Dunkle Wiederholungen
Als Pressefoto des Jahres wurde ein Foto des Briten Tim Hetherington prämiert, das sehr einfach zu interpretieren ist und scheinbar keine Fragen aufwirft
Die Jury von World Press Photo ist keine Konstante und wechselt von Jahr zu Jahr. Zudem werden die Jurymitglieder, was das Prozedere der Bildauswahl angeht, weitgehend zu Stillschweigen verpflichtet. Die Rahmenbedingungen für gewagte Entscheidungen der Jury sind somit eigentlich sehr gut. Warum nur wurde dieses Jahr dann ein Bild als Pressefoto des Jahres prämiert, das so einfach zu interpretieren ist, wie die Schlagzeile auf der ersten Seite einer Boulevardzeitung? Und warum ist die Bildauswahl insgesamt thematisch und inhaltlich so homogen und wenig vielschichtig? Manches wiederholt sich sogar.
Eine düstere Szenerie. „Restrepo“, ein Außenposten der US-Armee in Afghanistan, benannt nach Juan Restrepo, dem im Juni 2007 gefallenen Sanitäter einer Einheit des 503. Infanterieregiments. Tägliche Feuergefechte. Stress. Tod. Living on the edge. Psychopharmaka-Konsum der Soldaten und durch posttraumatische Stresssymptome verursachte Albträume. Ein Soldat lehnt sich müde und erschöpft zurück - das aktuelle World Press Photo des Jahres 2007.
„Dieses Bild steht für die die Erschöpfung eines Mannes - und die Erschöpfung einer ganzen Nation“, schreibt Gary Knight, Chairman der diesjährigen Jury. Knight ist Mitglied der jungen Agentur VII. Zu den Gründern von VII gehört James Nachtwey, der wahrscheinlich bekannteste zeitgenössische Kriegsfotograf.
Nicht nur dieses eine, am 16. September 2007 im Korengal Tal aufgenommene Foto von Hetherington wurde prämiert. Die gesamte in Vanity Fair erschienene Bildstrecke erhielt den zweiten Preis in der Kategorie General News - stories. Damit sei der bisherige Trend von World Press Photo gebrochen worden, schreibt Photo Direct News, vor allem aktuelle Einzelbilder zu prämieren, denn diesmal sei ein Bild eines Magazinfotografen ausgewählt worden.
Es ist jedoch nicht so, dass seit langer Zeit zum ersten Mal eine Serie ausgezeichnet wurde. In der Tat werden Bildserien, „Stories“, beim World Press Photo Contest immer schon parallel zu den Einzelbildern in den verschiedenen Kategorien prämiert. Nur ist diesmal das Siegerbild gleichzeitig Teil einer Serie. Stories und Zweitprämierte standen von je her allerdings im Schatten des Pressefoto des Jahres und gerieten schnell in Vergessenheit. Selbst die Website von WPP umfasst nur diese Siegerfotos, die anderen Bilder vergangener Jahre sind nicht mehr zugänglich.
Wehe den Besiegten
Bilder niedergeschlagener, erschöpfter Soldaten gehörten schon immer zur Ikonografie als Darstellung Besiegter. Allerdings wurden sie, beispielsweise auf Schlachtengemälden, meist zusammen mit den Siegern abgebildet. Solche Bilder entstanden vor allem im Auftrag der Sieger, um den Sieg besonders groß erscheinen zu lassen oder um zu zeigen, wie der Sieger den Besiegten gegenüber besonders großmütig ist.
Abbildungen nur des Besiegten waren selten, kamen jedoch auch vor. Die Statue des sterbenden Galliers aus dem späten 2. Jahrhundert v.Chr. ist ein frühes Beispiel. Die Botschaft an die Griechen war eindeutig: Die Furcht einflößenden Barbaren aus dem Norden konnten besiegt werden. Der deutsche Fotograf Hilmar Pabel hatte Gelegenheit, gleich zwei Fotos dieses Typs in zwei verschiedenen Kriegen aufzunehmen. Ein Foto zeigt einen deutschen Soldaten der Wehrmacht in Russland, ein zweites einen GI in Vietnam. In seiner 1981 erschienen Monografie „Bilder der Menschlichkeit“ wurden beide Bilder plakativ gegenübergestellt.
Ganz offensichtlich, beide Soldaten stehen für eine verlorene, ungerechte Sache. Erschöpfung steht als Metapher für eine gerade erfolgte oder kurz bevorstehende Niederlage. Und natürlich spielen diese uralten Rezeptionsweisen bei den Reaktionen auf Hetheringtons Bild des erschöpften Soldaten eine entscheidende und unvermeidliche Rolle.
Obwohl Teil einer Serie, läuft deshalb gerade Hetheringtons Foto Gefahr, aus dem Zusammenhang gerissen und allein betrachtet zu werden. Dafür ist seine Interpretation zu naheliegend, zu verlockend als Metapher für die Erschöpfung einer ganzen Nation. Das Bild wirft keine Fragen auf. Sogar der Name des Soldaten ist uninteressant, im Gegenteil, er würde das Bild individualisieren und somit die Verallgemeinerung gefährden. Obwohl über den Entstehungszusammenhang des Bildes so gut wie alles bekannt ist bzw. offenen Fragen leicht recherchierbar wären, wie der Name des abgebildeten Soldaten, möchte man daher lieber nicht zu viel über das Bild erfahren, um die eingängige, spontane Interpretation nicht zu zerstören. Somit funktioniert das Foto genau anders herum als das Siegerbild des letzten Jahres, das eine Gruppe modisch gekleideter junger Leute in einem roten Cabrio zeigt, wie sie durch ein zerbombtes Viertel Beiruts fahren. Im Gegensatz zu Hetheringtons Foto wurde das Cabrio-Foto sofort heftig kontrovers diskutiert. Weil praktisch nichts über die Abgebildeten bekannt war, machte sich ein niederländischer Journalist in Beirut sogar auf, diese zu finden (Von engen T-Shirts und echten Mädchen (Von engen T-Shirts und echten Mädchen).
Hetheringtons Bilder erschienen zusammen mit Texten von Sebastian Junger Anfang des Jahres bei Vanity Fair. Im Spätsommer/Herbst des letzten Jahres waren sie zusammen in Afghanistan unterwegs gewesen.
Neben den Bildern der Einsätze werden auf der Vanity-Fair-Website zudem individuelle Porträts der Soldaten gezeigt. Es lohnt sich, die Texte aufmerksam zu lesen, denn die Bilder zeigen nur wenig von dem, was berichtet wird. Obwohl die Kämpfe als sehr heftig beschrieben werden – Junger schreibt, ein Fünftel der täglichen Kämpfe würden im Korengal Tal stattfinden und drei Viertel aller NATO-Bomben würden in der Umgebung abgeworfen –, sind auf Hetheringtons Bildern weder Tote, noch Feinde zu sehen. Erst die Schilderungen Jungers beschreiben, was beide dort wirklich erlebt haben. An den prämierten Bildern zeigt sich somit vor allem auch die Beschränktheit der Aussagekraft von Fotos.
Fotos im Doppelpack
Überhaupt hat sich die diesjährige Jury seltsam beschränkt. Naturgemäß dominieren in der journalistischen Fotografie die eher negativen Ereignisse. Klickt man sich jedoch durch die diesjährigen WPP-Bilder, so scheint diese Jury einen sehr homogenen Geschmack gehabt zu haben, denn es überwiegen die besonders dunkel gehaltenen Aufnahmen und es gibt auffallende Wiederholungen.
In der Kategorie Sport sind sich erster und dritter Preis sehr ähnlich: Jeweils ein einzelner Sportler im Angesicht der Naturgewalten, fotografiert in Schwarzweiß. Völlig irritierend ist jedoch die Auswahl der Story von Balazs Gardis, die die Bildserie Hetheringtons in der Kategorie „General News“ auf den zweiten Platz verwiesen hat. Gardis Bilder zeigen nicht nur ebenfalls Kampfeinsätze in Afghanistan, sie sind auch zur selben Zeit und, zumindest eines der Bilder, höchst wahrscheinlich parallel zu denen Hetheringtons entstanden. Das 10. Bild der Serie Gardis zeigt offensichtlich denselben afghanischen Mann, wie das 10. Bild Hetheringtons. Bildnerisch besteht der Unterschied zwischen Hetheringtons und Gardis Fotos darin, dass Gardi eine Panoramakamera mit Schwarzweißfilm verwendet hatte und Hetherington eine gängige Digitalkamera.
Zu allem Überfluss zeigt Gardis Serie ebenfalls einen einzelnen, erschöpften amerikanischen Soldaten. Das wiederum belegt eindrucksvoll, wie relativ leicht diese Art Bilder zu machen sind. Sie entstehen schließlich in vergleichsweise ruhigen Momenten, nach einem Gefecht oder nach einem Einsatz, wenn die Spannung nachlässt und die Soldaten Momente der Ruhe haben, in der sie sich ihrer Erschöpfung hingeben können. Die beiden Serien sind sich thematisch und inhaltlich dermaßen ähnlich, dass es nicht nachvollziehbar ist, wieso beide prämiert wurden.
Die Jury des World Press Photo Contest hat jedes Jahr aufs Neue die Chance, Bilder der weltweiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, die Ereignisse und Menschen zeigen, die bisher nicht oder nicht so gesehen wurden. Immer wieder nutzten Juroren diese Gelegenheit und versuchten, in den verschiedenen Kategorien möglichst viele Aspekte aus dem vorhergehenden Jahr zu zeigen.
Die von Gary Knight geführte Jury hat es entweder nicht verstanden, oder nicht gewollt, aus laut PDN 80.536 eingesandten Fotos eine vielschichtige Auswahl zu treffen, die das breite Spektrum der gegenwärtigen journalistischen Fotografie bildlich und thematisch widerspiegelt. Zudem folgte sie mit der Auswahl des Siegerfotos allzu offensichtlichen Interpretationsmustern. Über die Gründe warum diese schwache, einfallslose Auswahl getroffen wurde, kann natürlich nur spekuliert werden. Vielleicht war der Geschmack der Mitglieder zufälliger Weise homogener, als in den Jahren zuvor. Vielleicht ist es ihnen aber auch schwer gefallen, sich von den eigenen thematischen Vorlieben zu trennen und es wurden vor allem Bilder ausgewählt, die man selbst gerne gemacht hätte. Aber nach der Prämierung ist vor der Prämierung. Die nächste Jury wird wieder eine andere sein – und somit auch die Auswahl der Bilder.