Die Seuche

Seite 2: Film, Imagination und Wirklichkeit

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In "12 Monkeys" haben sich die Überlebenden der Seuche unter die verseuchte Erde geflüchtet. Es ist das Jahr 2035. Philadelphia ist eine verlassene Geisterstadt. Tiere streifen durch die Ruinen, die Natur holt sich die Stadt zurück. 1997 hat ein tödlicher Virus fast die gesamte Bevölkerung der Erde vernichtet. Die wenigen Überlebenden haben in der Unterwelt eine rigide Gesellschaftsordnung errichtet. Ausscherende werden ins Gefängnis gesteckt. Der Sträfling Cole, der Held des Filmes, kann durch eine riskante Expedition auf die Erdoberfläche seine Freiheit wiedergewinnen. Er muß in einer Zeitmaschine in das Jahr 1996, also in die Gegenwart der Zuschauer, zurückreisen, um den Ursprung der Virenkatastrophe auszumachen. Wegen der fehlerhaften Zeitmaschine landet Cole allerdings bereits im Jahr 1990. Die Reise geht noch mehrmals schief, und auch die Suche nach der rätselhaften "Armee der 12 Monkeys" geht in die Irre. Auch den Film, die einfache Welt der Imagination, hat die Komplexität der modernen Welt erfaßt. Die einfache Kausalität des Bösen ist verschwunden in einem unentwirrbaren Labyrinth, das keinen Ausweg verspricht.

In der komplexen und globalen Welt, auf der sich die Menschen wie eine Plage ausgebreitet haben und jetzt nicht nur direkt und massiv auf die Biosphäre, sondern auch auf die physikalischen Bedingungen der Erde einwirken, ist nicht mehr wie einst die Natur der große Gegenspieler, es ist die Menschheit selbst, die sich bedroht. Und obwohl die Menschen noch immer versuchen, das Reich des Bösen jeweils woanders und bei anderen anzusiedeln, die es zu bestrafen, zu beherrschen, auszugrenzen oder zu vernichten gilt, ist der große Feind nur noch im Kino und in den Köpfen vorhanden. Genauso wie in komplexen und nicht-linearen Systemen der Chaoswissenschaft und Synergetik schaukeln sich die an sich vielleicht bedeutungslosen Aktionen einzelner Menschen zu einem Gesamtverhalten auf, das tödlich sein kann und bei dem doch kein Einzelner wirklich mehr voll und ganz kausal verantwortlich gemacht werden kann.

Es handelt sich vielmehr um eine zirkulare Kausalität, die aus der Wechselwirkung von vielen lokal agierenden Elementen entsteht, um eine Art Systemböses, das dann entsteht, wenn Gesellschaften nicht mehr von begrenzenden Werten, sondern von freien, miteinander konkurrierenden und lokal nicht mehr einbindbaren ökonomischen Kräften beherrscht werden. Der Kapitalismus, der mit den neuen Informationstechnologien seine ungeschminkte Wiederkehr feiert, ist auch die Wiederkehr des Prinzips des Darwinismus, der heute als Erkenntnisparadigma und Ideologie von der Physik über die Gehirnwissenschaft bis zur gesellschaftlichen Wirklichkeit vorherrscht.