Dschihadisten im Strom der Flüchtlinge

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Im Nachhinein kann man nicht mehr sagen, wann genau die deutschen Sicherheitsorgane die Kontrolle verloren haben: Es wird wohl irgendwann im Verlauf des Jahres 2014 gewesen sein, als die Zahl der Syrienreisenden eskalierte, jeder Dschihadist in oder aus Deutschland ein oder mehrere Aliasnamen benutzte und mit verschiedenen Handys unterwegs war. Bereits zuvor hatte die Bundesrepublik mit der Schließung der deutschen Botschaft und deren BND-Dependance ihre wichtigste Aufklärungsbasis in Syrien verloren.

Lange Jahre hatten die deutschen Sicherheitsorgane die Terrorgefahren heruntergespielt. Zunächst wurde Deutschland als "Ruheraum" dargestellt, in dem sich islamistische Terroristen von ihren im Ausland begangenen Taten nur erholen würden. Aber nach dem Mordanschlag von Arid Uka auf den Frankfurter Flughafen wäre diese Darstellung nicht mehr glaubhaft gewesen. Nun sprach man lieber von einer bloß "abstrakten Gefahr" und dass man "gut aufgestellt" sei. Dies wurde so oft wiederholt, dass man es in den Staatssicherheitsorganen womöglich irgendwann selbst geglaubt hat.

Dies war der zeitgenössische Hintergrund vor dem Angela Merkel im September 2015 die Öffnung der Grenzen verkündete. Dabei war von Anfang an wahrscheinlich, dass islamistische Terroristen als "(Kriegs-)Flüchtlinge" getarnt ins Land einsickern würden, weil sie dies in den fünfundzwanzig Jahren zuvor auch gemacht haben, wie z. B. Mohammed Ghassan Ali Abu Dhess (1994) oder Osama Saddiq Ali Ajub (1996). Aber ausgerechnet die Präsidenten des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Verfassungsschutz verbaten sich jede Kritik an der Regierungspolitik und negierten monatelang die Gefahr. Mit der Terrorwelle 2016 war diese Haltung gegenüber dem Kanzleramt nicht mehr funktionabel. Nun beschwören die Staatsschutzorgane die "anhaltend hohe Gefährdungslage" und fordern mehr Geld, mehr Personal, verbesserte Technik sowie neue Gesetzeskompetenzen.

Aber die Behördenmisere beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeigt, dass es Jahre dauern wird, um die Management-, Personal- und Datenbankprobleme zu bewältigen und um die Fehler in den Griff zu bekommen. Zur Zeit gelten mehr als 222.000 Migranten als "ausreisepflichtig", davon haben nur 158.692 vorübergehend einen Duldungsstatus, bleibt ein Rest von 63.308 Personen (Stand: Mai 2017). Darüber hinaus besteht gegen 350 Islamisten ein Haftbefehl, der aber bisher nicht vollstreckt werden konnte.

Die Abschiebung von Terrorverdächtigen geht durch alle Instanzen des Rechtsstaats einschließlich Bundesverwaltungsgericht, Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So kann es schon mal zehn Jahre oder mehr dauern, bis ein Terrorverdächtiger tatsächlich abgeschoben wird, ohne dass er in diesem Zeitraum auch nur mangelhaft überwacht werden könnte. Die Ausländerbehörden haben nun angekündigt, in diesen Fällen eine Abschiebung auf Basis von Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes mit mehr Nachdruck durchzusetzen. Erste Beispiele sind der Nigerianer Cyrus Esiri E. und der Algerier Sidi-Moussa N..

Am 22. August 2017 bestätigte der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig im Nachhinein die Rechtsmäßigkeit der Abschiebungen in beiden Fällen (Aktenzeichen: BVerwG 1 A 2.17 bzw. BVerwG 1 A 3.17). In einer Pressemitteilung des Gerichts hieß es:

Nach der im Jahr 2005 eingeführten Regelung des § 58a AufenthG kann ein Ausländer zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung abgeschoben werden. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht inzwischen bestätigten Maßstab des 1. Revisionssenats bedarf es für die hierfür erforderliche, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose einer Bedrohungslage, bei der sich das vom Ausländer ausgehende Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann. Diese Voraussetzungen sieht der Senat im Fall der beiden salafistischen Gefährder auch nach neuerlicher Überprüfung auf der Grundlage einer Gesamtschau vielfältiger Anhaltspunkte und Indizien als erfüllt an. Sie waren insbesondere beide seit längerem in der radikal-islamistischen Szene in Deutschland verankert, sympathisierten mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) und hatten mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt."

(Bundesverwaltungsgericht)

Die Politiker, die die Misere durch ihre Sparpolitik in den vergangenen Jahren erst verursacht hatten, geben sich nun geläutert und forcieren darüber hinaus eine fragwürdige Ausweitung der Anti-Terrorgesetzgebung im Bereich der Prävention, wie die Reform des bayerischen "Polizeiaufgabengesetzes" am 19. Juli 2017 durch den bayerischen Landtag gezeigt hat. Im Freistaat können nun Terrorverdächtige - wie in Guantánamo - ohne Gerichtsurteil bis zu ihrem Tod in Schutzhaft eingesperrt werden.

Derweil warnte der Chef von EUROPOL in Den Haag, Rob Wainwright, im Juni 2017: "Die Terrorgefahr in Europa ist die höchste, die wir seit einer Generation hatten, die höchste der vergangenen 20 Jahre. Und sie steigt auch noch, darauf haben wir Hinweise."

Die Enttarnung der Terrorverdächtigen unter den Flüchtlingen hat engagierte Mitglieder von betroffenen Willkommensgruppen wiederholt konsterniert. Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im August 2017 eine spezielle Broschüre mit dem Titel Wie erkenne ich extremistische und geheimdienstliche Aktivitäten? - Eine Handreichung für Flüchtlingshelferinnen und -Helfer dazu herausgegeben.