Drei Jahre Pandemie im Spiegel der Übersterblichkeitsstatistik

Seite 3: Haben die Kontaktbeschränkungen geholfen?

Viele Epidemiologen sind überzeugt, und der Fall Chinas scheint es zunächst auch zu bestätigen: Mit drakonischen Kontaktbeschränkungen lässt sich die Verbreitung auch von relativ infektiösen Krankheitserregern kontrollieren. Aber lassen sich solche drakonischen Maßnahmen in relativ liberalen Ländern über längere Zeiträume aufrechterhalten?

Die OECD-Länder können allesamt und beinahe definitionsgemäß als einigermaßen liberal und demokratisch gelten. Deswegen geben sie einen guten Testfall ab: In welchem Ausmaß haben die ergriffenen Maßnahmen hier geholfen, Übersterblichkeit zu verhindern?

Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, verwenden wir den zusammengefassten Stringency-Index. In diesem Index werden an der Universität Oxford tagesaktuell und weltweit möglichst umfassend alle Regierungsmaßnahmen aufgelistet, die die Ausbreitung der Coronainfektionen bremsen sollen. Dieser Index ist in seinem Zeitverlauf für ausgewählte Länder auch bei Our-World-in-Data interaktiv abrufbar.

In Abbildung 4 wird nun das Abschneiden der Länder auf dem Strenge-Index mit ihrem Abschneiden im Übersterblichkeit-Ranking grafisch abgeglichen. Wie mit der rot gestrichelten Trendlinie angedeutet, besteht ein unerwarteter Zusammenhang: Je strenger die Regierungsmaßnahmen, desto höher die Übersterblichkeit. Dieser Zusammenhang ist aber statistisch sehr schwach (R2=0,04) und soll daher nicht weiter interpretiert werden.

Es bleibt also beim Nicht-Zusammenhang: Die zusammengefasste Strenge der Regierungsmaßnahmen hatte auf die Übersterblichkeit keinen statistisch messbaren Einfluss. Für viele Länder mit offenbar milden Beschränkungen werden niedrige Übersterblichkeiten verbucht, während Länder mit hohen Übersterblichkeiten – wie etwa Mexiko und Kolumbien – keineswegs durch besonders schwache Maßnahmen auffallen.

Abbildung 4: (Nicht-)Zusammenhang von Strenge-Index und Übersterblichkeit im Dreijahreszeitraum

Bei diesem Ergebnis ist allerdings eine Reihe von Einschränkungen zu machen:

1) Einzelne Maßnahmen, wie etwa die wirtschaftliche Unterstützung bei Verdienstausfällen, könnten einen dämpfenden Einfluss gehabt haben, indem sie den Menschen geholfen hätten, Kontaktbeschränkungen tatsächlich auch einzuhalten. Das Gesamtbündel der Regierungsmaßnahmen entsprechend aufzuschnüren, wäre Aufgabe für weitere Analysen.

2) Die Maßnahmen der Regierung werden im Strenge-Index ohne Rücksicht auf kulturelle und geografische Kontextbedingungen aufaddiert. In Japan zum Beispiel sind die Maßnahmen allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht so streng – die Behörden können hier im Wesentlichen nur Empfehlungen aussprechen. Aber entsprechende Empfehlungen werden in Ostasien von der Bevölkerung sehr ernst genommen und können auch mit erheblichem Gruppendruck einhergehen. In Osteuropa ist eher das Gegenteil der Fall: Die Regierung erlässt strenge Maßnahmen, die aber kaum beachtet werden. Neuseeland sticht durch seine Insellage hervor: Die Regierung hat die Grenzen sehr konsequent geschlossen, konnte dafür aber im Land auf umfassendere Maßnahmen weitgehend verzichten und wird entsprechend im zusammengefassten Index ebenfalls mit einem niedrigen Strengewert gerankt.

3) Schließlich ist auch daran zu denken, dass viele Maßnahmen – gerade in der ersten Welle – infolge von verschärften Infektionslagen erlassen wurden; und zwar oft zu einem Zeitpunkt, als diese Wellen wahrscheinlich schon aus natürlichen Gründen am Zusammenbrechen waren. Hier liegt dann reverse Kausalität vor – die Maßnahmen wirken nicht auf die Übersterblichkeit, sondern die Übersterblichkeit auf die Maßnahmen.

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