Die Southfork-Ranch in Rumänien

Ein Dallas-Themenpark in der Nähe von Bukarest und die Rezeption amerikanischer Medienmythen in Rumänien

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Ob in Miho, Shenzen oder Las Vegas - die architektonische Kopie im Themenpark-Format atmet tief den Geist von Euro-Zentrismus. Die Amsterdamer Grachten, venezianische Kanalbauten, der Eiffelturm und der schiefe Turm von Pisa zählen zu den Favoriten im Zitatenpool kommerzieller Baukörper-Ingenieure. Doch merkwürdige Aneignungsrituale gehen auch in Europa vor sich. Im Hinterland von Rumänien hat ein Millionär dubiosen Hintergrunds einen exzentrischen Vergnügungspark gebaut, der sich stilistisch nicht an der europäischen Kulturgeschichte orientiert, sondern an der globalen Populärkultur: Die Southfork Ranch, wie wir sie noch aus der Fernsehserie "Dallas" (1978-1991) nur zu gut kennen, wurde rekonstruiert. Doch nicht etwa 1:1. Ihr Schöpfer kannte sie nur aus dem Fernsehen und hat anhand von selbstgemachten Videoaufzeichnungen ein etwas üppigeres Plagiat auf dem Reissbrett entwerfen lassen.

Berühmter als die Playboy-Mansion: Die Southfork Ranch in Nord-Texas

Seitdem erneut ein Bush die Spitze US-amerikanischer Politik erklimmen konnte, macht Texas wieder von sich reden. Der Bundesstaat ist nicht nur wieder angesagt. Waschechte Popkultur wächst auf dessen Boden. Die All-Day-Party-Gesellschaft steht auf Sex und Luxus. Und so macht Shawne Fielding, die Miss Texas von 1994, ihrem Heimatstaat alle Ehre, wenn sie für eine deutsche Illustrierte als Botschafter-Gattin auf tabubrecherischen Fotos posiert. Etwa zeitgleich gibt Party-Animal Geroge W. eine beeindruckende Performance beim Dinner der Journalistenvereinigung White House Correspondents Association zum Besten: "Auf dem College habe ich viel nebenher gelesen," ruft er in die Runde und lässt dabei ein Foto von sich aus alten Tagen herumreichen, auf dem er im Männer-Magazin Playboy blättert.

In der Zwischenzeit wird das Konstrukt Texas-Populärkultur weiter mit neuem Treibstoff versorgt: Endlich stehen nicht mehr Nicole Kidman und Tom Cruise auf der permanenten Gästeliste im Weißen Haus, sondern Chuck Norris und Bo Derek. Frei nach dem Motto "was nicht wächst, wird ausgegraben" machen sich derzeit auch andere US-Bürger daran, die verborgenen Routen der texanischen Populärkultur zu rekonstruieren. Larry Flynt, Gründer des Magazins Hustler, der sich übrigens auch als Aktivist in Sachen Pressefreiheit versteht, lässt seine Spürhunde das Sexualleben des US-Präsidenten auskundschaften. Sean Snyder, ein amerikanischer Stadtforscher, hat sich hingegen eines anderen pikanten Kapitels angenommen.

Texas in Rumänien

In einem Dachcafe am Piata Universitatii, Bukarest, 27.4.2001: "George Bush kann es einfach nichts lassen!" raunt Snyder grinsend in die Runde. Eine Gruppe von rumänischen Architektinnen und Künstlern haben sich um ihn versammelt und begutachten Zeitungsauschnitte, die Snyder tagsüber in mühsamer Recherche in der Nationalbibliothek zusammengetragen hat. Sie sollen Gerüchte belegen, G.W. Bush treibe auch hier sein Unwesen. Wie in den Artikeln voller Nationalstolz, jedoch nicht frei von Ironie, berichtet wird, ist der Bush-Clan ein großer Fan von Bukarest. Hier könne man so richtig Party machen, Feste mit warmherzigen Saufgesellen feiern und eine grossartige Kulturlandschaft bewundern, in der Texas einen quasi-kultischen Ort eingenommen hat. Ilie Radu, der sich ebenfalls zum Freund der Familie zählen darf, hat dazu einiges beigetragen. Als versessener Dallas-Fan hat er den Themenpark Southfork Ranch in Hermesland vor den Stadttoren von Slobozia erbaut, wo auch ein gern gesehener Bush kein Auge trocken lässt. Die guten alten Zeiten werden hier jedoch nicht nur musealisiert.

Als "Dallas" Ende der 70er auf CBS anlief, hatte Joe Duncan, Besitzer der 1970 gebauten Ranch, sein zu Hause noch nicht verlassen. Seine Familie war bei den Dreharbeiten zugegen, als der fiktive Ewing-Clan das Gebäude zur weltbekanntesten Ranch machte und unweigerlich zum öffentlichen Gut werden ließ. Was ein TV-Team auf Drehort-Suche während eines Helikopter-Rundflugs über die Weiten von Nord-Texas gesichtet hatte und zum spirituellen Zentrum der in mehr als 90 Ländern erfolgreichen Serie avancieren sollte, wurde 1985 endgültig zur Touristen-Attraktion: eine Pilgerstätte für alle Fans, die begehbare Fernseh-Geschichte zum Anfassen erleben wollten. Als man den Ort für etliche Millionen Dollar renovierte, wurde er auch um circa 20.000 Quadratmeter erweitert. Die neuen Einrichtungen, darunter ein Konferenz- und Ereigniszentrum, fassen Tausende von Menschen, die hier die Zukunft der Gesundheit debattieren oder zu Rodeo-Shows kommen.

In der Zwischenzeit hatte die Serie auch in Rumänien Anklang gefunden. Wie Sean Snyder betont, war Nicolae Ceausescu damals davon überzeugt, dass "Dallas" die Übel des Kapitalismus aufs Beste illustriert. Um wuchernde Korruption, eitle Machtkämpfe und gewissenlose Geldgier dem rumänischen Volk in seiner aktuellsten Ausprägung vorzuführen, ließ er neben den bereits eingerichteten Kanälen, die sein Leben und Werk täglich aufs Neue bebilderten, auch einen Dallas-Kanal einrichten. Welch desaströse Fehlkalkulation ihm unterlaufen war, sollte Ceausescu spätestens bei seiner Hinrichtung klar geworden sein. Die Leute hatten "Dallas" lieben gelernt (die sonnigen Weiten, den edlen Lebensstil, die prächtigen Farben, kurz: den Luxus) und machten Ceausescu in erster Linie dafür verantwortlich, dass ihnen diese Freuden nicht zu Teil gekommen waren. So sieht es zumindest auch Larry Hagman, der im Rahmen des "Dallas"-Booms in Rumänien nicht nur als über alles favorisierter Ewing absoluter Publikumsliebling wurde, sondern darüber hinaus auch ein Medienstar - in der Werbung, auf den Klatschseiten der Boulevard-Presse. Im Windschatten dieser J.R.-Hysterie begann besagter Ilie Radu die Southfork Ranch im imaginären Hermesland, etwa zwei Autostunden entfernt von Bukarest, nachzubauen. Das war 1991.

Bukarest 2001

Ein Abend in einer Privatwohnung, im südöstlichen Teil der Hauptstadt, etliche U-Bahnhaltestationen entfernt vom Zentrum: Snyder, der unter dem Arbeitstitel "Dallas Southfork in Hermesland" Slobozia, Romania (2000)" mittlerweile seit drei Jahren dem rumänischen Texas-Erbe nachspürt und im Rahmen eines angrenzenden Projekts auch Bukarest zum Gegenstand seiner Studien gemacht hat, räumt die leeren Bierdosen bei Seite und legt seinen jüngsten Fund auf den Tisch: "Endlich habe ich dieses Buch wiedergefunden," gibt er in seiner gewohnt nüchternen Art zu Protokoll, "es ist eine unabdingbare Quelle, wenn man die rumänische Postmoderne verstehen will". Den Bildband in den Händen haltend, fällt zunächst der goldene Schriftzug auf dem Cover ins Auge: Pyongyang. Bunte Farbfotos aus der Nord-Koreanischen Hauptstadt reihen sich aneinander. Als wäre der kanadische Fotokonzeptualist Jeff Wall dort als Agent eingeschleust worden, um im gleichen Atemzug von der kommunistischen Regierung zum Hoffotografen befördert zu werden - die Fotos vom öffentlichen Leben an öffentlichen Plätzen und Arbeitsstätten sind mit großem Aufwand bis ins kleinste Detail inszeniert worden - an sonnigen Tagen, in prächtigen Farben, mit glücklichen Menschen. Dabei kommt die Sonderbarkeit der Stadt samt ihrer Großraumplanung und Architektur zum Vorschein.

Nachvollziehbar wird, was Ceausescu so sehr fasziniert haben muss und dazu veranlasst, einen Stadtteil im Zentrum abzureißen, um das Palatul Parlamentului, das zweitgrößte Gebäude der Welt, zu bauen. Michael Jackson soll hier auf dem Balkon gestanden haben und - wovon Ceausescu nur träumen durfte - einen Gruß an die Bevölkerung ausgerufen haben: "Hallo Budapest!"

Nord-Korea lässt grüßen: Das gigantische "Palatul Parlamentului" in der Zentralperspektive

Als Snyder diese Anekdote zum Besten gibt, sind wir schon längst in die Seitenstraßen jenseits sozialistischer Planungssicherheit abgetaucht. Die Stadt ist ein Dschungel, ein tosendes Geflecht recht flacher, ornamentaler Bauten aus den 20ern, mehrstöckigen Wohnhauskomplexen aus den 60ern und historischen Monumenten, die jeden Stadtbesichtigungsführer tief Luft holen lassen würden. Auf schiefen Ebenen gebaut, im Verfall begriffen. Dazwischen rasende Autos, unzählige Hunde - zottelig, ungewaschen, in kleineren Gruppen auf dem Bürgersteig, faul in der Sonne herumliegend. Es sind 40 Gard Celsius und der Gang durch Bukarest lässt die Sinne im Unklaren darüber, wo man sich befindet und in welcher Zeit: Irgendwie zurückversetzt, an einen mythologischen Ort, vielleicht in Mittel- oder Südamerika? Als wir dann im Taxi sitzen, verblüfft der Fahrer mit fließendem Englisch. Auch er weiß zunächst nichts auf meine Frage nach Slobozia zu antworten; dann dämmerts: "Ach ja, Dallas?" Auch er war noch nie dort und will, wie so viele andere, daran vorbeigefahren sein. Die rumänische Southfork-Ranch liegt schließlich auf dem Weg zum Schwarzen Meer, doch angehalten haben offenbar nicht viele. Von allen, die ich in Bukarest in persönlichen Gesprächen kennenlernte, ist keiner dort gewesen...

Das post-kommunistische Disneyland?

Als das Auto Slobozia ansteuert, geht die Expedition ihrem Ende entgegen. Der Weg führt entlang einer Landstraße durch die flache rumänische Pampa: Bauernhäuser links und rechts - fantasievoll, skurill, eklektisch. Was uns am Ziel erwartet, hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack. Der Themenpark, zwar von seinem jetzigen Besitzer in Schuss gebracht worden, ist menschenleer. Lediglich ein aufgemotzter Range Rover fährt die engen asphaltierten Straßen der Southfork Ranch in Hermesland auf und ab, als gelte es Geschäftigkeit zu simulieren. "Das war der Besitzer," wird Snyder später sagen. Als wir diesen seltsamen Ort wieder verlassen und wie aus dem Nichts ein kleiner weißer Bus mit ausländischen Touristen auf dem Gelände vorfährt, resümiert der Stadtforscher über diesen Themenpark, "der ist für Leute gebaut worden, die einfach nicht existieren." Und in der Tat erinnert das Anwesen an einen x-beliebigen Strand in dieser Welt: Auf der einen Seite die beliebte Siedlung mit Hotels und Bars für den so genannten Shoe-String-Traveller; einige Kilometer weiter ein ausgestorbenes, semi-luxuriöses Urlaubsresort mit abgestandenem Pool-Wasser, verwesenden Fun-Sport-Einrichtungen und leerstehenden Bungalows.

Die Atmosphäre dieser disfunktionalen Luxus-Utopie kommt bei Snyders vorläufig erster Aufbereitung seiner Recherchen zu diesem Thema nur über etliche Ecken gedacht zum Ausdruck. In einer multimedialen, prozesshaft-wirkenden Installationen, die derzeit noch im zeitgenössichen Kunstinstitut in Malmö, Schweden, zu sehen ist und Pläne, Text-Dokumente, Zeitungsausschnitte, sowie Fotos und Videos umfasst, hat er all die disparaten Einheiten zu einem fiktiven Ganzen zusammengeführt: ein sichtlich in die Jahre gekommener und darüberhinaus alkoholisiert wirkender Larry Hagman auf einem Empfang in der rumänischen Hauptstadt. Hagman auf einer gigantischen Werbetafel jener russischen Ölfirma, die ihn auf erfolgreiche Weise noch immer synomym mit Öl erscheinen läßt, hier allerdings wundersamerweise ganz unvorteilhaft mit rosa-aufgeschwommenem Gesicht und rot-angelaufenen Augen präsentiert. Hagman in einem aus alten "Dallas"-Folgen zusammengeschnittenen Video, das in Zeitlupe seine marottenhaften Gesten zelebriert. Neben einem weiteren Video, welches das Quellmaterial und damit den Prozess der Architekten der Slobozia-Ranch rekonstruiert, präsentiert Snyder im nüchternen, aber kommodifizierten Makler-Stil Fotos vom Gebäude, die es begehrenswert erscheinen lassen und als perfekte Kopie inszenieren.

Mit diesen Gliedern spannt Sean Snyder eine Kette, die als fiktives Konstrukt die eingangs skizzierte mediale Atmosphäre durchdringt und sich darin einnistet, wie ein Ballon, den jede Werbeagentur hätte gerne steigen lassen. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich Risse - als hätte Wang Zhihi von den Dallas Mavericks sich diesen Ballon mit seinen großen Händen gegriffen und mit einem kräftigen Slam Dunk zum Rotieren gebracht.