Doktorspiele oder Vergewaltigung?

Zwei Zehnjährige sind von einem britischen Strafgericht für schuldig befunden worden, trotz zweifelhafter Beweislage ein achtjähriges Mädchen vergewaltigt zu haben

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In Großbritannien wurden zwei Jungen im Alter von jetzt 10 und 11 Jahren in einem Strafprozess für schuldig befunden, im Oktober 2009 ein Mädchen im Alter von 8 Jahren vergewaltigt zu haben. Damit sind sie die jüngsten Sexualtäter, die je vor ein Gericht gestellt wurden, weswegen in Großbritannien nun eine Debatte beginnt, wie man mit Kindern umgehen soll, die verdächtigt werden, ein Verbrechen begangen zu haben.

Der Prozess vor einem Strafgericht wird von vielen Seiten kritisiert und als völlig verfehltes "Spektakel" betrachtet. Der Richter sprach von einem "extrem schwierigen" Prozess. Die Prozessführung hat man den Kindern "angepasst". Der Prozess wurde verkürzt, die Verhandlungen fanden zweimal täglich statt, um einen Schultag zu simulieren, versucht wurde, die Sprache möglichst einfach zu halten, damit die Angeklagten, die neben ihren Müttern im Gericht saßen, den Prozess verfolgen konnten. Die Staatsanwaltschaft sprach aber von einem schweren Vergehen, die beiden Jungen hätten das Mädchen an verschiedene Orte gebracht, um es ungestört vergewaltigen zu können. Nach einem Streit mit der Mutter war das Mädchen verschwunden. Bei der Suche in der Nachbarschaft traf die Mutter auf ein anderes Kind, das ihr sagte, die beiden Jungen täten dem Mädchen weh.

Dabei ist ziemlich zweifelhaft, ob die Jungen tatsächlich eine Vergewaltigung begangen haben und was es heißen könnte, wenn Kinder einander Gewalt antun oder mit Sexualität spielen. Forensische Beweise für eine Vergewaltigung gibt es keine, im Leistenbereich wurden von einem Arzt Kratzer und Schrammen festgestellt. Das Mädchen hatte zuerst gegenüber der Polizei am Tag nach dem Vorfall ausgesagt, dass die Jungen sich ausgezogen und sie vergewaltigt hätten, "doing sex with me".

In einer Videokonferenz während des Prozesses änderte sie ihre Schilderung aber radikal. Mehrmals gefragt, ob die Jungen in irgendeinen Teil ihres Körpers eingedrungen seien, antwortete sie stets mit Nein, was den Richter aber nicht bewog, den Prozess abzubrechen, sondern nur zu bekunden, dass die Zeugenaussage von Kindern in einem Strafgerichtshof "nicht ideal" sei. Zudem gab das Mädchen zu, nicht ganz ehrlich gewesen zu sein und die Geschichte erfunden zu haben, um selbst keine Schwierigkeiten zu bekommen. Die Jungen hätten ihr die Pimmel gezeigt, sie habe sich schuldig gefühlt und Angst gehabt, nichts mehr zum Naschen zu kriegen, wenn das herauskommt. Sie räumte auch ein, dass die Kratzer und Schrammen daher stammen könnten, dass einer der Jungen ihr geholfen habe, über einen Zaun zu klettern. Bei ihren Aussagen soll sie des Öfteren gesagt haben, sie könne sich nicht mehr genau erinnern.

Acht der zehn Juroren sprachen die beiden Jungen der Vergewaltigung für schuldig, das Strafmaß wird später festgelegt. Die Verteidigerin eines der Jungen hatte versucht, den Vorfall so darzustellen, dass es sich um eines der üblichen Kinderspiele gehandelt habe, das möglicherweise aus dem Ruder gelaufen ist, aber auf keinen Fall vor ein Strafgericht für Erwachsene gehört: "In diesem Fall geht es nicht um schwere Verbrechen. Es geht um Kinder. Es gibt das Spiel: Zeig du mir es, dann zeig ich meins. Das ist vielleicht zu weit gegangen, vielleicht ging es bis zur Berührung, vielleicht haben sie etwas gemacht, was sie im Fernsehen gesehen haben, vielleicht haben sie das alte Doktorspiel gespielt."

Die Jungen haben abgestritten, das Mädchen vergewaltigt zu haben. Auch in den USA werden immer mal wieder Kinder verurteilt, weil sie Doktorspiele oder ähnliches getrieben haben (Gefährliche Doktorspiele, Gute Berührung und schlechte Berührung). Selbst wenn die Kinder wissen sollten, was "doing sex" heißt, und die Jungen dem Mädchen Gewalt angetan haben, gehört der Fall nicht vor das Gericht, wenn nicht die Eltern wegen mangelnder Fürsorgepflicht angeklagt werden, sondern müsste den Kindern geholfen werden. Doch in Großbritannien wurde lange Jahre die Angst vor den Kindern und Jugendlichen geschürt und immer neue Vergehensarten und Strafen für "antisoziales Verhalten" erlassen, um diese einzuschüchtern und zum Respekt zu zwingen ("Wir schlagen zurück"). Ist nur zu hoffen, dass die neue Regierung auch hier die Gesetzgebung zurückfährt, nachdem sie die Überwachung einschränken und viele der kürzlich eingeführten Straftatbestände ausmerzen will.