Die Zwickmühle der CO2-Steuer

Seite 2: Die Zwickmühle

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Eine mittelfristige Steuer von 180 Euro/Tonne, die das Umweltbundesamt als Break-even für die Schäden beziffert, bedeutet 53 Cent pro Liter Heizöl, 42 Cent pro Liter Benzin, 48 Cent pro Liter Diesel und (je nach Quelle) 10-15 Cent pro Kilowattstunde Strom. Da auch Industrie, Handel, Dienstleister, Baubranche und Landwirtschaft bei Produktion und Transport fossile Energie verbrauchen, wird jedes Produkt teurer, in dessen Preiskalkulation fossile Energie enthalten ist - also fast jedes.

Für den nächsten Bundestags-Wahlkampf ist es daher logisch, dass sich die Parteien auf die Konsequenzen der Steuer fokussieren: Ist der Steuersatz niedrig, wirkt er nicht. Ist er hoch, wird alles zum Luxusgut, was viel CO2 produziert - vor allem Autofahren, Flüge, Fleisch, Milchprodukte, Warmwasseraufbereitung und Heizen. Durch die Wirkung auf die Preise nahezu aller Güter wird auch das urdeutsche Schreckgespenst "Inflation" zum Wahlkampfthema. Um dies zu vermeiden, wollen manche Parteien und Experten jedem Haushalt den Durchschnittssatz pro Haushalt erstatten lassen. Das nimmt ihr (siehe unten, Schweden und Schweiz) die Wirkung und löst die Zwickmühle nicht auf: Wirksam oder mehrheitsfähig?

Minus 82 Prozent in 30 Jahren?

Das Ziel der CO2-Steuer ist nicht die Erzielung von Einnahmen, sondern eine steuernde Wirkung, nämlich die Emissionen von CO2 und Methan extrem zu senken. Die Bundesregierung definiert dieses Ziel: "Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis zum Jahr ... 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren (jeweils bezogen auf das Basisjahr 1990)." Das Basisjahr 1990 ist ein Kniff, um die Reduktion größer wirken zu lassen als sie es im Vergleich zu heute wäre.

1990 lagen die CO2-Emissionen Deutschlands laut Umweltbundesamt bei 1.248 Mio. Tonnen. Für 2018 nennt das Umweltbundesamt 866 Mio. Tonnen. Rechnet man bezogen auf das Jahr 1990 mit dem Mittelwert des Regierungsziels (also 87,5 Prozent Reduzierung), müsste Deutschland die Emissionen auf 156 Mio. Tonnen reduzieren. Anders ausgedrückt: Im Vergleich zu 2018 müsste jeder Bundesbürger 82 Prozent CO2 einsparen, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Das heißt: Entsprechend weniger Auto fahren, reisen, heizen, Fleisch- und Milchprodukte essen, auch sonst weniger essen und entsprechend weniger Produkte fast jeglicher Art kaufen.

Ein quadratischer Kreis

Einsparungen bei Benzin, Heizung, Strom und Warmwasser sind vor allem bei den finanziell unter Druck stehenden Privathaushalten (also der großen Mehrheit) kaum noch möglich. Bei der typischen Mittelschicht sind die Ausgaben "auf Kante genäht". In einer Studie der ING Diba erklärte ein Drittel der Befragten, über keinerlei Ersparnisse zu verfügen, und über die Hälfte erlebte bereits finanzielle Engpässe am Monatsende. Es sei auch daran erinnert, dass ALG 2-Bezieher ihre Strom- und Warmwasserkosten von ihrem kargen Regelsatz finanzieren müssen. Nicht anders geht es den vielen Geringverdienern und Rentnern.

Als zum Beispiel die Grünen in der Bundespressekonferenz vom 28.06.19 erklärten, dass die CO2-Steuer (sie verwenden das Etikett "Preis" statt "Steuer") "ökologisch wirksam, sozial gerecht und und ökonomisch sinnvoll" sein soll, stellte niemand die Frage, wie sie die Zwickmühlen auflösen wollen.

Da alle Unternehmen betriebswirtschaftlich ohnehin immer auf Effizienz und Kostensenkung getrimmt sind, sind zusätzliche Energieeinsparungen auch hier nur begrenzt möglich. Hinzu kommt: Je teurer Energie wird, desto stärker steigt der Druck, Energie-intensive Industrien ins Ausland zu verlagern. Eine weitere Zwickmühle lautet folglich: Wie kann man eine wirksame CO2-Steuer umsetzen, ohne Deutschland zu deindustrialisieren?

Die Bundesregierung nimmt das Jahr 1990 als Maßstab. Laut Umweltbundesamt sanken seitdem die CO2-Emissionen der Industrie um 32 Prozent. Der technische Fortschritt und das Herauskitzeln von Effizienzgewinnen werden einen Beitrag leisten, aber längst nicht ausreichen.

Regenerative Energien sind Teil der Lösung, werden aber auch nicht ausreichen. Heute stammen zwar rund 40 Prozent des Stroms, aber nur 14 Prozent des Gesamtenergiebedarfs in Deutschland aus regenerativen Energien.

Möglich ist theoretisch Vieles: Wenn Windkraft und Geothermie ausgebaut, auf jedem Dach und jeder Süd- und Westfassade eine Photovoltaik-Anlage installiert, Biomasse-Energie ohne Konkurrenz zu Nahrungsmitteln ausgebaut würde, und wenn auch kleine Alternativen wie Strombojen in Flüssen oder Flugwindkraftanlagen (Drachen an Seilen, die Generatoren antreiben) ihren Beitrag leisten dürften, und falls ausreichende Speichermöglichkeiten bestünden, wäre eine hohe Einsparung an CO2 möglich, aber nicht im Entferntesten um 82 Prozent, wie es beabsichtigt ist.

Bei regenerativen Energien gilt für sehr viele Bundesbürger "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Bei Windrädern dominiert das Sankt-Florians-Prinzip: Grundsätzlich gern, aber nicht in Sichtweite, nicht in einer Höhe mit viel Wind (ab 200 Meter), ohne Vogelschlaggefahr und ohne den geringsten "Infraschall". Bei fast jedem neuen Windrad gehen die Anwohner auf die Barrikaden. Die bayerische Landesregierung schreibt Mindestabstände für Windräder zu Wohngebäuden und Naturschutzgebieten vor, die so groß sind, dass in ganz Bayern auf 99,95% der Fläche kein weiteres Windrad mehr aufgestellt werden darf.

Windstrom sollen doch bitteschön die norddeutschen Bundesländer liefern, und zwar per Überlandleitungen, die auch wieder niemand haben will. Für die unerlässlichen Pumpspeicherkraftwerke müssten Speicherseen auf Bergen und Hügeln angelegt werden, aber selbst Speicherseen will fast kein Naturschützer akzeptieren. Geothermie wird wegen möglicher kleiner Erdstöße abgelehnt. Photovoltaik-Module sollen weder Dächer noch Fassaden noch Freiflächen "verschandeln." Und schließlich finden Naturschützer irgendwelche Tierarten, deren Schutz den Bau regenerativer Energieanlagen verhindert. Wobei genau diese Anlagen ihrer Gesamtbilanz viel mehr Tiere schützen als sie gefährden.

Wer regenerative Energie durchsetzen und die Natur schützen will, muss sich also mit Naturschützern anlegen, deren Horizont bei weitem nicht das Ausmaß ihrer Erregbarkeit hat.