Die Rache des alten Europa
Das neue Zerwürfnis zwischen EU und USA ist Folge der gescheiterten Irakpolitik der Bush-Regierung
Ein wahrer Drahtseilakt dürfte der heute beginnende Antrittsbesuch des neuen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in den USA werden. Wie wird sich der Schrödertreue Sozialdemokrat als Mitglied einer Bundesregierung präsentieren, dessen Chefin immer als Bush-freundlich bekannt war, lautete die große Frage der Kolumnisten. Da kann eine unbedachte Äußerung schnell einen koalitionsinternen Hauskrach auslösen.
Der neuen Bundesregierung scheint die neue Aufregung um angebliche Geheimgefängnisse der CIA in Europa und ebenso rätselhafte CIA-Flüge in Europa gar nicht so ungelegen zu kommen. Denn jetzt ist man parteiübergreifend einig, dass man von der USA Aufklärung fordern muss. Die Vorwürfe sind nicht neu. Schließlich wird schon einigen Wochen über angebliche Geheimgefängnisse in osteuropäischen Ländern spekuliert (Geheimgefängnis der CIA in Polen oder Rumänien?). Rumänien und Polen fielen in die engere Wahl. Politiker dieser Länder dementierten heftig.
Bis heute fehlen die Beweise, auch wenn manche Verlautbarung europäischer Politiker den Eindruck erweckt, als wären diese Geheimgefängnisse eine Tatsache. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Alvaro Gil Robles hatte unlängst erklärt, er habe auf einem US-Stützpunkt im Kosovo 2002 ein Gefangenenlager gesehen, das ähnlich wie Guantanamo gewesen sei. Er konnte aber nicht sagen, ob es in irgendeiner Verbindung mit der CIA gestanden habe.
Dass der Europarat jetzt mittels Satelliten nach diesen Gefängnissen suchen lässt, zeigt, wie dünn bisher die Beweislage ist. Bei der Satellitenkontrolle soll auch nachgeforscht werden, ob es womöglich in der Vergangenheit irgendwo in Osteuropa diese Geheimgefängnisse gab, die aber schon wieder abgebaut worden sind. Denn eigentlich ist auch aus US-Sicht nicht recht plausibel, warum man in Europa solche Gefängnisse errichten und sich damit angreifbar machen soll. Schließlich gibt es genügend US-freundliche Regime nicht zuletzt im arabischen Raum, wo Gefangene ohne den lästigen Eingriff von Menschenrechtsorganisationen und einer kritischen Zivilgesellschaft entsprechend bearbeitet werden konnten. Dass die USA Gefangene in Folterstaaten überstellte und dort Aussagen erpresste, ist ebenso seit längerem bekannt (Outsourcen der peinlichen Befragung; erste Hinweise gab es bereits Anfang 2002: Etwas Foltern lassen bei Freunden). Selbst die Entführung von Verdächtigten aus verschiedenen europäischen Ländern, auch aus Italien und Deutschland, war seit Monaten Gegenstand kritischer Debatten und führte sogar schon zu juristischen Ermittlungen gegen CIA-Beamte (Haftbefehl für CIA-Agenten). Zur großen Empörung aber führten die Meldungen nie.
Absetzen vom großen Bruder
So ist der neue Konflikt zwischen EU und USA auch vor dem Hintergrund der Sackgasse zu sehen, in die sich die USA und ihre Verbündeten mit ihrer Irakpolitik hinein manövriert haben. Die Anschläge nehmen nicht ab, gleichzeitig wächst zur Zeit auch in den USA die Zahl derer, die das Irakabenteuer so schnell wie möglich beenden wollen. Erstmals wird auch in der US-Regierung über Abzugspläne diskutiert. Da findet das von der Bushadministration viel geschmähte „alte Europa“ wieder eine gemeinsame Sprache und fordert die US-Regierung in einer Schärfe heraus, wie sie zuletzt nur 2003 zu hören war. Dabei hatte man allgemein gedacht, der Streit wäre leidlich beigelegt. Nach seiner Wiederwahl hat schließlich auch die Bushadministration zumindest auf diplomatischer Ebene einiges dazu beigetragen.
Doch das alte Europa kann heute selbstbewusster auftreten, weil selbst erklärte Befürworter der US-Politik in Europa von der Bush-Administration abrücken. So hat der italienische Ministerpräsident Berlusconi vor einigen Wochen mit Blick auf den italienischen Wahlkampf im nächsten Jahr erklären lassen, er habe den US-Präsidenten vom Angriff auf dem Irak abbringen wollen ("Ich habe versucht, den US-Präsidenten vom Krieg abzuhalten"). Dass ausgerechnet Berlusconi gehörenden Medien den Einsatz von Phosphorwaffen durch US-Militärs im Irak aufdeckten (Willy Pete in Falludscha), passt in diese Linie des Abrückens von den USA. Auch das von der US-Administration hofierte neue Europa bekommt das neue Selbstbewusstsein des alten Europa zu spüren. So wurde Rumänien unverhohlen gedroht, dass es auch Auswirkungen auf den Beitritt zur EU haben würde, wenn sich herausstellen sollte, dass es die Geheimgefängnisse wirklich gegeben hat. Hier werden auch über den Irakkonflikt hinaus Signale an die USA und ihre europäischen Verbündete ausgesandt. Künftige Konflikte, beispielsweise in Syrien und dem Iran sollen doch bitte nur im Konsens mit der EU bearbeitet werden.
Europa im Glashaus
Die aktuelle Debatte der neuen europäischen Selbstvergewisserung könnte allerdings auch schnell zum Drahtseilakt für die europäische Politik werden. Denn auch hier gilt der Spruch, dass man nicht mit Steinen werfen sollte, wenn man im Glashaus sitzt. Schon verweisen Friedensgruppen auf die Kooperation europäischer und US-amerikanischer Sicherheitsdienste beim Verhör von Verdächtigen.
So soll beim Verhör des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar (With a little help from my friends ....) in einem syrischen Militärgefängnis nach Recherchen des Spiegel auch Beamte des Verfassungsschutzes und des BKA beteiligt gewesen sein sollen. Der als Al-Qaida-Aktivist verdächtigte Haydar Zammar war Ende 2001 auf einer Marokkoreise vom CIA entführt und nach Syrien verschleppt worden. Aber nach einem Bericht der Washington Post hat der CIA auch in Europa Stützpunkte aufgebaut und Operationen zusammen mit den nationalen Sicherheitsdiensten durchgeführt (Die CIA betreibt in über 20 Ländern geheime Operationszentren). Und die britische Regierung würde auch gerne Informationen, die durch Folter im Ausland erpresst wurden, in Antiterror-Prozessen zulassen, sowie Verdächtige in Länder abschieben, in denen gefoltert wird.