Die US-Regierung und das Power Game
Das Amerika der Falken manipuliert die Forschung, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse umdeutet oder unterdrückt, damit die Industrie ihren Profit optimieren kann
"Die US-Bürger sind von staatlichen Institutionen abhängig, um eine wissenschaftlich begründete Politik zu betreiben, die der Gesundheit und dem Wohlergehen der Nation dient. Inzwischen haben führende wissenschaftliche Zeitschriften begonnen zu fragen, ob die Integrität der staatlichen Institutionen politischen und ideologischen Zielen geopfert wird."
Mit dieser Feststellung legt der Parlamentsabgeordnete Henry A. Waxman in seiner Eigenschaft als Mitglied der Demokraten im "Government Reform Committee" den 40seitigen Bericht Politics and Science in the Bush Administration vor ( s.a. Politics & Science). Henry A. Waxman sieht zwei Muster, nach denen wissenschaftliche Erkenntnisse gebeugt werden:
Da sind Themen wie Abtreibung, Abstinenz und Stammzellenforschung, die den Präsidenten über aktive rechtsgerichtete Wählerschichten beeinflussen, und ferner Themen wie die Globale Erwärmung und die Sicherheit am Arbeitsplatz, die enorme ökonomische Konsequenzen für die Industrie nach sich zögen.
Die Strategie der Regierung beruht nach Waxman auf drei Elementen.
1. Die Besetzung der Berater in den wissenschaftlichen Ausschüssen erfolgt nicht mehr nach Qualifikation, sondern nach dem ideologischen Hintergrund und aus der Sicht der Industrie.
2. Informationen, die der Bevölkerung vermittelt werden, sind gefiltert, damit sie in Übereinstimmung mit den ideologischen und wirtschaftlichen Zielen der Regierung stehen.
3. Die Vergabe von 100 Milliarden US-Dollar an staatlicher Hilfe für Forschung und Entwicklung bedient nur noch Programme, die regierungsfreundlich sind.
Henry A. Waxman macht dieses Muster an mehreren Beispielen fest. So nehme das für die Abtreibungsgegner günstige Ergebnis, wonach Abtreibung den Brustkrebs fördere, über Hand, obwohl zwischenzeitlich Zweifel an der Richtigkeit aufgekommen sind. Die US-Gesundheitsbehörde, die Centers for Disease Control, habe den Beitrag zur Schutzwirkung des Kondoms vom Netz genommen, weil die Anhänger der sexuellen Abstinenz den Gebrauch von Kondomen prinzipiell und wegen der bekanntermaßen unsicheren Wirkung ablehnten.
Einflüsse auf das Trinkwasser, etwa durch Perchlorat oder Blei, würden verharmlost, um die verursachende Industrie nicht mit zusätzlichen Kosten zu belasten. In der Frage der Globalen Erwärmung opponiere die US-Regierung auf vielen Ebenen. Die Forderung von ExxonMobil aus dem Jahr 2001, den Klimaforscher Robert Watson aus dem "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) abzuziehen, wurde ein Jahr später erfüllt (Ein kleiner Coup in Sachen Energiepolitik). Michael Oppenheimer schrieb damals in Science: "Es ist skandalös. Der Eingriff engstirniger politischer Erwägungen in einen wissenschaftlichen Prozess."
Der Report listet weit mehr Aspekte, von Aids bis zur reproduktiven Medizin, vom militärischen Raketenabwehrsystem bis zum Yellostone Nationalpark. Vieles von dem, etwa die intensive Fernsehwerbung der Pharmaindustrie für ihre Produkte, wird auch in Deutschland häufig emotional erörtert. Dem Sprecher des Weißen Hauses fällt es bei dieser Bandbreite leicht, zu erwidern:
Wir brauchen Zeit, um den Report im einzelnen so analysieren. Allerdings zweifele ich sehr an, ob der Abgeordnete Waxman ein objektiver Vertreter wissenschaftlicher Fakten ist.
Henry A. Waxman ist unbequem. Der demokratische Abgeordnete, Jahrgang 1939, der für den 30. Bezirk in Kalifornien spricht, ist auf seinen Spitznamen Bulldogge stolz. Im Unterschied zu den regierenden Republikanern sind die Wahlspenden, die er aufbringt, gering. Dafür lässt er keine Gelegenheit ungenutzt, die Schwächen von Georges W. Bush und seinen Leutnants aufzudecken. Er war es, der den Halliburton-Deal des US-Vizepräsidenten Cheney ins Rampenlicht zerrte (Doch ein bisschen Öl für Blut?), und seit Juni penetrant nach dem Beweis für Massenvernichtungswaffen im Irak fragte (Die Demokratie ist in Gefahr), bis er schließlich das Eingeständnis der US-Regierung hervorkitzelte, wonach die angeblichen Uranlieferungen auf den angeblich fälschlichen Interpretationen des CIA beruhen.
Weniger wäre mehr gewesen
Der Name Henry A. Waxman stand bisher für den Kampf gegen die Tabakindustrie. Der zunehmende Widerstand gegen das Rauchen wurde entscheidend von ihm mitbestimmt. Er beharrte unermüdlich auf der Meinung, Rauchen sei gesundheitsschädlich und gegenteilige wissenschaftliche Erkenntnisse seien künstlich fabriziert und von der reichen Tabakindustrie bezahlt. Seit April mahnt er wiederholt das im US-Kongress beschlossenen Verbot gegen die Verbreitung von Tabak an. Er wirft der US-Regierung vor, die kostenlose Abgabe von Zigaretten an US-Soldaten sei unzulässig. Ferner erarbeite der staatliche Foreign Agricultural Service gesetzeswidrig Marktanalysen für die Tabakindustrie.
So spannend sich der jetzige Report liest: Weniger wäre mehr gewesen. Die Vorwürfe über die Einflussnahme regierungsfreundlicher Vertreter sind ein alter Hut, der jeden Regierungswechsel in Washington und Bonn-Berlin begleitet. Ebenso die Umwertung der staatlichen Förderung, die in Rezessionszeiten die Wissenschaft gewöhnlich dort zuerst abschneidet, wo sie keinen unmittelbaren Nutzen erkennen lässt. Somit bietet das Spektrum mit diskussionswürdigen Situationen der US-Regierung reichlich Gelegenheit zurückzuschlagen, zumal der Abgeordnete mit der von ihm gegründeten Plattform L.A.Pac nicht weniger als Georges W. Bush an die nächste Wahl denkt: "L.A.Pac ist ein politisches Aktionskomitee, um eine Mehrheit der Demokraten im Kongress zu etablieren."
Insofern ist Henry A. Waxman nicht mehr jung genug, um die wahren Spiele der US-Regierung zu durchschauen. Wäre es nicht um Fördergelder gegangen, hätte der Haudegen John Poindexter nicht resignieren müssen wegen jener Auktion um die Zukunft im Mittleren Osten (Wen greift die Bush-Regierung als nächstes an?), die von der US Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) eingefädelt wurde (Future-Börse für Terroranschläge). "Bedauerlich," heißt es dazu im jüngsten Editorial von Nature, dem in London erscheinenden Wissenschaftsjournal. "Die Wissenschaftler, die an diesem einzigartigen Zugang mitwirkten und davon profitierten, sollten den Politikern und der Öffentlichkeit deutlich machen, was sie (an Erkenntnissen) verloren haben."
Brot & Spiele. Das ist nach wie vor der Stoff, aus dem die (politischen und wissenschaftlichen) Träume sind.