Die einfache Entscheidung über Volksverhetzung

Seite 3: Rechtswidrige vs. strafbare Inhalte - ein kleiner, aber unfeiner Unterschied

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Dabei ist Volksverhetzung nicht die einzige im NetzDG aufgeführte Straftat, deren Bewertung sich als wenig trivial erweist, ganz im Gegenteil. §3 NetzDG listet auf: §86 (Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), §86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), §90 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), §90a (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole), §111 (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), §126 (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), §130 (Volksverhetzung), §140 (Belohnung und Billigung von Straftaten), §166 (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen), §185 (Beleidigung), §186 (Üble Nachrede), §187 (Verleumdung), §241 (Bedrohung), §269 (Fälschung beweiserheblicher Daten).

Um aber gegen Kritik daran, wie schwer die Bewertung dieser Straftatbestände ist, gewappnet zu sein, wurde im NetzDG eine kleine Unterscheidung gewählt, die auch jugendschutz.net Gelegenheit gibt, sich sozusagen an der Kritik "vorbeizuwieseln".

Der Entwurf des NetzDG spricht nämlich nicht von strafbaren Inhalten, sondern von "rechtswidrigen Inhalten". Wie RA Prof. Niko Härting formuliert, ist diese Unterscheidung deshalb wichtig, weil z.B. bei Beleidigungstatbeständen (anders als bei strafbaren Inhalten) nicht mehr der Vorsatz eine Rolle spielen würde.

Vereinfacht gesagt: Es reicht, wenn jemand den Kommentar als beleidigend ansieht oder sich beleidigt fühlt bzw. meint, dass jemand sich beleidigt fühlen könnte. Wichtig wäre diese Unterscheidung auch bei der Verunglimpfung des Bundespräsidenten, denn gem. des entsprechenden Paragraphen wird dieser Tatbestand nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten selbst verfolgt, das NetzDG jedoch lässt eine Beleidigung des Bundespräsidenten als rechtswidrigen Inhalt deklarieren und unterwirft somit die Entscheidung, ob es sich um eine solche handelt, den einzurichtenden Gremien bei Facebook und Co.

Jugendschutz.net nutzt dieses Einfallstor auch entsprechend um in ihrer Stellungnahme zum Aspekt rechtswidrig vs. Strafbar zu schreiben:

Das Gesetz definiert als rechtswidrigen Inhalt, wenn der objektive Tatbestand eines der genannten Strafgesetze erfüllt ist. Anders als im Strafverfahren geht es beim Löschen von Inhalten nicht um den Nachweis von objektivem und subjektivem Unrecht. Ausreichend ist wie bei der Gefahrenabwehr die Beseitigung objektiven Unrechts. Dies ist bei Delikten, die Rechtsgüter der Allgemeinheit betreffen, wie zum Beispiel Volksverhetzung, auch erforderlich. Die Funktion des NetzDG-E übernimmt bei manchen Tatbeständen bereits jetzt der JMStV, der gleichfalls den objektiven Gehalt der Strafnormen übernimmt.

Einfach ausgedrückt: selbst wenn ein Richter letztendlich den entsprechenden Kommentar als nicht strafbar ansehen würde, heißt dies nicht, dass dies für den Kommentierenden irgendeinen Unterschied bedeutet da ja nicht die Strafbarkeit sondern die "Beseitigung objektiven Unrechts" und die Rechtswidrigkeit eine Rolle spielen.

Eine solche Gesetzgebung würde bedeuten, dass die Willkür, die derzeit bei der Löschung durch Facebook selbst beklagt wird, weiter vorangetrieben wird, aber einen hoheitlichen Anstrich bekommt.

In Teil 8: Facebooks Sündenfall, oder: sich selbst ein Bein gestellt