EMMAs fleischloser Harem
In ihrer neusten Ausgabe widmet sich die Zeitschrift EMMA mal wieder den Tierrechten
Die erste Ausgabe der Zeitschrift EMMA in diesem Jahr widmet sich schwerpunktmäßig dem Thema Tierrechte. Zum dritten Mal seit 1994. Nicht nur, dass die von der unseligen Peta-Kampagne "Der Holocaust auf Ihrem Teller" stammende Gleichsetzung der Judenvernichtung mit der Tötung von Tieren wieder hervorgekramt wird (Gewalt überschattet Friedensgespräche), auch Darwins Evolutionstheorie wird zurechtgebogen und genetische Befunde werden männerfeindlich bewertet.
"Rechte für die Tiere!" ist der Titel des EMMA-Dossiers, das sich mit sechs Artikeln in gewohnt kämpferischer Manier dem emotional belasteten Thema Tierrechte widmet. Zu den Autoren zählt auch Peter Singer, der "Vater der Tierrechtsbewegung" (EMMA). Natürlich beschreitet EMMA einen aufputschenden Pfad, nicht einen gewundenen, verschiedene Blickrichtung erlaubenden. Gleich zu Beginn wird behauptet, "dass unter den Vordenkern der Tierrechtsbewegung bemerkenswert viele Menschen jüdischer Herkunft sind". In dem Artikel "Geht der Vergleich zu weit?" von Sina Walden wird einige Seiten später argumentiert, dass der Vergleich zwischen Holocaust und industrieller Tiertötung zulässig sei, und dass dies sogar "mancher Überlebender und als Jude Verfolgter" sagen würde.
Nicht gesagt wird allerdings, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland 2004 eine einstweilige Verfügung gegen die Verwendung von Holocaust-Bildern in der schon erwähnten Peta-Kampange erwirkte. Peta reagierte seinerzeit mit wenig Verständnis für diesen Schritt und warf Paul Spiegel vor, dabei zu versagen, die richtigen Lehren aus dem Holocaust zu ziehen. "Wer die Kampagne menschenverachtend empfinde offenbare, dass er das Leiden der Tiere missachtet", war in der Pressemitteilung zu lesen. Tier und Mensch wurden einfach ethisch gleichgesetzt.
EMMA verzichtet nun wohlweislich darauf, Holocaustbilder zu zeigen, Berge von brennenden Rinderleichen (vermutlich aus BSE-Zeiten, aber eine Quelle wird nicht angegeben) und eine bildliche Sprache müssen ausreichen. Zudem schreibt eine angehende Tierärztin über ihr Pflichtpraktikum in einem Schlachthof. Gleich zu Beginn berichtet sie über die Ankunft eines Tiertransport: "… die Szenerie hat etwas Unwirkliches und gemahnt an jene gespenstischen Wochenschauen aus dem Krieg, an graue Wagonreihen voller ängstlicher Gesichter an Laderampen, über die geduckte Menschenmengen von gewehrtragenden Männern getrieben werden."
Die Autorinnen lassen keinen Zweifel daran: Schlachthöfe und Vernichtungslager sind ein und dasselbe. Dass Nutztiere gar nicht ausgerottet werden sollen, im Gegensatz zu den von den Nazis in die Vernichtungslager getriebenen Menschen, sondern dass sie wertvolle Wirtschaftsgüter darstellen, dass sie nicht gehasst und beständig neu gezüchtet werden, diese völlig unterschiedliche Sachlage lässt die Juristin Walden erst gar nicht gelten. Sie redet nur vom "Mord" an Tieren. Dies ist seltsam, wenn nicht gar unprofessionell, denn gerade Juristen sind für gewöhnlich Meister im Differenzieren – und sie müssen es auch sein, um den unterschiedlichsten Situationen gerecht werden zu können. Wenn beispielsweise ein Mensch einen anderen Menschen tötet, so gibt es eine ganze Bandbreite von möglichen juristischen Bewertungen, je nach den Umständen und der Motivation der Beteiligten. Sie reicht von berechtigter Notwehr, über fahrlässige Tötung oder Totschlag, bis zum Mord.
Die Bibel als üblicher Verdächtiger
EMMA sieht den Grund allen Übels, nicht wirklich überraschend, in der biblischen Schöpfungsgeschichte und dem, angeblich vor allem christlichen Glauben, der Mensch sei "die Krone der Schöpfung". Schnell zieht EMMA dann gegen christlich-amerikanische Kreationisten und Anhänger des "Intelligent Design" (ID) zu Felde, die die Evolutionstheorie massiv bekämpfen (dass alle mosaischen Religionen, vor allem auch der Islam, mit dieser wohl erfolgreichsten aller naturwissenschaftlichen Theorien ihre Probleme haben, wird nicht erwähnt (Gott oder die Evolution?).
Darwin hat bekanntlich den Menschen in einen evolutionären Kontext eingeordnet und ihn zu einem Lebewesen der Evolution gemacht, wie Pflanzen und Tiere auch. Dies dient den AutorInnen in EMMA dazu, flux die ethische Gleichheit von Mensch und Tier zu postulieren, woraus dann das Verbot des "Tiermordes" folgt.
Simplifizierter Gebrauch der Evolutionstheorie
Wie die ID-Anhänger auch benutzt EMMA die Evolutionstheorie, indem diese simplifiziert und für eigene Zwecke zurechtgebogen wird. Natürlich ist es eine Folgerung aus der Lehre der Anpassung der Arten, dass sich Geist und Bewusstsein schrittweise entwickelt haben, und dass es folglich auch Tiere gibt, die nicht nur Schmerz fühlen, sondern auch erste Gefühle empfinden können. Für das empathiefähige Wesen Mensch sollte es demnach selbstverständlich sein, andere Wesen nicht zu quälen. Dies kann durchaus als Grundüberlegung für die Forderung nach Tierrechten angesehen werden. Aber evolutionär sind wir Menschen eben auch keine reinen Pflanzenfresser. Im Gegenteil: Das menschliche Gehirn begann sich erst sprunghaft zu vergrößern, als unsere Vorfahren begannen, mehr und mehr energiereiches Fleisch zu verzehren und sich von opportunistischen Aasfressern zu Jägern zu entwickelten. Ohne fleischliche Ernährung und aus Tierprodukten gefertigte Kleidung, Werkzeuge und Waffen hätten die Menschen in Europa weder die Eiszeit überlebt, noch könnten traditionell lebende Eskimos heute jenseits des Polarkreises existieren.
Anders als andere Raubtiere hat der Mensch ein komplexes Verhältnis zu den Tieren seiner Umgebung im Allgemeinen und zu seinen Beutetieren im Besonderen entwickelt. Es ist eben nicht so simpel, wie EMMA meint: "Im 'unendlichen Jagdgebiet' des Mannes sind Frauen wie Tiere Beute und Opfer." Tiere wurden nicht nur gejagt und verspeist. Sie wurden domestiziert, bedeuteten Macht und später auch Mobilität – allen voran das Pferd ist hier zu nennen. Sie wurden oft mit Gottheiten in Zusammenhang gebracht und natürlich spielten sie für die Menschen auch eine sexuelle Rolle, nicht zuletzt dann, wenn Tiere gegen Frauen getauscht wurden (was notwendig war, um Inzucht zu vermeiden).
Spuren davon lassen sich bis heute im menschlichen Verhalten beobachten. Man denke nur an die Inbrunst, mit der jeden Sommer in Deutschland die Grillsaison ausbricht. Da kommt alles zusammen: Der Mensch als Herr des Feuers, bratendes Fleisch und geselliges Zusammensein. So lächerlich die Grillrituale auch manchmal erscheinen mögen, sie können uns an eine ferne Vergangenheit erinnern, in der der Mensch zum Menschen wurde: Durch die Beherrschung des Feuers war der Mensch das erste und einzige Lebewesen, das einen Zustand herbeiführen konnte, in dem er nicht einmal vor mächtigen Raubtieren Angst haben musste. Erst diese einzigartige Leistung brachte zunächst Muße, dann Kunst und Kultur hervor.
Das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zum Beutetier, geprägt durch die mühsame Jagd, und das anstrengende, gemeinsame Verarbeiten von Häuten und Fleisch, ist heute verloren gegangen. Nur die wenigsten Menschen sind wirklich an der primären Beschaffung von Lebensmitteln beteiligt. Daher kann Nahrung, ob tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, nur mit industriellen Methoden hergestellt und verteilt werden. Das hat dazu geführt, dass die Verbraucher eine romantische, idealisierte Vorstellung von Natur entwickelt haben, die nichts mit der Realität, schon gar nicht mit einem evolutionären Prinzipien gehorchenden Ökosystem, gemein hat. Ein Indiz dafür ist allein die Legion der Prozesse, die landschaftsromantische Stadtflüchtlinge gegen die Landwirte in ihrer Wahlnachbarschaft führen, wenn diese morgens zu früh ihre Trecker anwerfen.
Vermenschlichte Tiere und überflüssige Väter
EMMA vermenschlicht die Tiere. Nicht zuletzt die in EMMA gezeigte Auswahl der von Walter Schels stammenden "Tierporträts" verdeutlicht dies. Auf zweidimensionalen Fotografien sehen großäugige, niedliche Säugetiere noch viel menschenähnlicher aus, als in der Realität, weil die tierische Kopfform in der flächigen Anschauung nicht so deutlich wird. Das ein wirkliches Verständnis evolutionärer Mechanismen nicht die Sache des Dossiers ist, wird spätestens dann deutlich, wenn Cornelia Filter das Buch "Die sieben Töchter Evas" von Brian Sykes empfiehlt (Die sieben Töchter Evas):
Sykes hat nachgewiesen, dass alle heute lebenden Menschen außerhalb Afrikas von sieben afrikanischen Stammmüttern abstammen, die den schwarzen Kontinent vor etwa 100.000 Jahren … verließen. Die Männer in ihrer Begleitung spielten weder als Stammväter, noch als Herrn der Schöpfung eine Rolle. Ihr Erbgut ist heute nicht mehr nachzuweisen.
Abgesehen davon, dass nicht zu verstehen ist, wie die Stammmütter sich ohne Männer hätten vermehren können, hat die Dame das Buch offensichtlich allerhöchstens gefiltert gelesen. Denn dass das männliche Erbgut nicht nachgewiesen werden konnte, lag an Sykes Methode. Genetische Abstammungen an heute Lebenden für eine lange Historie nachzuweisen, ist bei sich geschlechtlich vermehrenden Lebewesen nämlich ein extrem schwieriges Unterfangen. Schließlich werden die Gene ja in jeder Generation neu gemischt. Eine Ausnahme ist die Mitochondrien-DNA, die 1:1 von Müttern weitervererbt wird. Sie kann daher nur für die Aufdeckung langfristiger weiblicher Verwandtschaftsverhältnisse genutzt werden. Es ist also durchaus möglich, dass die sieben Stammmütter zum Harem eines einzigen Mannes gehörten, der folglich niemand anders gewesen wäre, als Adam selbst. Und er wäre unser aller Stammvater.
Insgesamt polemisiert das EMMA-Dossier folglich auf inhaltlich schwachem Fundament, ohne der festgefahrenen, oft irrational geführten Tierrechtsdebatte irgendwelche neuen Denkanstöße zu geben. Der simplifizierte Gebrauch der Evolutionstheorie erweist dieser in der Auseinandersetzung mit den Intelligent-Design-Anhängern zudem einen gefährlichen Bärendienst.