"Die SZ folgt dem technokratischen Herangehen der politischen Akteure"

Seite 2: Sozialpolitik gilt als wirtschaftsschädlich

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Sie erwähnen die Formulierung "extremismustheoretische Argumenten". Was genau meinen Sie damit?

Regina Wamper: Darunter verstehen wir Argumentationen, bei denen sogenannte "rechte" und "linke" Positionen, parallelisiert werden und als Extreme auf eine Stufe gestellt werden. Ausgehend davon kann dann die sogenannte politische "Mitte" als die richtige und vernünftige Position markiert werden, die frei sei von als extremistisch eingestuften Positionen, etwa Rassismus und Nationalismus. Dabei fällt völlig aus dem Blick, dass es sich bei alldem nur um symbolische Zuweisungen handelt, hinter denen unterschiedliche politische Konzepte stehen.

In Ihrer Analyse taucht immer wieder der Begriff Neoliberalismus auf.

Regina Wamper: Das neoliberale Konzept, nach dem vor allem die sogenannten marktwirtschaftlichen Kräfte das ökonomische und politische Leben in Gesellschaften regulieren und sich staatliche Institutionen weitgehend heraushalten sollten, kann als Hintergrundfolie der Bewertungen der Krise in und um Griechenland angesehen werden.

Dass so eine neoliberale Hintergrundfolie verwendet wird, erstaunt nicht wirklich.

Regina Wamper: Das mag nicht wirklich erstaunen, aber dennoch hat unsere Analyse herausgearbeitet, dass ein solches neoliberales Konzept in der SZ stillschweigend vorausgesetzt wird, was sich sehr gut nachverfolgen lässt, wenn man den Begriff der Reformen in der SZ semantisch entschlüsselt.

Wie verwendet die SZ den Begriff denn?

Regina Wamper: Wir müssen uns fragen: Was gilt in der SZ als Reform? Und was gilt der SZ als der Reform abträglich?

Als "Reformen" in Sachen Griechenland gelten sowohl die Bekämpfung von Korruption als auch strukturelle Veränderungen im Staatsapparat wie Privatisierungen und Sozialabbau. "Reformen" dienen dann zum einen dem "Ausmisten des klientelistischen Augiasstalles" (26.1.2015), zum anderen dem wirtschaftspolitischen Aufschwung, auch wenn dies zu Lasten der sozialen Situation geht: Gemeint sind für die Bevölkerung "[s]chmerzhafte Reformen" - so formuliert es Guido Bohsem am 30.5.2015. Und Alexander Kritikos schreibt in einem Kommentar am 28.03.2015 "Es ist die private Wirtschaft in Griechenland, die Luft zum Atmen benötigt, damit dieser permanente Exodus der Top-Forscher und herausragenden Unternehmer aus Griechenland endet. Die griechische Regierung hat es selbst in der Hand, ihren privaten Kräften durch Wirtschaftsreformen die Luft zum Atmen zu geben."

Nicht als "Reformen" gelten dagegen nach Alexander Hagelüken eine "Ausweitung des Streikrechts, Wiedereinstellung von Beamten, Neuauflage der 13. Rentenzahlung oder Stopp von Privatisierungen". (5.2.2015)

Margarete Jäger: Die Vorstellungen davon, was aus der Sicht der SZ Reformen für Griechenland sind bzw. was sie nicht sind, bringt außerdem ein Kommentar von Marc Beise exemplarisch auf den Punkt: "Zentral verantwortlich für die Misere sind aber nicht die mit Reformauflagen versehenen Rettungsprogramme, sondern tiefer liegende wirtschaftspolitische Fehler. Man muss sie klar benennen: Ein starres Arbeitssystem mit hohem Kündigungsschutz hält die Alten im Job und lässt die Jungen nicht rein, Mindestlöhne verschärfen die Lage." (28.5.2015)

In Ihrer Analyse führen Sie noch einen anderen Kommentar an. In ihm wird behauptet, dass "die Griechen die meisten ihrer Probleme selber verursacht" haben. Außerdem sei es absurd "im Ernst [zu] behaupten, an den Problemen in Griechenland seien andere schuld als die Griechen. Etwa Merkel. Die Banken. Die böse Troika." Wird hier Komplexität reduziert?

Margarete Jäger: Ja, dieser Kommentar findet sich auch in unserem Untersuchungsdossier. Hier werden in der Tat die Ursachen für die komplexe Situation, wie sie in Griechenland vorliegt, ausschließlich auf interne Gründe reduziert. Man kann auch sagen, dass Klientilismus und Staatsdirigismus so zur unhinterfragbaren Ursache der europäischen Krise stilisiert werden.

Interessant ist, dass auf dieser Folie dann durchaus auch in der SZ Kritik v.a. am Sparkurs formuliert und die Frage aufgeworfen wird, ob "Angela Merkel in Griechenland zu viel in zu kurzer Zeit wollte und die sozialen Folgen ihres Kurses zu wenig bedacht hat". (20.4.2015).

Kritik findet sich also schon in den Kommentaren?

Margarete Jäger: Sicher, das haben wir ja bereits erwähnt, es gibt Kritik - aber nur in einem sehr engen Rahmen. Die Kritik überschreitet nämlich nicht die Feststellung der Notwendigkeit von "Reformen" im Sinne der Sparpolitik und des Umbaus der griechischen Wirtschaft.

Was bedeutet das?

Margarete Jäger: Das bedeutet, dass über den Kapitalismus hinausweisende Konzepte außerhalb der Grenze des Sagbaren liegen, ebenso wie sozialpolitische Maßnahmen. Sozialpolitik gilt als wirtschaftsschädigend. Insofern wird dann eine Kritik an dem Agieren der Troika auch als "absurd" bewertet.

In den SZ-Kommentaren zu Griechenland fließt an manchen Stellen auch das Thema Russland mit ein. Was ist Ihnen da aufgefallen?

Regina Wamper: Das ist in der Tat sehr interessant. Die Rolle von Russland wird in Verbindung mit der Krise in Griechenland als besonders destruktiv wahrgenommen. Russland wird als äußerer Feind begriffen, der insgesamt als weltpolitischer Akteur seinen Einfluss durch Bestechung, Gewalt und Krieg abzusichern suche. Damit wird Russland im Griechenland-Diskurs zu einer außenpolitischen Gefahr für Europa, sollte es zu einer Kooperation zwischen Tsipras und Putin kommen.

Durch eine solche Positionierung wird Europa als eine Wirtschafts- und Wertegemeinschaft, die untereinander in einem produktiven Wettbewerb steht, abgegrenzt. Europa, so lautet der Umkehrschluss, vertrete seine Interessen eben nicht durch etwa Kriegspolitik.

Laut einer von der Wochenzeitung DIE ZEIT in Auftrag gegebenen Umfrage haben 52 Prozent der Befragten kein Vertrauen in die Berichterstattung der deutschen Medien in Sachen Russland und Ukraine, 46 Prozent der Befragten haben kein Vertrauen in die Griechenland-Berichterstattung. Können Sie diesen Umfragewert im Hinblick auf ihre Analyse kommentieren?

Margarete Jäger: Ich denke, diese Zahlen sagen herzlich wenig darüber aus, aus welchen Gründen die Menschen kein Vertrauen in die Berichterstattung haben, also aus welcher Diskursposition sie ihr Unbehagen artikulieren. Grundsätzlich ist es aber zu begrüßen, wenn die Konsumenten der Medien diese nicht als Produzenten von "Wahrheiten" ansehen und ihnen mit einer gewissen Skepsis begegnet wird.

Allerdings haben die auf den Pegida-Demonstrationen artikulierten Vorbehalte gegenüber einer "Lügenpresse" auch gezeigt, dass es vielfältige Gründe für eine Kritik und Distanz zu den Medien gibt, und diese Vorbehalte eben nicht immer progressiv oder kritisch sind sondern hier vor allem Verschwörungskonstruktionen artikuliert werden.