Die Ukraine in der EU: Traum oder realistische Zukunft?
Die Ukraine strebt in die EU, doch Korruption und wirtschaftliche Probleme werfen Fragen auf. Neue Studie zeigt Potenziale, aber auch Risiken auf. Erfahren Sie mehr.
Die Diskussion über einen möglichen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union (EU) wird heftig geführt. Kein Wunder, geht es doch im Kern um die Frage, ob ein so armes und korruptes Land in den Binnenmarkt integriert werden kann.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat sich jüngst dagegen ausgesprochen. Auch die Financial Times erklärte, dass sich nicht nur der Agrarsektor in der EU verändern würde, sondern auch die Europäische Union an ihre institutionellen Grenzen stoßen würde. Das Handelsblatt hingegen lobte die Fortschritte der Ukraine seit 2014, betonte aber, dass man erst nach dem Krieg mit Russland beurteilen könne, wie weit das Land wirklich sei.
Am Mittwoch hat auch das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung eine Studie zu diesem Thema vorgelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Beitritt der Ukraine die Europäische Union nicht überfordern würde. Allerdings werden auch einige Herausforderungen benannt.
Gemessen an den wirtschaftlichen Beitrittskriterien sei die Ukraine kein Sonderfall in Europa, heißt es in der Studie. Vielmehr sollte sie wie die elf Staaten betrachtet werden, die zwischen 2004 und 2013 der EU beigetreten sind. Das Land habe Potenzial, es brauche nur den politischen Willen in den europäischen Hauptstädten, dieses zu heben.
Schwachpunkt der Studie ist allerdings, dass sie von einem Sieg der Ukraine ausgeht. Das zeigt sich daran, dass die Autoren der Studie von einem Vorkriegs-Wirtschaftswachstum ausgehen, das zeitweise über dem der EU lag.
Daran wird auch die Wirtschaftsstruktur gemessen. Sie ähnele heute stark der Rumäniens vor dem EU-Beitritt, heißt es in dem Papier. Sie sei stark von Landwirtschaft und Bergbau geprägt, während die Industrie eine geringere Rolle spiele.
Sollte die Ukraine jedoch unterliegen, könnte sie mit dem Donbass und den Gebieten am Schwarzen und Asowschen Meer einen erheblichen Teil sowohl ihrer industriellen Basis als auch von Bergbau und Landwirtschaft verlieren. In diesem Fall müssten die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Ukraine sicherlich neu bewertet werden.
Die Studienautoren bescheinigen der Ukraine ein großes Potenzial im IT-Sektor, der Metallindustrie, der Rüstungsindustrie und vor allem der Landwirtschaft. Allerdings zählen sie mehrere Probleme auf, welche die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine beeinträchtigen können.
Ihnen zum Trotz bescheinigen sie der Ukraine "ähnlich gute Voraussetzungen für einen ökonomischen Aufholprozess, wie er in den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas stattgefunden hat".
Problem Nr. 1: Schwund der Bevölkerung
Der Bevölkerungsrückgang ist laut Studie das gravierendste Problem. Der Krieg hat viele Menschen zur Flucht ins Ausland veranlasst, und je länger er andauert, desto unwahrscheinlicher wird eine Rückkehr.
Die Autoren der Studie betonen: Unabhängig davon, wie lange der Krieg noch andauert, wird sich die Ukraine demografisch wahrscheinlich nie mehr erholen. Sie beziehen sich dabei auf eine wiiw-Studie vom Juli, in der verschiedene Szenarien berechnet wurden. Im Jahr 2040 dürfte das Land immer noch 20 Prozent weniger Einwohner haben als vor dem Krieg (2021: 42,8 Millionen).
Da viele Menschen im arbeitsfähigen Alter entweder ins Ausland geflohen sind oder zum Militärdienst eingezogen wurden, fehlen künftig Arbeitskräfte für den Wiederaufbau. Das Handelsblatt weist auch darauf hin, dass schon jetzt viele Fachkräfte fehlen.
Problem 2: Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit
Die EU-Kommission hat der Ukraine Fortschritte im Kampf gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit bescheinigt. Fast 90 Prozent des Weges seien erfolgreich zurückgelegt worden, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt.
Auch das Handelsblatt attestiert der Ukraine Fortschritte. Im internationalen Korruptionsindex habe sich das Land von Platz 142 auf Platz 116 verbessert. Eine Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung sei aber "die nach wie vor grassierende Korruption in Verbindung mit einem immer noch schwachen Rechtsstaat", betont die wiiw-Studie.
Die Ukraine sei derzeit noch weit von den institutionellen Standards entfernt, die die ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder zum Zeitpunkt ihres Beitritts aufwiesen. Vielmehr sei die Ukraine mit Bulgarien und Rumänien vergleichbar, als diese in den 1990er-Jahren ihr Beitrittsgesuch stellten.
Problem 3: Fehlende Direktinvestitionen
Die grassierende Korruption hat direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Attraktivität der Ukraine: Kaum ein ausländischer Investor gibt Kapital. In keinem anderen Beitrittsland ist der Bestand an Direktinvestitionen so gering wie in der Ukraine.
Der Mangel an ausländischem Kapital hat aber auch mit der niedrigen Produktivität zu tun. Diese wird auf ein mangelhaftes Berufsbildungssystem, eine schlechte Infrastruktur und geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung zurückgeführt. Hinzu komme eine prekäre Sicherheitslage, die auch nach dem Krieg anhalten dürfte.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.