Dienstweg der Falschaussagen

In Italien wird der umstrittene Polizeieinsatz gegen Globalisierungskritiker in Genua neu aufgerollt

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Fast sechs Jahre nach dem umstrittenen Vorgehen der italienischen Polizei gegen Teilnehmer von Protestdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua gibt es unerwartet Konsequenzen auf der polizeilichen Ebene.

Letzte Woche wurde der italienische Polizeichef Gianni De Gennaro von der Regierung entlassen. Bemerkenswert unter anderem deshalb, weil er nach dem Einsatz noch fast sechs Jahre im Dienst blieb und es schien, als ob er die massive weltweite Kritik an den Polizeieinsätzen während des G8-Gipfels gut überstanden habe. Die Berlusconi-Regierung, die bis 2006 an der Macht war, hatte den Polizeieinsatz stets gedeckt. Dazu gehörte auch die Razzia in der Diaz-Schule in Genua, die während der Gipfeltage Protestierern als Schlafraum diente.

Das Gebäude wurde in der Nacht zum 21.Juli 2001 von Polizisten gestürmt, die dort schlafende Menschen teilweise schwer verletzten. Der ebenso gut dokumentierte wie umstrittene Einsatz war für Menschenrechtler ein Fanal: Sie kritisierten den Einsatz von Methoden, wie sie bisher aus Militärdiktaturen bekannt waren. Lange sah es so aus, als ob dafür niemand zur Verantwortung gezogen werden würde. Alle Initiativen von Menschenrechtlern und Juristen wurden von der Berlusconi-Regierung zunächst ignoriert. Wo sich Verfahren nicht umgehen ließen, wurde mit der Taktik der Verzögerung und Verfahrensverschleppung gearbeitet. Dadurch wurden Prozesse so in die Länge gezogen, bis sie schließlich wegen Verjährung eingestellt werden konnten. Die Verjährungsfristen wurden von der Regierung Berlusconi vorher noch gesenkt.

Auch die Prodi-Regierung hatte nach ihren Amtsantritt im letzten Jahr zunächst wenig Interesse, sich mit der Polizeiführung anzulegen. Zum einen war nach all den Jahren die unmittelbare Empörung über die Menschenrechtsverletzungen, die von staatlichen Organen an den Globalisierungskritikern verübt worden, etwas in den Hintergrund getreten. Außerdem war die linksliberale Regierung interessiert, mit der ihr skeptisch bis ablehnend gegenüberstehenden Polizeiführung zu kooperieren. Dafür nahm sie es in Kauf, dass derjenige Teil der Koalition, der sich stark mit den Protesten in Genua identifizierte, Enttäuschung über die Inaktivität äußerte.

Polizeichef wurde von Kollegen belastet

So war die Entlassung von Gianni De Gennaro auch nicht die Folge von Druck innerhalb der Prodi-Koalition. Die Regierung reagierte mit der Demission auf ein Strafverfahren, das gegen den Polizeichef wegen Anstiftung zur Falschaussage im Zusammenhang mit dem Verfahren in der Diaz-Schule eingeleitet wurde. De Gennaro wird beschuldigt, den ehemaligen Polizeichef von Genua, Francesco Colucci, zu Falschaussagen über die Aktion der Polizei beim G-8-Gipfel 2001 angestiftet zu haben. Auch gegen Colucci wurde von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage eingeleitet.

Er wurde Mitte Juni von dem Polizei-Kommandeur Michelangelo Fournier in einem Prozess gegen 29 Beteiligte an der Razzia in der Diaz-Schule belastet. Fournier räumte schwere Menschenrechtsverletzungen der Uniformierten ein. So berichtete er unter anderem, dass er selber gesehen habe, wie ein Mädchen, das schon in einer Blutlache lag, von vier Polizisten weiter geschlagen wurde. Fournier nannte die Ereignisse in der Diaz-Schule eine „Metzelei“ und begründete sein bisheriges Schweigen mit der Solidarität gegenüber seinem Kollegen.

Berlusconi-Lager weiter hinter De Gennaro

Erwartungsgemäß löste die Absetzung De Gennaros in Rom eine heftige Diskussion aus. Das Oppositionslager um Silvio Berlusconi warnte vor Säuberungen und warf der Regierung Arroganz vor. Das Kabinett habe dem Druck derjenigen in der Regierungskoalition nachgegeben, die den Rauswurf De Gennaros und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den Vorkommnissen beim G-8-Gipfel forderten. Selbst innerhalb der Regierung ist der Schritt umstritten. Kritik kam auch vom Infrastrukturminister Antonio Di Pietro.

Noch ist auch unklar, ob die Absetzung der Beginn einer gründlichen Aufarbeitung der Geschehnisse vor sechs Jahren ist oder ob es sich nur um ein Bauernopfer handelt. Schließlich haben sich schon in den vergangenen Jahren viele der Behauptungen der Polizei als falsch herausgestellt, ohne dass diese Enthüllungen nachhaltige Folgen gehabt hätten. So ist mittlerweile unter anderem bewiesen, dass die angeblich in der Diaz-Schule gefundenen Molotow-Cocktails von der Polizei dort hingebracht wurden, um die Protestierer zu diskreditieren und den Einsatz zu rechtfertigen.