Die Zwickmühle der CO2-Steuer

Seite 3: Klassen-Warenkörbe

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Um die heutigen Emissionen um weitere 82 Prozent zu senken, muss nicht nur der Stromverbrauch von Haushalten und Industrie extrem sinken. Konsequenterweise muss jeder Bereich Emissionen sparen, der sie verursacht, also auch Flugreisen, Landwirtschaft, Frachtschifffahrt, Kreuzfahrtschiffahrt, die Herstellung von Zement, Stahl, Aluminium, und so weiter.

Um zu wirken, muss und soll die CO2-Steuer die Zusammensetzung des Warenkorbs ändern, für den die Masse der Haushalte ihr Geld ausgibt. Als zwangsläufiger Effekt einer wirkungsvollen Steuer bildet der Warenkorb der Konsumausgaben die finanziellen Schichten bzw. Klassen ab.

Das heißt in Bezug auf das Auto: Soll die CO2-Steuer wirklich ihre Ziele erreichen, muss das Autofahren mit Benzin- oder Dieselfahrzeugen für die breite Masse der Haushalte unbezahlbar werden. Damit Parteien, die das fordern oder beschließen, nicht bei der nächsten Wahl unter die 5-Prozent-Hürde fallen, müssen sie akzeptable Alternativen bieten. Das wären alltagstaugliche, bezahlbare Wasserstoff- oder Elektroautos mit ausreichender Reichweite, die die heutigen 43 Millionen Pkw ersetzen.

Da sich nur eine Minderheit Neuwagen leisten kann und es auf absehbare Zeit keinen Gebrauchtwagenmarkt für bezahlbare E-Autos gibt, muss die Frage beantwortet werden: Welche Fahrzeuge bietet man Wählern, die lediglich 4-stellige Beträge oder kleine Raten zahlen können (oder die im Alter von den Banken keinen Kredit mehr erhalten), und für die öffentliche Verkehrsmittel für Arbeitswege, Einkäufe etc. nicht in Frage kommen? "Autofahren nur für Reiche" hat gesellschaftliche Konsequenzen, die die beteiligten Parteien vorher durchdenken sollten.

Eine Quadratur des Kreises sind auch sozialverträgliche und gleichzeitig CO2-sparende Flugreisen. Um hier massiv CO2 zu sparen, müssten Flüge so teuer werden, dass sie sich die Masse der Menschen nicht mehr leisten kann. Damit wären wir zurück in den 1950er-Jahren, in denen nur die Oberschicht die Flugpreise bezahlen konnte. Bei Fernreisen wäre die finanzielle Oberschicht unter sich, während die finanzielle Mittelschicht bei den nächsten Wahlen ihre Reaktion zeigen würde. Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold warnt vor teuren Flügen auch mit dem Argument, dass die Völker isoliert würden. Eine Völkerverständigung durch Reisen und direkte Kontakte fände nicht mehr statt.

Sind Flugzeuge mit Wasserstoff, Brennstoffzellen und Elektromotor eine mögliche Alternative? Zunächst einmal braucht man einen aufwendigeren, zum Beispiel 3-stöckigen Rumpf: Unten Gepäck, darüber die Passagiere, und darüber ein langer zylindrischer Wasserstofftank. Damit solche Flugzeuge nicht zu teuer würden, ist die Massenproduktion eine Grundvoraussetzung. Da aber die meisten Regierungen der Welt ihren Bürgern lieber bezahlbare Reisen bieten wollen, wird es weiterhin Kerosin-Flugzeuge geben, gegen die Wasserstoff-Flugzeuge nicht konkurrenzfähig sind. Wird eine so hohe Kerosinsteuer erhoben, dass das CO2 des Flugverkehrs nennenswert gesenkt würde, weichen die Fluggäste auf Flughäfen in Nachbarländern aus, in denen es diese Steuer nicht gibt.

Auch der Bereich Heizung und Warmwasser birgt Sprengstoff. Früher hieß es, dass man arme Menschen an ihren Schuhen erkennt. Seit der Streichung vieler zahnmedizinischer Kassenleistungen erkennt man arme Menschen auch an ihren Zähnen. Wie verhindert man, dass man bei einer wirksamen CO2-Steuer arme Menschen an ständigen Erkältungen oder am Geruch erkennt, weil sie beim Heizen und Duschen sparen müssen?

Emissionen in Ländern mit und ohne CO2 Steuer

Anhänger der CO2-Steuer nennen Schweden und die Schweiz als Referenz-Beispiele. Um die Theorie zu überprüfen, dass durch eine CO2-Steuer die CO2-Emissionen zurückgehen, muss man Länder mit und ohne diese Steuer vergleichen. Während in Schweden von 1990 bis 2016 die Emissionen mit der Steuer um 26 Prozent sanken, sanken sie in Deutschland ohne die Steuer laut Umweltbundesamt und Europäischer Umweltagentur um 27,3 Prozent. In UK (Großbritannien plus Nordirland) sanken sie ohne die Steuer um 39,4 Prozent. Im Durchschnitt aller 28 EU-Länder sanken sie um 24,0 Prozent. Besonders stark sanken die Emissionen in Osteuropa.

Wenn zum Beispiel der Tagesspiegel vom Wunder der schwedischen CO2-Steuer spricht, bleibt die Frage unbeantwortet, warum die Emissionen in Deutschland und UK ohne die Steuer stärker gesunken sind. Die Antwort ist unübersehbar: An der Steuer kann es nicht gelegen haben. In Schweden und in der Schweiz hatte die CO2-Steuer keine Wirkung.

Schweden führte die Steuer 1991 ein. Aktueller Steuersatz: 120 Euro pro Tonne CO2 mit bis zu 60 Prozent Nachlass für die Industrie. Die Schweizer nennen ihre CO2-Steuer Lenkungsabgabe. 2008 wurde sie eingeführt, und dennoch steigen seit 2011 die CO2-Emissionen. Das liegt erstens am niedrigen Steuersatz von 96 Franken/Tonne, von denen die Bürger über ihre Krankenversicherung 64 Franken zurückerstattet bekommen, sodass der Steuersatz netto bei lediglich 32 Franken/Tonne liegt. Zweitens liegt es daran, dass die Schweizer lediglich fossile Brennstoffe besteuern, aber keine Treibstoffe und auch sonst nichts. Eine CO2-Abgabe auf Flugtickets von lediglich 12 - 30 Franken pro EU-Flug und 30 - 50 Franken für Langstreckenflüge lehnte der Nationalrat ab.

Die offensichtlich wirkungslos niedrige Höhe von brutto 96 und netto 32 Franken pro Tonne Brennstoff muss man auch in Relation zum Einkommen setzen: Das Schweizer Medianeinkommen liegt bei über 6.500 Franken monatlich. 90 Prozent aller Schweizer Arbeitnehmer verdienen mindestens 4.313 Franken monatlich.

In Schweden haben (ebenso wie in der Schweiz) Atomkraftwerke 40 Prozent Anteil an der Stromherstellung (zum Vergleich: 11,7 Prozent in Deutschland). Mit Atomkraftwerken kommen die Schweiz und Schweden zwar auf niedrige CO2-Emissionen - aber zum indiskutabel hohen Preis des Atommülls, den sie für zigtausend Generationen hinterlassen, sowie des Betriebsrisikos.

Das Beispiel der (mit und ohne Steuer) fast überall in Europa gesunkenen Emissionen zeigt, dass eine Gleichzeitigkeit nicht notwendigerweise eine Ursache-Wirkung-Beziehung hat. Die entscheidende Frage lautet: Aus welchen Gründen sanken in (fast) ganz Europa die CO2-Emissionen? Dafür gibt es mehrere Ursachen: Der technische Fortschritt und schärfere Umweltnormen bewirkten eine sparsamere Ressourcenverwendung und dadurch drastisch sinkende Emissionen bei Benzin- und Diesel-Fahrzeugen sowie bei Heizungen und Fabrikationsanlagen. 1990 fiel der Eiserne Vorhang, wodurch Osteuropa zur "verlängerten Werkbank" Westeuropas wurde. Fabrikationsanlagen wurden modernisiert oder gleich ganz neu gebaut - mit weitaus niedrigeren Emissionen als die uralten Anlagen der kommunistischen Ära.

Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Verlagerung von industrieller Produktion nach Asien: Der Smog in Schanghai und Peking entsteht zum Großteil durch die Produktion für den europäischen und US-Markt. Gerade das Beispiel UK zeigt den logischen Zusammenhang zwischen Deindustrialisierung und dem Rückgang der Emissionen.

Die Verlagerung der Produktion zeigt auch ein Kernproblem der CO2-Berechnung auf: Die Emissionen werden dem Land der Produktion zugeordnet statt dem Land des Konsums, das diese Waren importiert und durch den Konsum der eigentliche Verursacher ist. Der offizielle Wert von 4,53 Tonnen CO2 pro Schweizer Einwohner und Jahr ist irrelevant, wenn man ehrlich bilanziert und das "Konsumprinzip" anwendet. Das heißt: Schweizer produzieren pro Kopf und Jahr 23,0 Tonnen CO2, wenn man die Produktionsprozesse der importierten Konsumgüter korrekt bilanziert. Österreicher liegen bei 21,5 und Deutsche bei 18,3 statt der offiziellen 10,4 Tonnen/Jahr.