Die hohen Politiker und das Internet

Auch der russische Präsident Jelzin will jetzt ein Interview im Netz geben

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Lauthals preisen alle Politiker das Internet und dessen neue Kommunikations-, Informations- und Vermarktungsmöglichkeiten. Allmählich haben sogar die deutschen Politiker eine Email-Adresse, auch wenn die nur Prestigesache zu sein scheint. Das zumindest hat Uly Foerster herausgefunden, wie er in einem Beitrag zur Spiegel Netzwelt berichtet.

Foerster nämlich hat das Angebot angenommen und einigen hohen deutschen Politikern eine Mail geschickt, in der er fragte, was dem Angeschriebenen etwa das Internet bedeute, werde diese Email beantworte oder ob er das Internet selbst benutze. Abgeschickt am 28. April an Schröder, Westerwelle, Kohl, Hintze, Scharping, Lafontaine, Joschka Fischer oder Waigel, wartet er noch heute auf Antwort. Keiner der Demokraten scheint davon Kenntnis genommen zu haben. Nicht einmal eine automatische Eingangsbestätigung kam zurück. Die Politik scheint also noch anders zu funktionieren, eine elektronische Demokratie noch weit entfernt.

Dafür gibt es immer einmal wieder symbolische Aktionen, in denen man sich der virtuellen Öffentlichkeit stellt. Erst vor kurzem gab sich Tony Blair die Ehre, jetzt ist offenbar auch der russische Präsident Jelzin dran, um seine Fortschrittlichkeit zu demonstrieren.

MSNBC hat es geschafft, den Präsidenten am 12. Mai für eine halbe Stunde ans Internet zu bringen. Aber dem stehen, wie üblich, einige Schwierigkeiten entgegen. Sollte der Präsident etwa selbst Email empfangen und versenden oder gar an einem Live-Chat teilnehmen? Anders als die meisten Computeranalphabeten auf der höchsten politischen Ebene hat Jelzin zumindest eine Entschuldigung, denn er hatte als Kind zwei Finger verloren, als er mit einer Granate spielte. Aber auch diejenigen, die noch alle Finger besitzen, lassen sich kaum zur Tastatur herab. Dafür hat man seine Mittelsmänner und -frauen.

Symbolisch ist also nicht nur das mittlerweile verpflichtend gewordene Internet-Interview, weil man damit in die Nachrichten kommt, zumindest wenn man es das erste Mal macht, sondern symbolisch ist auch die Durchführung. Die Bürger der ganzen Welt dürfen also an eine Email-Adresse ihre Fragen schicken. Dort werden sie von Redakteuren ausgesiebt. Die übriggebliebenen Mails werden dann einem Übersetzer in Moskau telefonisch mitgeteilt, der Jelzins Antworten wieder über Telefon zum Hauptquartier von MSNBC in Redmond leitet. Dort werden sie von jemanden in den Computer eingegeben und ins Netz gestellt. Die Antworten kann dann jeder "live" lesen und sich dabei ein Foto anschauen, das Jelzin bei der angeblichen "internet session" zeigt.

Unlängst gab es das erste Live Chat mit einem Primaten. Gorillaweibchen Koko wurde den Fragen der neugierigen Menschen ausgesetzt. Recht viel umständlicher war die Prozedur auch nicht - und die Antworten werden sich auch in ihrem Informationswert etwa gleichen.

Dazu siehe auch: Ungeahnte Einigkeit. Die Rolle des Internet in der Parteipolitik von Niels Werber.