Die Ukraine vor der Wahl - desolat

In großen Teilen der Ostukraine wird nicht gewählt werden, der vermutliche Gewinner Poroschenko der vom Westen forcierten Wahl wird das korrupte System nicht ändern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wieder wurden Soldaten der ukrainischen Armee bei Volnovakha von bewaffneten Separatisten angegriffen und 16 Soldaten getötet (russische Medien machen allerdings den Oligarchen Igor Kolomoisky dafür verantwortlich, Gouverneur von Dnipropetrowsk). Die ukrainische Wahlkommission berichtet, dass gestern die Hälfte der Wahlkommissionen in Donezk und Lugansk von der "Volksrepublik Donezk" eingenommen wurden. Die Separatisten nahmen die Computer und die Wahlunterlagen mit.

Beides weist darauf hin, dass die Antiterroroperation der Übergangsregierung trotz der Beteiligung der Nationalgarde und von Milizen etwa des Rechten Sektors oder von Oligarchen bis zum Wahltag nicht für eine geregelte Wahl sorgen kann. Die Aktion vom Achmetow, des reichsten Oligarchen der Ukraine, seine "Armee" von Arbeitern gegen die Separatisten aufzubieten, um sie zu vertreiben, scheint nicht zu greifen. Die Sicherheitskräfte in der Ostukraine sind entweder mit den Separatisten verbandelt oder halten sich raus. Die Lage dürfte dramatisch werden. So haben Separatisten vier Kohlenbergwerke überfallen, um an den Sprengstoff zu gelangen.

In Kiew hat man allerdings schon vorgesorgt und erklärt, dass auch dann, wenn die Wahlen in Lugansk und Donezk nur teilweise stattfinden können, also möglicherweise 10 Prozent der Bürger nicht an ihr teilhaben können oder wollen, der gewählte Präsident dennoch legitim sei. Auf die Durchführung der Wahl in einem Wildwest-Land, in dem das Militär und irgendwie schnell halbwegs anerkannte Milizen gegen bewaffnete Gruppen von Aufständischen zu Felde ziehen und immer wieder Scharmützel, Gefangennahmen, Verschleppungen und Übergriffe auf beiden Seiten stattfinden, dringt auch der Westen. Die Übergangsregierung in Kiew hat bestenfalls eine fragwürdige demokratische Legitimation, ein Großteil der Bevölkerung in der Ostukraine lehnt sie ab oder misstraut ihr, was nicht heißt, dass die Menschen deswegen einen unabhängigen Staat oder den Anschluss an Russland wollen.

Die Wahl wird mehr und mehr zur Farce und ähnelt darin den Vorgängen auf der Krim, wo scheindemokratisch und in Anwesenheit von russischen Soldaten ein intransparenter Volksentscheid inszeniert wurde, um die Krim in wahnwitziger Geschwindigkeit aus der Ukraine zu lösen und Russland anzuschließen. Beruhigend ist auch nicht, wenn der Jarosch, der Chef des Rechten Sektors, ankündigt, dass seine bewaffneten Mannen der Polizei helfen werden, die Ordnung zu bewahren. Als Präsidentschaftskandidat hat Jarosch keine Chancen, aber die gewaltbereiten Mitglieder des ultranationalistischen Rechten Sektors, der in letzter Zulauf erhalten hat, auch weil er sich der Oligarchenherrschaft zu widersetzen scheint, gewinnen an Einfluss - und sie werden auch weiterhin stärker werden, weil sie sich als Alternative zur altgedienten politischen Kaste und als entschlossene Kämpfer für einen dritten Weg darstellen. Die Umsetzung der IWF-Auflagen wird ihnen helfen, aber auch in der Ostukraine die Separatisten stärken.

Das ukrainische Außenministerium stellt an den Pranger, dass angeblich am 21. Mai bewaffnete Männer versucht hätten, aus Russland in die Ukraine einzudringen. Das sei eine Provokation Russlands, das die Wahlen stören wolle. Deswegen hat sich die Übergangsregierung an den UN-Sicherheitsrat gewandt, sofort eine Sitzung einzuberufen. Nach dem Beginn der Runden Tische hätten die von Russland unterstützen "Terroristen" begonnen, "die Lage zu verschlimmern und Blutvergießen zu provozieren". Allerdings stieß das "Memorandum" auch bei der rechten Swoboda-Partei auf Ablehnung, die darin nur eine Unterwerfung unter Russland sieht, beispielsweise durch Anerkennung der "künstlichen Zweisprachigkeit". Swoboda will, dass die Kommunisten und die Partei der Regionen verboten werden. Nachdem nun auch der Rechte Sektor als Partei anerkannt wurde, strebt Jarosch einen Zusammenschluss mit Swoboda an.

Der Oligarch Poroschenko ("Schokoladenkönig") dürfte der Wahlgewinner werden. Die EU - und die USA - hätten damit einen Präsidenten, der den Anschluss an die EU sucht. Das dürfte ihm gelingen. Ob der Besitzer eines Fernsehsenders aber die Korruption bekämpfen kann, wie er verspricht und was eine der Hauptgründe für die Maidanbewegung war, ist sehr fraglich, schließlich ist er mitsamt seinem Reichtum ein Produkt der Korruption.

Wie andere Oligarchen paktierte er in der Vergangenheit mit allen, um seine Interessen durchzusetzen. Er war schon mal nach der Orangen Revolution Außenminister unter Ex-Präsident Juschtschenko, der zuvor schon mal Ministerpräsident war, aber auch Wirtschaftsminister unter Janukowitsch. Er kennt alle auf der politischen und wirtschaftlichen Bühne, eine Alternative für die Ukraine ist er nicht - und damit eigentlich auch für den Westen, einmal unterstellt, dieser will wirklich einen demokratischen Rechtstaat fördern.

Nach einer Umfrage sagen auch nur 4 Prozent der Ukrainer, er sei ehrlich. Aber weil er clever ist und wegen seines Geldes unabhängig zu sein scheint - der Berlusconi-Effekt -, ist er offensichtlich attraktiv. Die Machtelite der Ukraine kreist in sich selbst. Es werden wie im Feudalismus Plätze getauscht, aber die Machtstruktur bleibt erhalten, auch wenn mal der eine oder andere - wie zuletzt Timoschenko - in Ungnade fällt.