"Die SZ folgt dem technokratischen Herangehen der politischen Akteure"

Seite 3: In den Bewertungen der Medien werden weitgehend die dominanten oder hegemonialen Aussagen reproduziert

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Ein Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegt in der Diskursanalyse. Hierfür beobachten Sie die Berichterstattung der Medien. Aus Ihrer Sicht: Gibt es wiederkehrende, generelle Schwachstellen, die sich in bestimmten Mediendiskursen finden?

Regina Wamper: Die gibt es leider. Es ist so - und dies haben wir nicht nur in der Analyse der Süddeutschen Zeitung feststellen können -, dass in den Bewertungen der Medien weitgehend die dominanten oder hegemonialen Aussagen reproduziert werden. Das ist auch nicht verwunderlich, da selbstverständlich auch die Medienschaffenden in herrschende Diskurse eingebunden sind. Das heißt, vorhandene Ausgrenzungsstrategien, die sich über die Konstruktion von Dichotomien, von Freund- und Feindbildern sowie über die damit verbundenen Symbole vermitteln, werden auch in den Medien (re)produziert.

Sie erwähnen, dass Medien hegemoniale Aussagen reproduzieren. Medienkritiker sprechen oft von "Herrschaftsmedien", sie implizieren also, die großen Medien würden den Mächtigen, den "Herrschenden", näher stehen als den "einfachen" Menschen. Vertreter der großen Medien betonen hingegen immer wieder, dass ihre Berichterstattung von Vielfalt, von Meinungspluralismus geprägt ist. Stimmt das?

Margarete Jäger: Leider zeigen unsere Analysen häufig, dass die Vielfalt der Berichterstattung doch ziemlich eingeschränkt ist. Dies hat die Analyse der SZ zum Griechenland-Diskurs, die ja innerhalb der Presselandschaft als eher liberal einzuschätzen ist, noch einmal deutlich gemacht.

Die von uns analysierten Kommentare beziehen sich in ihrer Mehrheit auf eine politische und diplomatische Handlungsebene und der darin eingeschriebenen Logik. Dadurch werden jedoch nahezu systematisch die den Politiken zugrunde liegenden Konzepte ausgeblendet und / oder als alternativlos angesehen. Dass dies so ist, lässt sich sicherlich auch mit der Textsorte des Kommentars erklären, mit der tagespolitische Ereignisse bewertet werden. Solche Bewertungen nötigen den Journalisten vielfach die Perspektivebenen auf, auf denen die Geschehnisse verhandelt werden.

Wo ist das Problem?

Margarete Jäger: Der Blick auf das vorliegende durchgängig technokratische Herangehen der politischen Akteure, mit denen sie die Krise bewältigen wollen, wird verstellt. Interessant ist, dass diese Perspektive dann ein wenig angekratzt wird, wenn nicht nur Griechenland, sondern insgesamt die Schuldenkrise oder die Zukunft Europas in den Blick genommen wird. Dann werden Sätze sagbar, dass es zur Stabilisierung der Volkswirtschaften auch darum gehe, staatlicherseits durch ein Investitionsprogramm die Binnennachfrage zu stärken.

Regina Wamper: Hinsichtlich der Frage, ob die Medien, noch dazu in ihrer Gesamtheit, der herrschenden Klasse näher stehen, würden wir dies nicht personifizieren wollen.

Sondern?

Regina Wamper: Die Medien verfügen über eine diskursmächtige Position, indem sie die Richtung von Diskursen mitprägen. Sie sind Akteure, nicht Beobachter. Je stärker sie auf die Karte eines investigativen Journalismus setzen, umso mehr werden sie ihrem Selbstbild näher kommen und eine Vielfalt von Perspektiven in den Diskurs einbringen können. Dafür müsste aber die Bereitschaft da sein, herrschende und herrschaftliche Positionen zu hinterfragen und sich nicht einfach auf die Pressestellen von staatlichen Institutionen zu verlassen.

Lassen Sie uns doch nochmal "personifizieren" bzw. auf die Ebene der Akteure gehen. Ist es nicht so, dass gerade die sogenannten "Alpha-Journalisten" die Positionen der Herrschenden und Mächtigen gar nicht hinterfragen wollen, weil ihr Blick auf die Verhältnisse in etwa auch dem Blick entspricht, den die Entscheider aus Politik und Wirtschaft veranschlagen?

Margarete Jäger: Als Diskursanalytikerinnen schauen wir nicht auf die Motive der einzelnen Journalisten, sondern auf die Effekte, die sich durch die Berichte und Kommentierungen im Diskurs entfalten. Dass es eine gewisse Nähe zwischen Politik und Journalismus gibt, bringen wir dadurch zum Ausdruck, dass wir diesen Diskurs als mediopolitischen Diskurs bezeichnen. Doch suchen wir das Gespräch mit den Medienvertretern.

Wenn wir die Ergebnisse unserer Analysen mit Journalistinnen und Journalisten diskutieren, so verfolgen wir dabei deshalb das Ziel, sie auf solche Mechanismen hinzuweisen und mit ihnen zu besprechen, wie sich ausgrenzende und diffamierende Berichte vermeiden lassen. Aus unserer Sicht nehmen Medienschaffende eine besondere Verantwortung innerhalb der Diskursproduktion einer Gesellschaft ein. Es geht uns darum, das Bild der Medien, das sie auch von sich selbst haben, als Produzenten von Wahrheiten zu hinterfragen und sie zu ermutigen, auch einmal grundsätzlich andere Perspektiven einzunehmen und damit unter Umständen neues Wissen in den Diskurs zu tragen.

Haben Sie eine Erklärung? Wie kommt es dazu?

Margarete Jäger: Ein Grund ist, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industriegesellschaften komplexe Sachverhalte und Konstellationen gesellschaftlich verhandelt und gedeutet werden müssen.

Dies geschieht vor einem interdiskursivem Deutungsrahmen, den wir als Kollektivsymbolik bezeichnen. Darunter verstehen wir ein System von kulturellen Stereotypen, Allegorien und Modellen, das in der Gesellschaft nahezu jedem quasi intuitiv zur Verfügung steht. Dieses Symbolsystem liefert einen Rahmen, innerhalb dessen die komplexen Wirklichkeiten gedeutet werden können und gedeutet werden.

Hinsichtlich der politischen Verortung stellt dieses System z.B. eine horizontale Achse zur Verfügung, auf der die politischen Positionen dann zwischen "rechts" und "links" eingeordnet werden - um ein Beispiel zu nennen. Das Kollektivsymbolsystem übernimmt eine Orientierungsfunktion und hilft uns dabei Sachverhalte symbolisch in vorhandenes Wissen zu integrieren.

Jürgen Link, der sich ausführlich mit diesem System beschäftigt und es für westliche Industriestaaten ausdifferenziert hat, fasste dies einmal treffend so zusammen: Man muss nichts über den Krebs im einzelnen wissen, um zu verstehen, dass Terror "der Krebs der Gesellschaft" ist. Das bedeutet nicht, dass dieses System starr ist und ein Ausstieg aus seiner ihm innewohnenden Logik nicht möglich ist. Symbole sind immer mehrdeutig und können auch umgedeutet werden. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn in den Medien die Kenntnis über die Wirksamkeit solcher Symboliken vorhanden wäre und ihr Einsatz entsprechend reflektiert würde.

Seit einigen Jahren ist aus diskursanalytischer Sicht etwas sehr Interessantes zu beobachten: Den Deutungsnarrativen der großen Medien stellen "alternative Medien" mehr und mehr eigene Deutungsnarrative entgegen. Wenn man sich mit den unterschiedlichen "Wahrheiten" auseinandersetzt, wird schnell deutlich, dass hier vollkommen unterschiedliche "Wirklichkeiten" aufeinandertreffen. Wie betrachten Sie dieses Phänomen?

Regina Wamper: Wir halten das für eine im Prinzip sehr positive Entwicklung, die vor allem durch die Ausbreitung des Internets in Gang gekommen ist. Dadurch ist es möglich, dass die Pluralität von Aussagen zur Geltung gebracht wird. Gewiss gibt es im Internet auch Nutzer, die mit ihren Kommentaren Ausgrenzungen forcieren und damit auch zu einer Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas beitragen. Dennoch können auf diese Weise eben auch bisherige "Wahrheiten" als eine mögliche Auffassung von Sachverhalten kennzeichnen lassen.

Wenn Sie die Erkenntnisse, die sie im Laufe der Zeit durch die Betrachtung und Auswertung verschiedener Mediendiskurse gewinnen konnten, beachten: Wie sollten Rezipienten auf Mediendiskurse, die von einer deutlichen Schlagseite geprägt sind, reagieren? Worauf muss geachtet werden?

Margarete Jäger: In den letzten Jahren wird häufig davon gesprochen, dass die Rezipientinnen und Rezipienten über eine entsprechende Medienkompetenz verfügen sollten. Das finden wir auch. Zu dieser Medienkompetenz sollte es gehören, dass Medien nicht als "Wahrheitsproduzenten" angesehen werden, sondern dass sie diskursive Positionen formulieren. Eine solche Sichtweise macht es dann auch möglich, seine und ihre Stimme dort einzubringen, wo dies erforderlich ist, z.B. wenn es um die Zurückweisung diffamierender und ausgrenzender Positionen geht.

Dr. Margarete Jäger leitet zurzeit das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Regina Wamper, M.A., ist Mitarbeiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung.