Dschihadisten im Strom der Flüchtlinge
Seite 4: Oktober bis Dezember 2015
- 1. Oktober 2015: Am 1. Oktober 2015 sollen "Monir Ahmed Alaaj" alias Sofiane Ayari und "Naim al-Hamed" alias Osama Krayem im bayerischen Feldkirchen als syrische Asylbewerber registriert worden sein, bevor sie in der Flüchtlingsnotunterkunft in den Messehallen in Ulm untergebracht wurden. Im Oktober 2015 setzten sich Sofiane Ayari und Osama Krayem - zusammen mit dem Bombenbauer "Ahmad al-Khald" alias ""MX Voltaire" (bürgerlicher Name unbekannt) - nach Brüssel ab. Dabei half ihnen "Yassine Baghli" alias Salah Abdeslam, der das Kommando anführte. Alle vier waren an den Terroranschlägen in Paris und Brüssel 2015/2016 beteiligt: So beteiligte sich Osama Krayem am 22. März 2016 am Anschlag auf die Metro-Station Maalbeek im Brüsseler Europaviertel. Er wurde am 8. April in Belgien festgenommen. Saleh Abdeslam und Sofiane Ayari wurden am 18. März 2016 in Brüssel-Molenbeek (Rue des Quatre-Vents) festgenommen.
Nachdem mindestens fünf bis sechs Attentäter der Anschläge von Paris als Flüchtlinge über Deutschland nach Frankreich ein- bzw. ausgereist waren, kritisierte der Kommentator des Berliner "Tagesspiegel", Malte Lehming, die Lageeinschätzung der deutschen Nachrichtendienste:
Auf zwei Personen muss sich Deutschland im Antiterrorkampf felsenfest verlassen können - den Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, und den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Wenn diese beiden, oder einer von ihnen, sich irren oder die Lage falsch einschätzen, steigt die Gefahr exponentiell. (...) Es darf inzwischen als gesichert gelten, dass drei der mutmaßlichen Attentäter von Paris über die Flüchtlingsroute in die EU einreisten. Möglich ist, dass die Männer gefälschte syrische Pässe benutzt und sich als Flüchtlinge ausgegeben hatten. Möglich ist auch, dass ein ganzes Angreiferteam auf diesem Weg in die EU eingedrungen ist. (...)
Für BND und Verfassungsschutz kommen diese Nachrichten höchst ungelegen. Plötzlich stehen sie blamiert bis auf die Knochen da. Nein, bis ins Mark. Denn bis zu den Terroranschlägen von Paris hatten Schindler und Maaßen die Möglichkeit, dass unter den Flüchtlingen auch Terroristen einreisen könnten, allenfalls als "abstrakte Gefahr" kategorisiert, "konkrete Hinweise" gebe es nicht. Außerdem fehlte jede Plausibilität. Der Weg wäre für potenzielle Terroristen zu weit, zu gefährlich und nicht geeignet für den Transport des benötigten Equipments. Kämpfer der reichen Terrororganisation "Islamischer Staat" seien gar nicht darauf angewiesen, die lange Strecke nach Europa zu Fuß zurückzulegen, wie die meisten Flüchtlinge, sondern hätten die Mittel, per Flugzeug einzureisen. (...) Die Einschätzung der deutschen Geheimdienste dürfte seit Paris als widerlegt gelten. Bleibt die Frage, warum sie sich in diesem Punkt so weit hinausgelehnt hatten.
Variante eins: Sie haben es wirklich nicht gewusst. Das wäre erschreckend. Hunderttausende Flüchtlinge sind zum Teil unkontrolliert auch nach Deutschland eingereist. Sollten die geheimen Sicherheitsdienste keinen blassen Schimmer haben, wer da kam, hätte dieses Land ein massives Problem.
Variante zwei: Die Geheimdienste wissen mehr, als sie öffentlich sagen, wollten aber die Angst in der Bevölkerung nicht weiter schüren, dass unter den Flüchtlingen auch Islamisten sein könnten. Dann wären die Einschätzungen gewissermaßen pädagogisch zu interpretieren: Aus der Wahrheit könnten die falschen Schlüsse gezogen, einem Ende der Willkommenskultur das Wort geredet werden.
Doch wenn Geheimdienste anfangen, den politischen Diskurs zum Wohle der jeweiligen Regierung beeinflussen zu wollen - und seien die Motive noch so lauter -, überschreiten sie ihr Mandat. BND und Verfassungsschutz müssen nicht alles sagen, was sie wissen, aber was sie sagen, muss stimmen. Andernfalls ist der Vertrauensverlust größer als durch jede noch so enge Zusammenarbeit mit der NSA.
(Tagesspiegel)
- Mitte Oktober 2015: Auch ein "Ahmad al-Mohammad" gehörte im November 2015 zu den IS-Attentätern von Paris. Dieser war erstmals am 3. Oktober 2015 in den Flüchtlingsströmen auf der griechischen Insel Leros aufgetaucht. Am 7. Oktober überquerte er bei Presovo die Grenze zwischen Makedonien und Serbien. Einen Tag später tauchte er im kroatischen Lager Opatovac auf. Über Österreich reiste er weiter nach Deutschland, wo er im bayerischen Feldkirch als syrischer Flüchtling registriert wurde. Ob "Ahmad al-Mohammad" sein richtiger Name war, blieb unklar, zumal der syrische Pass gefälscht war. Möglich war auch, dass zwei verschiedene Männer unabhängig voneinander gefälschte syrische Pässe mit dem gleichen Namen benutzten.
- Oktober 2015: Im Oktober 2015 reiste der Tunesier Charfeddine T. nach Deutschland ein. Er wies sich mit einem gefälschten syrischen Pass auf den Namen "Ashraf al-T." aus. Zunächst wohnte er in der Massenunterkunft für Flüchtlinge auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof. Da er hier randalierte und möglicherweise einen Selbstmordversuch unternahm, wurde Charfeddine T. im März 2016 der weitere Zugang verwehrt. Er kam bei dem privaten Flüchtlingshelfer Arne S. in Berlin-Schöneberg (Kolonnenstraße 51) unter, der ihn über Monate hinweg bei sich aufnahm.
Ein amerikanischer Nachrichtendienst hörte ein Gespräch zwischen Charfeddine T. und seinem syrischen Kontaktmann beim Islamischen Staat ab. Das FBI vermutete, dass es sich bei dem Anrufer um Charfeddine T. handelte. Die US-Dienste informierten Mitte Oktober 2016 das Bundesamt für Verfassungsschutz, das seine Ermittlungen aufnahm und schließlich das Landeskriminalamt in Berlin informierte. Für die weiteren Nachforschungen bildete das LKA die Besondere Aufbauorganisation KONVOI. Charfeddine T. soll einen Anschlag in Berlin vorbereitet haben und wurde im Oktober 2016 festgenommen. Nach seiner Festnahme soll Charfeddine T. im Polizeigewahrsam am Tempelhofer Damm versucht haben, Selbstmord zu begehen, indem er wiederholt mit dem Kopf gegen die Wand seiner Zelle anrannte. Daraufhin sollen Justizbeamte ihm einen speziellen Schutzhelm aufgesetzt und gefesselt haben.
Der Notrichter am Bundesgerichtshof lehnte am 3. November die Erlassung eines Haftbefehls wegen Terrorverdachts ab, da dieser der Auffassung war, dass die vorgelegten Beweise für einen dringenden Tatverdacht nicht hinreichend seien. So wandte sich die Polizei an den diensthabenden Haftrichter des Amtsgerichts Karlsruhe, der zumindest einen Haftbefehl wegen Urkundenfälschung aussprach. Der Terrorverdächtige räumte seine Urkundenfälschung ohne Umschweife ein. Am 15. Dezember 2016 wurde Charfeddine T. erneut festgenommen. Die Ermittler gehen nun doch davon aus, dass der mutmaßlich aus Tunesien stammende Mann IS-Mitglied ist und einen Anschlag in Berlin plante.
- Oktober 2015: Im Oktober 2015 kam Abdalfatah H. A. mit seiner Familie nach Plauen (Sachsen). Er wurde im April 2016 als Asylbewerber anerkannt. Gegenüber dem Jobcenter gab er an, in Syrien als Automechaniker gearbeitet zu haben; in Deutschland lebt die Familie von 2.400 Euro Hartz IV. In Syrien soll er sich Anfang 2013 der damaligen Jabhat al-Nusra angeschlossen haben. Ihm wird vorgeworfen, 36 Behördenmitarbeiter des syrischen Regimes ermordet zu haben, so dass er sich in Deutschland für Kriegsverbrechen verantworten muss. Am 1. März 2017 wurde Abdalfatah H. A. in Düsseldorf festgenommen. Dazu berichtete der "Spiegel":
Die Islamisten der Nusra-Front waren im Frühjahr 2013 nach der Eroberung der lange Zeit von Assad-Truppen gehaltenen Stadt al-Tabka mit großer Brutalität gegen gefangene Soldaten des syrischen Machthabers vorgegangen. Auf einer Müllhalde an einer Ausfallstraße sollen sie nach dem Urteil eines Scharia-Gerichts zahlreiche Menschen auf bestialische Art und Weise umgebracht haben.
(der Spiegel
- November 2015: Der Marokkaner Abderrahman Mechkah alias Abderrahman Bouanane kam als Flüchtling im November 2015 nach Niedersachsen, wo er erkennungsdienstlich behandelt wurde; allerdings stellte Abderrahman Mechkah keinen Asylantrag in Deutschland. Anfang Januar 2016 kam er nach Nordrhein-Westfalen. Zunächst war er Anfang Januar 2016 in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Neuss untergebracht, die sich damals in der Nordkanalallee befand. Hier fiel er am 16. Januar 2016 durch eine einfache Körperverletzung auf. Ende Januar 2016 war er in einem Flüchtlingsheim in Kerpen einquartiert, auch dort fiel er am 31. Januar 2016 durch einen Akt einer gefährlichen Körperverletzung auf. Von Februar bis Juni 2016 lebte er in der Asylbewerberunterkunft in Dortmund-Kley (Kleyer Weg). Ungefähr im April 2016 reiste er aus, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben.
Am 18. August 2017 verübte er in Turku (Finnland) einen Messerangriff, dabei wurden zwei Menschen getötet und acht verletzt. Die Polizei streckte den flüchtenden Attentäter durch einen Beinschuss nieder.
- November 2015: Mohamed A. ist syrischer Staatsbürger. Im Oktober 2015 verpflichtete er sich - zusammen mit Mahir Al-H. und Ibrahim M. - gegenüber dem Islamischen Staat, Europa zu reisen, um einen Anschlag zu verüben. Der Islamische Staat schleuste das Terrortrio mit der "Flüchtlingswelle" im November 2015 von der Türkei über Griechenland per Balkanroute nach Deutschland. Nach Informationen der "Welt" ermittelte das BKA monatelang gegen die drei Syrer. Ausgangspunkt soll ein Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auf mögliche Dschihadisten gewesen sein. Daraufhin wurde beim BKA in Berlin-Treptow die Ermittlungsgruppe "EG GALAXY" gegründet, die wochenlang Telefone abhörte und die Terrorverdächtigen observierte.
Am 13. September 2016 wurden in Schleswig-Holstein die drei IS-Verdächtigen Mohamed A. (Ahrensburg), Mahir Al-H. (Reinfeld) und Ibrahim M. (Großhansdorf) in Flüchtlingsheimen nach einer längeren Observation festgenommen. Sie waren nach Deutschland eingeschleust worden, "um entweder einen bereits erhaltenen Auftrag auszuführen oder sich für weitere Instruktionen bereitzuhalten", so der Generalbundesanwalt. Am 13. Juni 2017 begann der Prozess gegen Ibrahim M., Mohamed A. und Mahir al-H. vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichtes in Hamburg.
- November 2015: Mahir Al-H. ist syrischer Staatsbürger und Mitglied des IS. Im Oktober 2015 verpflichtete er sich - zusammen mit Mohamad A. und Ibrahim M. - nach Europa zu reisen um einen Anschlag zu verüben. Im November 2015 schleuste ihn der IS über die Balkanroute nach Deutschland. Am 13. September 2016 wurde er im Flüchtlingslager in Reinfeld festgenommen (s. o.).
- November 2015: Ibrahim M. ist syrischer Staatsbürger und Mitglied des IS. Im Oktober 2015 verpflichtete er sich - zusammen mit Mohamad A. und Ibrahim M. - nach Europa zu reisen um einen Anschlag zu verüben. Im November 2015 schleuste ihn der IS über die Balkanroute nach Deutschland. Am 13. September 2016 wurde er im Flüchtlingslager in Großhansdorf festgenommen (s. o.).
- Im Jahr 2015: Der Syrer Diab K. kam mit der Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland und wurde in einem Heim in Biberach untergebracht. Am 19. November 2016 wurde Diab K. bei der versuchten Ausreise nach Dänemark vorübergehend festgenommen. Möglicherweise wollte er einen Anschlag in Kopenhagen begehen, so hatte der 20-Jährige u. a. Funkgeräte und 16.000 Streichhölzer im Gepäck, möglicherweise um damit eine Bombe zu bauen. Die dänischen Behörden ließen ihn nicht einreisen. Daraufhin ließ die deutsche Bundespolizei den Terrorverdächtigen einfach laufen, der daraufhin nach Biberach zurückkehrte und dort erneut festgenommen wurde. Der Flüchtling war bereits 2015 in einem Flüchtlingslager in Ulm wegen seiner radikalen Ansichten aufgefallen und deshalb von der Polizei registriert worden.