch kleinliche Auseinandersetzungen einzelner Parteimitglieder bestimmt. Für den einen oder anderen Kommentator ist damit die Zeit für eine Abrechnung gekommen: Die Piraten seien Amateure, Schwätzer, reine Protestpartei. Diese Häme und diese scharfe Aburteilung ist aber ebenso Teil des medialen Dramas. Weiterhin destillieren Journalisten spannende Geschichten aus dem Rohmaterial Piraten.

Einerseits bauen solche Kommentare ein moralisierendes Lehrstück auf. Sie beschreiben das gerechtfertigte Scheitern des jugendlichen Angebers und stellen, stellvertretend für den erfreuten Leser oder Zuschauer, die ursprüngliche Weltordnung wieder her: Die einstigen Hoffnungsträger hätten sich als halbwüchsige Maulhelden enttarnt. Eine solche Jugend müsse wieder zurück ins Glied. Die Partei werde in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Ihr Aufenthalt auf der politischen Bühne sei nicht mehr als ein bedauerlicher Irrtum. Politik solle dagegen derjenige machen, der sein Handwerk auch versteht.

Andererseits schaffen derartige Kommentare Dramatisierung wiederum durch einen Mangel an Reflektion. Auch bei diesen Aburteilungen und Abrechnungen wird nicht auf die Schwierigkeiten einer Parteigründung eingegangen. Die notwendigen Lernprozesse einer solchen Organisation werden nicht berücksichtigt. Stattdessen wird so getan, als hätte es lediglich der Disziplin bedurft, um erfolgreich zu sein, als wäre die Schaffung einer funktionsfähigen Partei von heute auf morgen spielend zu bewerkstelligen.

Der Verzicht auf eine entsprechende Reflektion der Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer neu gegründeten Partei macht es den Medien möglich, den Absturz der Piraten als dramatisches Ereignis darzustellen. Hätte man reflektiert, wäre das "Versagen" der Partei nicht neu, wären ihre Schwierigkeiten nicht überraschend, weil alle jetzt beklagten Probleme von Anfang an die Piraten begleitet haben. Aber ein realistischer Blick auf die Herausforderung, eine Partei komplett neu aufzubauen, hätte es eben auch nicht erlaubt, die Piraten für ihre Verfehlungen derart gnadenlos zu verurteilen. Auch hier gilt: Differenzierung ist langweilig.

Die unberücksichtigten Herausforderungen des politischen Engagements

Die Medien haben die Schwierigkeiten einer Parteigründung zu wenig reflektiert, um die Piraten angemessen beurteilen zu können.

Erstens versäumten es auch wohlmeinende Kommentatoren oft, die Parteigründung vor dem Hintergrund des weitgehenden fehlenden politischen Engagements in Deutschland zu betrachten. Nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung ist politisch aktiv als Parteimitglieder. Die meisten Mitglieder sind lediglich Beitragszahler. Gleichzeitig sinkt die Mitgliedschaft in den großen Volksparteien. Ebenso überaltern sie seit Jahrzehnten. Daher wird oft und gerne in Sonntagsreden betont, wie wichtig ein politisches Engagement der Jugend wäre.

Vor diesem Hintergrund ist es auffällig, wenn sich einige zehntausend junge Leute zu einer Partei zusammenschließen und es damit nicht bei Demonstrationen als Mittel ihrer Interessenvertretung belassen.

Zweitens ist die Gründung einer neuen Partei immer ein Wagnis. Allein die 5-Prozent-Hürde bei Wahlen erhöht die Wahrscheinlichkeit für neue Organisation, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verbleiben. Parlamentseinzüge sind dagegen nicht einfach zu erreichen. Eine Parteigründung braucht viel Mut, Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen. So gesehen haben die Piraten schon eine besondere Leistung vollbracht, die aber zu wenig gewürdigt worden ist.

Drittens ist eine Parteigründung auch ganz praktisch eine enorme Herausforderung. Die Partei muss organisiert werden, sie muss einen Apparat aufbauen und ihre Mitglieder müssen sich aktiv einbringen. Das kostet Geld, Zeit und Nerven. Liest man die Urteile von Journalisten über die Piraten, entsteht der Eindruck, dass diese die Piraten mit der Elle einer etablierten Partei messen. Anders lassen sich die umfänglichen Leistungserwartungen an die Piraten nicht erklären. Doch von ihrer organisatorischen Basis her waren sie bislang gar nicht in der Lage, solche Erwartungen auch nur ansatzweise zu erfüllen.

Wer eine Partei gründet, braucht Geld. Er braucht eine technische Infrastruktur, um einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern zu ermöglichen. Um kampagnenfähig zu werden, muss eine Partei einen Apparat von Mitarbeitern einrichten. Sie braucht Geschäftsstellen, deren Räume sie mieten muss. Sie braucht Kommunikations- und Bürotechnik, die ebenfalls Geld kostet. Schlussendlich braucht sie hauptamtliche Mitarbeiter.

Etablierte Parteien mit Parlamentspräsenz nutzen dafür neben den Mitgliedsbeiträgen vor allem staatliche Förderungen. Dank ihrer Wahlergebnisse können sie auf die staatliche Wahlkampfkostenerstattung zurückgreifen. Parlamentsfraktionen werden durch Steuermittel finanziert. Ihnen werden Räumlichkeiten und technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Die finanzielle Förderung der Fraktionen erlaubt außerdem Einstellung von Fachpersonal für bestimmte Politikfelder. Auf diese Weise kann sich eine Partei auch inhaltlich professionalisieren. Nicht zuletzt nutzen die in Landesregierungen vertretenen Parteien auch die Landesministerien, um politische Projekte mit Fachwissen zu unterfüttern. Diese Möglichkeiten standen den Piraten bis zu ihrem Einzug in mehrere Landesparlamente nicht zur Verfügung.

Ohne Parlamentsmandate konnten die Piraten kein Berufspolitikertum ausbilden. Ihre Vertreter waren Ehrenamtliche. Sie konnten darum längst nicht so viel "leisten", wie hauptberufliche Parteifunktionäre, Parlamentarier oder Regierungsmitglieder der etablierten Parteien. Ihnen fehlte nicht nur das Know-how des Fachpersonals der Fraktionen und Ministerien. Ihnen fehlte auch die Zeit. Ihre Möglichkeiten, sich in Themen einzuarbeiten und konkrete Konzepte zu entwickeln, litten unter diesen Beschränkungen.

Wer eine Partei gründet, muss zudem inhaltliche Diskussionen ihrer Mitglieder und eine Beschlussfassung organisieren und er braucht eine professionelle Medienarbeit. Das erfordert einerseits eine Logistik von Diskussionsveranstaltungen. Parteitage müssen abgehalten werden. Andererseits bedarf hoher Leitungskompetenz, um diese Diskussionen zu moderieren und die Beschlüsse letztlich auch in den eigenen Reihen als verbindlich durchzusetzen. Solche Kompetenz bildet sich nicht innerhalb von wenigen Monaten aus. Etablierte Parteien verfügen bereits über eine hilfreiche Infrastruktur. Ihre hauptamtlichen Verwaltungen leisten die organisatorische Arbeit. Parteivertreter mit jahrzehntelanger Parteierfahrung leiten und kanalisieren die Debatten und Beschlussfassungen.

Nicht zuletzt hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Kultur der Medienprofessionalisierung in der etablierten Parteienlandschaft ausgeprägt. Mit viel Geld kaufen sich Berufspolitiker das Medien-Know-how, um sich für öffentliche Auftritte zu schulen. Eine solche Professionalisierung haben die Piraten, aus Zeit- und Geldgründen und sicher auch aus Idealismus, noch nicht durchlaufen können. Dass ihre Medienauftritte zuweilen ungelenk wirken, ist deshalb vollkommen nachvollziehbar.

Wenig nachvollziehbar ist allerdings die Erwartung der Medien an die Professionalität der Piraten. Die aktuelle Kritik geht allzu oft von einem Idealbild aus. Tatsächlich hätten die Medien von Anfang an die Möglichkeiten der Piraten vor dem Hintergrund der Herausforderung einer Parteigründung beurteilen müssen. Damit hätte sich sowohl der Selbstanspruch der Partei als auch die Erwartung der Medien an sie relativieren lassen. Dabei hätte man durchaus positiv anerkennen können, welche Mühen die jungen Leute auf sich genommen haben. Aber eine solche Differenzierung wäre nicht mehr spannend gewesen. Deshalb büßen die Piraten gegenwärtig dafür, dass sie nicht die Story sind, die sie hatten sein sollen.