Die nächste Welt sehen!

Von Ninja und seinen Jump-And-Run-Déjàvus

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Namco mixt mit "I-Ninja" einen Mario-Sonic-Rayman-Cocktail - mit ein paar Oliven aus "Super Monkey Ball" und Co. Während das Spiel in den USA für alle drei aktuellen Konsolen erschien, schauen GameCube- und XBox-Besitzer in Europa in die Röhre: Sony Computer Entertainment bringt das Spiel exklusiv für die PS2 heraus.

I-Ninja ist ein Jump-And-Run-Spiel mit einem quirligen Ninja-Helden (sein Name: "Ninja"), der gerade einmal die Wurfsterne mit den schleichenden Schattengestalten aus Activisions Tenchu gemein hat. Statt der schlanken, eleganten Erscheinung bringt er mehr die äußerlichen Merkmale eines Bomberman (vgl. Explosiver Held) oder Mario mit sich, statt zu schleichen fegt er lieber durch die Level - die Ruhe hat er spätestens mit dem Wutstein verloren, der die Story eröffnet und durch den Ninja seinen Sensei von dessen Kopf befreit. Zum "Dank" dafür begleitet der Geist des Meisters Ninja durch das Spiel. Die Geschichte ist sehr dünn, die Bosse bis zum letzten Endgegner existieren ohne ersichtlichen Kontext - die wahre Nemesis in Form eines Bowser oder Dr. Eggman fehlt.

Ninja kämpft sich durch fünf Spielwelten mit üblicherweise drei normalen Levels, einem Boss und unterschiedlichen Minispielen. In der ersten Welt sind die Missionen noch recht schlüssig miteinander verbunden: Es gilt die fehlenden Einzelteile eines gigantischen Roboters wiederzubeschaffen, um diesen in einen Boxkampf gegen den ersten Boss-Roboter zu führen. Im weiteren Spielverlauf verliert sich die logische Verknüpfung der Levels untereinander.

Die britische Entwicklerschmiede Argonaut bedient sich gleich bei mehreren bekannten Genre-Vorbildern, sodass jedem halbwegs erfahrenen Jump-And-Run-Spieler die Steuerung und die Bewegung innerhalb der Spielwelt bekannt sein dürfte. Es gilt das uralte Spielprinzip "Kill everything that moves, collect everything which doesn't move". In den normalen Levels stellen sich vor allem künstliche Ninjas unserem Helden in den Weg, die zwar im Lauf des Spiels widerstandsfähiger werden, aber durchweg dieselben Angriffsmuster verwenden. Mehr als durch seine Gegner glänzen die Level durch das Level-Design mit einer soliden Mischung aus Kämpfen und Geschicklichkeitstests bei den im Genre unvermeidlichen Sprüngen, dem Laufen an Wänden, Seilschwingen und Grinden.

Hinzu kommen noch Anleihen aus Marble Madness beziehungsweise Segas Super Monkey Ball (vgl. Daddeln pur): Der Spieler muss mal eine Kugel, mal ein Pulverfass durch einen Parcours mit Hindernissen, Engpässen, Steigungen und Feuerfontänen manövrieren. Die Minispiele und Bosskämpfe sind recht originell und teils völlig von Jump-And-Run-Standards Spielgeschehen losgelöst.

Positiv im Vergleich auch zu manchem Klassikern fällt vor allem die technische Umsetzung auf: Fehltritte hat sich der Spieler stets selbst zuzuschreiben, die Kamera verhakt sich nicht (wie beispielsweise gerne in "Super Mario Sunshine", vgl. Zur Sonne, zur Freizeit) hinter Wänden, bewegt sich an Kurven und Ecken stets sanft genug, dass der Spieler seine Steuerung daran anpassen kann. Auch reagiert das Spiel genau auf die Befehle vom Gamepad. Beim Scheitern an schwierigen Stellen ist man sich stets bewusst, zum falschen Zeitpunkt gesteuert zu haben, verflucht nicht das Spiel, den Druck auf die Sprungtaste zu ignorieren.

Für das erfolgreiche Absolvieren eines Levels erhält Ninja ein Abzeichen, hat er davon genügend beisammen, erreicht er eine neue Stufe - nicht gerade Ninja-typisch gekennzeichnet durch Gürtel und Stirnband. Boss-Level und der Weg in die jeweils nächste Spielwelt erfordern eine bestimmte Gürtelfarbe, wobei sich der Held in jedem Level insgesamt drei Abzeichen verdienen kann, da nach dem normalen Abschluss zwei zusätzliche Herausforderungen warten: Der Spieler muss das Level beispielsweise in einer bestimmten Zeit schaffen, während der Mission rote Münzen sammeln oder eine Mindestanzahl von Gegnern besiegen.

Der Schwierigkeitsgrad weist starke Schwankungen auf: Sind die Levels im normalen Ablauf relativ einfach zu bewältigen, erfordert der Wettstreit mit der Zeit häufig mehrere Anläufe. Besonders tückisch wird es beispielsweise, wenn das Spiel das Einsammeln der zum Teil in Fässern versteckten roten Münzen mit dem Wettlauf gegen eine brennende Zündschnur kombiniert. Der Erfolg im ersten Anlauf ist dabei nahezu ausgeschlossen: Der Spieler muss zunächst herausfinden, welche Fässer zu öffnen sind, da die Zeit für die Durchsuchung jeder Ecke nicht reicht. Im Wettlauf gegen die Uhr sind die Zeitlimits stets so eng bemessen, dass beim Erfolg nur ein einstelliger Sekundenbetrag auf der Uhr verbleibt. Auch in schwierigen Herausforderungen bleibt "I-Ninja" jedoch stets fair, immer sind es Steuerungsfehler, die den Erfolg vereiteln, keine bösen Überraschungen - Gegner und Fallen verhalten sich stets gleichbleibend, ihr Umgehen beziehungsweise Bezwingen ist somit erlernbar - oder Kamerafehler. Um dem finalen Boss entgegen zu treten, benötigt der Spieler zudem nicht alle 64 Abzeichen, sodass er einige Herausforderungen auslassen darf.

Keine Schattengestalt aus Tenchu: Ninja mit einem roten (!) Stirnband

Dennoch führt an einigen Wiederholungen unter erschwerten Bedingungen kein Weg vorbei, mit dem einmaligen Spielen der Levels erreicht Ninja nicht die nötigen Gurtfarben. Dieses Prinzip benutzte bereits der 3D-Plattform-Klassiker "Super Mario 64", in dem Türen verschlossen bleiben, bis Mario die notwendige Anzahl an Sternen gesammelt hat. Argonaut versteckt die Anleihen bei anderen Spielen ebenso wenig wie Ninja seine Gestalt vor den Gegnern - die roten Münzen wirken geradezu wie eine Hommage an Mario.

Gut abgeschaut ist nun mal besser als schlecht erfunden - "I-Ninja" fügt das Gute aus einigen Jump-And-Run-Titeln zusammen: Neben den Mario-Elementen gibt es Grind- und Rennpassagen, die an Segas blauen Igel Sonic erinnern, das Schweben am Schwert oder die Lenkraketen zur Zerstörung entfernter Türen lösen Rayman-Déjàvus (vgl. Erfrischend skurriler Held) aus. Argonaut, die unter anderem für die Harry-Potter-Spiele (vgl. Harry und die virtuelle Kammer des Schreckens) und das SNES-Starfox verantwortlich zeichnen und deren "Malice" als große XBox-Hoffnung (vgl. Eine Art Kreuzung aus Dampflokomotive und MTV) letztes Jahr von Vivendi eingestellt wurde, gelingt vor allem auf technischer Seite ein kleines Meisterwerk ohne Kamera-Hakelei und Clipping-Fehler mit schönen Animationen, einem eingängigen Soundtrack und gutem Dolby-Pro-Logic-Sound.

Obwohl das Design ebenfalls gelungen ist, verstärkt sich von Level zu Level das Gefühl, etwas zu vermissen. Nichts Offensichtliches, kaum spürbar - wie in einem Retorten-Popsong, in dem Stimme und Produktion perfekt sind und sogar die Melodie ins Ohr geht: Es mangelt "I-Ninja" an Seele, an überzeugender Story (und sei sie - siehe Rayman - noch so haarsträubend) und einem packenden Charakter. Dort wo auch (relativ betrachtet) Newcomer wie Ratchet & Clank jenseits des Level-Designs den Spieler mit Humor, einer netten Geschichte, die auf einen packenden Endgegner hinarbeitet, bei der Stange halten, bleiben in "I-Ninja" viel Stückwerk, ein paar Kalauer und verdrehte Metaphern des Sensei-Geists.

Auch ist die Charakter-Entwicklung zu gering - zwar verbessert sich mit neuen Gürteln die maximale Lebensenergie, für zahlreich besiegte Gegner erhält Ninja neue, stärker durchschlagende Schwerter, aber komplett neue Waffen oder Gegenstände, wie sie in Rayman oder "Ratchet & Clank" mit der Zeit die Komplexität steigern, fehlen. Im Endeffekt kämpft Ninja stets mit den gleichen Angriffen gegen die gleichen Gegner. Da sich deren Lebensenergie parallel zur Kraft des Schwerts erhöht, ändert sich das Kampfgefühl im ganzen Spiel kaum. Namcos Spiel macht Spaß, während man in einem Level ist, verführt aber nicht dazu, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen, weil man noch zum nächsten Boss kommen will, die neue Waffe testen möchte, die nächste Welt sehen mag.