Drohender Krieg gegen China: Wie der Westen sich selbst deindustrialisiert
Seite 2: Postökonomische Nato-Volkswirtschaften
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Das ist nicht das, was die "ökonomische Interpretation der Geschichte" voraussagen würde. Von Regierungen wird erwartet, dass sie die dominierenden Geschäftsinteressen ihrer Wirtschaft unterstützen.
Damit sind wir wieder bei der Frage angelangt, ob wirtschaftliche Faktoren die Form des Welthandels, der Investitionen und der Diplomatie bestimmen werden. Ist es wirklich möglich, eine Reihe von postökonomischen Nato-Volkswirtschaften zu schaffen, deren Mitglieder den sich rasch entvölkernden und deindustrialisierenden baltischen Staaten und der postsowjetischen Ukraine ähneln werden?
Das wäre in der Tat eine seltsame Art von "nationaler Sicherheit". In wirtschaftlicher Hinsicht scheint die Strategie der USA und Europas, sich vom Rest der Welt zu isolieren, ein so massiver und weitreichender Fehler zu sein, dass ihre Auswirkungen einem Weltkrieg gleichkommen.
Die heutigen Kämpfe gegen Russland an der ukrainischen Front können als Eröffnungsfeldzug des Dritten Weltkriegs betrachtet werden. In vielerlei Hinsicht ist er ein Auswuchs des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen, als die Vereinigten Staaten internationale wirtschaftliche und politische Organisationen gründeten, um in ihrem eigenen nationalen Interesse zu handeln. Der Internationale Währungsfonds setzt die finanzielle Kontrolle der USA durch und trägt zur Dollarisierung der Weltwirtschaft bei.
Die Weltbank leiht Regierungen Dollar für den Aufbau von Exportinfrastrukturen, um US/Nato-Investoren zu subventionieren, die Öl, Bergbau und natürliche Ressourcen kontrollieren. Damit wird zugleich die Abhängigkeit des Handels von US-Agrarexporten gefördert und die Plantagenlandwirtschaft anstelle der heimischen Nahrungsmittelproduktion forciert. Die Vereinigten Staaten bestehen auf einem Vetorecht in allen internationalen Organisationen, denen sie beitreten, einschließlich der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen.
Die Gründung der Nato wird oft missverstanden. Sie gibt sich selbst als ein Militärbündnis aus, das Westeuropa gegen Eroberungswünsche der Sowjetunion verteidigen soll. Die wichtigste Rolle der Nato bestand jedoch darin, die "nationale Sicherheit" als Vorwand zu nutzen, um die europäische Innen- und Außenpolitik außer Kraft zu setzen und sie der Kontrolle der USA zu unterwerfen.
Die Abhängigkeit von der Nato wurde in die Verfassung der Europäischen Union aufgenommen. Ihr Ziel war es, sicherzustellen, dass die europäischen Parteiführer den Anweisungen der USA folgen. Sie sollten zudem eine linke bzw. antiamerikanische Politik, arbeitnehmerfreundliche Regelungen und Regierungen verhindern, die stark genug wären, um sich einer Kontrolle durch die von US-Kunden gebildete Finanzoligarchie zu widersetzen.
Das Wirtschaftsprogramm der Nato bestand in der Befolgung neoliberaler Finanzialisierung, Privatisierungen, staatlich veranlasster Deregulierung sowie Durchsetzung von Sparmaßnahmen für die Arbeitnehmer. Ein Beispiel: Die EU-Vorschriften verbieten es den Regierungen, ein Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu haben.
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Das blockiert keynesianische Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur. Heute zwingen höhere Rüstungskosten und staatliche Subventionierung der Energiepreise die europäischen Regierungen dazu, die Sozialausgaben zu kürzen.
Die Bankenpolitik, die Handelspolitik und die innerstaatliche Gesetzgebung folgen demselben neoliberalen Modell der USA, das die amerikanische Wirtschaft deindustrialisiert und mit Schulden an den Finanzsektor belastet hat, in dessen Händen sich heute der größte Teil des Reichtums und der Einkommen konzentriert.
Gegen Eigeninteresse: US-Abhängigkeit bei "nationaler Sicherheit"
In der Welt nach Vilnius werden Handel und internationale Beziehungen nicht mehr als wirtschaftliche Angelegenheiten, sondern als "nationale Sicherheit" behandelt. Jede Form des Handels birgt das "Risiko", abgeschnitten und destabilisiert zu werden.
Das Ziel ist nicht, Handels- und Investitionsgewinne zu erzielen, sondern selbstständig und unabhängig zu werden. Für den Westen bedeutet es, dass man China, Russland und die Brics-Staaten isolieren muss, um vollständig von den Vereinigten Staaten abhängig zu werden.
Für die USA bedeutet ihre eigene Sicherheit also, andere Länder von sich abhängig zu machen, damit die US-Diplomaten nicht die Kontrolle über ihren militärischen und politischen Kurs verlieren.
Die Behandlung von Handel und Investitionen mit anderen Ländern als den Vereinigten Staaten als "Risiko" spielt sich letztlich auf der gleichen Ebene ab, wie die Sanktionen der US-Diplomatie gegen Länder, die sich der US-Vorherrschaft, Privatisierung und Unterordnung ihrer Volkswirtschaften unter die Washingtons Kontrolle widersetzen. Die Befürchtung, dass der Handel mit Russland und China zu politischer Abhängigkeit führen wird, ist ein Hirngespinst.
Das Ziel der entstehenden eurasischen, Brics- und Global-South-Allianz ist es, beim Außenhandel wechselseitig zu profitieren. Der Handel wird gestaltet von Regierungen, die stark genug sind, um Geld und Banken als öffentliche Institutionen zu behandeln. Dazu kommen Monopole, die für die Gewährleistung elementarer Menschenrechte, einschließlich Gesundheitsversorgung und Bildung, erforderlich sind. Die Monopole wie Transport und Kommunikation sollen dabei in öffentlicher Hand gehalten werden, um die Lebenshaltungs- und Unternehmenskosten niedrig zu halten, anstatt kommerzialisierte Monopolpreise zu verlangen.
Anti-China-Hass kommt insbesondere von Annalena Baerbock, der deutschen Außenministerin. Die Nato wird gewarnt, den Handel mit China "das Risiko zu nehmen". Die "Risiken" bestehen darin, dass (1) China wichtige Exporte einstellen könnte, so wie die USA den europäischen Zugang zu russischen Ölexporten abgeschnitten haben; und (2) dass Exporte potenziell zur Unterstützung von Chinas Militärmacht verwendet werden. Nahezu jeder wirtschaftliche Export KÖNNTE militärisch genutzt werden, sogar Lebensmittel zur Versorgung einer chinesischen Armee.
Die Reise von Finanzministerin Janet Yellen nach China machte ebenfalls deutlich, dass jeder Handel ein militärisches Potenzial hat und somit ein Element der nationalen Sicherheit darstellt. Jeder Handel ist de facto militärisch, selbst der Verkauf von Lebensmitteln an China könnte zur Versorgung von Soldaten genutzt werden.
Die USA/Nato fordern, dass Deutschland und andere europäische Länder einen Eisernen Vorhang gegen den Handel mit China, Russland und deren Verbündeten errichten sollen, um den Handel zu "entschärfen". Doch nur die USA haben einseitig Handelssanktionen gegen andere Länder verhängt, nicht jedoch China und andere Länder des Globalen Südens.
Das eigentliche Risiko besteht nicht darin, dass China Handelssanktionen verhängt, um die europäische Wirtschaft zu schädigen, sondern dass die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen Länder verhängen, die den von den USA unterstützten Handelsboykott brechen.
Unter der Doktrin "Handel ist Risiko" wird der Außenhandel nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern unter dem Aspekt der "nationalen Sicherheit" betrachtet. In der Praxis bedeutet "nationale Sicherheit", sich dem Versuch der USA anzuschließen, ihre unipolare Kontrolle über die gesamte Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten.
Ein Risiko für die Neuausrichtung des europäischen Gas- und Energiehandels auf US-Unternehmen wird nicht gesehen. Das Risiko besteht angeblich im Handel mit Ländern, die von US-Diplomaten als "Autokratien" bezeichnet werden, d. h. mit Ländern, in denen die Regierung aktiv in die Infrastruktur investiert und regulierend eingreift, anstatt einen Neoliberalismus nach amerikanischem Vorbild zu betreiben.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Brave New Europe. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Hier geht es zu Teil 2 von Michael Hudsons Artikel "Stürzendes US-Wirtschaftsimperium, Europas Angst und Chinas Aufstieg" auf Telepolis.
Michael Hudson ist Präsident des Institute for the Study of Long-Term Economic Trends (ISLET), Finanzanalyst an der Wall Street und angesehener Forschungsprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Missouri, Kansas City. Er ist der Autor von "Killing the Host" (veröffentlicht von Counterpunch Books und Islet). Sein neues Buch ist "J is For Junk Economics".