Die hohe Inflation und die bedrohlich steigende Kerninflation

Seite 2: Wenn die Inflation in die Breite geht

Anders als die deutschen Statistiker gibt die spanische INE auch den Inflationswert an, aus der in Spanien Energie und verarbeitete Lebensmittel herausgerechnet werden.

Nimmt man diese Zahl in den Bericht auf, bleibt von der Hoffnung kaum mehr eine Spur übrig. So ist in Spanien zwar die allgemeine offizielle Inflationsrate nur auf 5,6 Prozent gestiegen, aber die Kerninflation ist noch deutlich weiter gestiegen und liegt nun erstmals über dem HVPI-Wert und das mit 6,9 Prozent sogar markant.

Wir hatten hier immer wieder davor gewarnt, es bestehe eine starke Gefahr dafür, dass die Inflation in die Breite geht. Genau das hat die Schweiz zum Beispiel zu verhindern versucht. Die Inflationsrate stagnierte beim Nachbar im November bei gerade einmal drei Prozent.

Da in der Schweiz die Löhne im Durchschnitt um 2,5 Prozent zugelegt haben, ist dort der Kaufkraftverlust auch nur gering.

In Deutschland dagegen ist sogar nach stark aufgehübschten Destatis-Daten der Kaufkraftverlust schon "so hoch wie nie zuvor". Das zeitigt vermutlich dann noch ziemlich schlechte Auswirkungen auf die Konjunktur.

Der Schweiz ist bisher gelungen, es zu verhindern, dass die Inflation in die Breite geht. In der Eurozone hat die erratische EZB-Politik aber dafür gesorgt, dass die Inflation eben in die Breite gehen konnte – statt für Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent zu sorgen, was ihre eigentliche Aufgabe ist.

Die Anpassung der Doktrin

Stattdessen hat man nach politischen Vorgaben die Zielmarke noch eilig, wenn auch nur leicht, von "knapp unter zwei Prozent" auf zwei Prozent angehoben. Dramatischer war aber, dass die Zentralbank nun auch "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" akzeptieren will und das "über einen längeren Zeitraum" hinweg.

Die Anpassung der Doktrin kam ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Inflation aus dem Ruder lief. Damit wurde im Sommer 2021 der Weg zu der Entwicklung zementiert, die wir 2022 schmerzhaft zu spüren bekommen haben.

Die Kerninflation

Wie stark die Inflation in der Breite angekommen ist, darüber sagt die Kerninflation etwas aus. In Spanien lag die zum Jahreswechsel 2021 bis 2022 noch bei etwa 2,2 Prozent. Sie ist in 12 Monaten auf 6,9 Prozent explodiert. In Deutschland sieht das ähnlich aus.

Lag die Kerninflation im Januar 2022 bei 2,9 Prozent, hat sie sich schon bis November auf fünf Prozent fast verdoppelt. Bisher wurde die hohe Inflation vor allem auf die gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise geschoben, die zeitweise besonders stark gestiegen sind.

Dass dahinter aber auch massive Spekulation steckt, wird nicht erklärt, dabei sind auch die Mitnahmeeffekte über die "Gewinninflation" längst in die Breite gegangen. Das drückt sich in Entwicklung der Kerninflationsraten aus, die zeigen, dass die Inflation inzwischen in der gesamten Breite angekommen ist.

Deshalb warnt der spanische Wirtschaftswissenschaftler Becerra richtigerweise eindringlich vor Erfolgs- oder Hoffnungsmeldungen, die einer realen Grundlage entbehren. Dass die Kerninflation in Spanien erneut um 0,6 Prozentpunkte angestiegen ist, "gibt eine Vorstellung davon, was in den kommenden Monaten passieren könnte".

Er richtet sich an seine Twitter-Follower und erklärt: "Und stellen Sie sich vor, was mit dem Verbraucherpreisindex passiert, wenn die Energiepreise wieder steigen." Die Inflation geht dann nämlich erst richtig durch die Decke und 2022 war nur ein Vorgeschmack.

Wann geht die Inflation zurück?

In der deutschen Wirtschaft gibt es deshalb auch Stimmen, die nicht davon ausgehen, dass die hohe Inflation rasch sinken wird, wie es uns die EZB immer wieder zu verkaufen versucht.

"Die Inflation hat bereits vor der Energiekrise eingesetzt und wird auch erst mal andauern", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Inflation noch einige Zeit über der sinnvollen EZB-Zielmarke von zwei Prozent liegen wird", fügte er an.

"Eine spürbare Verlangsamung der Preissteigerung ist vermutlich erst ab dem Sommer 2023 zu erwarten", meint der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) sogar noch einigermaßen optimistisch.

Aber auch Holger Schwannecke schränkt ein, dass die Teuerung trotz allem auf hohem Niveau bleiben werden und die Steigerungsraten "deutlich höher als in den Jahren vor 2022 liegen". Nur die allerwenigsten Betriebe hätten die gestiegenen Kosten für Energie, Rohstoffe oder Vorprodukte vollständig über höhere Endkundenpreise weitergeben können.

Auch nach Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wird die Inflation längst nicht mehr hauptsächlich von den Energiepreisen getrieben, sondern von mehreren Faktoren, weshalb einer Rückkehr auf die EZB-Zielmarke von zwei Prozent länger dauern dürfte.

Erst Mitte des Jahrzehnts sei damit zu rechnen, "wenn die Geldpolitik Wirkung zeigt", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Dass wenigstens der Höhepunkt erreicht wurde, hofft optimistisch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Der BGA-Präsident Dirk Jandura will "erste Anzeichen" von einem nachlassenden Preisdruck sehen.

Aussichten

Der DIHK-Präsident Adrian hält die EZB-Geldpolitik noch immer für zu zögerlich, auch wenn Lagarde weitere Zinsanhebungen ankündigt, die in Zukunft aber schwacher ausfallen sollen. Die Frankfurter Notenbank stehe einer großen Zahl an Herausforderungen gegenüber, verweist Adrian allen voran auf importierte Inflationstreiber in Form von gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen.

"All dies kann sie aktuell nicht einfach einfangen", meint er. Aber er sieht, dass die EZB "mit den Zinsanhebungen und damit der Rückführung der expansiven Geldpolitik viel zu spät begonnen" habe.

Jetzt müsse sie deshalb die Zinsen umso schneller erhöhen. "Das erschwert die Unternehmensfinanzierung und ist ein zusätzlicher Belastungsfaktor für die Betriebe", meint er. Trotz der dunklen Wolken am Horizont, rechnet der BDI-Präsident Russwurm nur mit einer schwachen Rezession in Deutschland.

Ob es tatsächlich so kommt, hängt mit der Entwicklung der Energiepreise und damit mit den Entwicklungen im Ukraine-Krieg zusammen. Großbritannien erwartet eine Jahrhundertrezession, was aber ebenfalls mit ganz eigenen Faktoren zu tun hat. Die Konservativen dort haben das Königreich tief in die gefährliche Stagflation geführt.