EU: Die 750-Milliarden-Euro-Fragen

Seite 2: Kompromisse, "Wer kontrolliert?" und große Reformen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine Kompromisslinie könnte allerdings der an dieser Stelle mehrfach gemachte Vorschlag sein:

Insgesamt sollten Gelder zunächst nur als Kredite vergeben werden. Erst nach einer Überprüfung, ob die Projekte und geforderten Reformen auch durchgeführt wurden, ob die Maßnahmen nachhaltig sind und die Ziele erreicht werden, können diese Kredite dann ganz oder teilweise in Zuschüsse umgewandelt werden. Das würde den Anreiz stärken, Geld in vernünftige Projekte zu investieren, statt es einfach auszugeben, um einige Arbeitsplätze kurzzeitig zu schaffen oder zu erhalten.

Auch Billionen werden die schlimmste Rezession des Jahrhunderts nicht verhindern

Dieser Vorschlag, schon früher auch hier geäußert, ist nun in die politische Debatte aufgenommen worden. Fast wortgleich erklärte Moritz Körner am Freitag im Deutschlandfunk, dass man "an einer gewissen Anzahl von Zuschüssen" nicht vorbeikommen werde, um Länder wie Italien und Spanien mitnehmen zu können:

"Zunächst könnte man sagen, das Geld geht als Kredite. Und nur wenn die entsprechenden Reformauflagen erfüllt sind, wird das als Zuschuss umgewandelt, um da sicherzustellen, dass das Geld nicht einfach verpufft."

Der haushaltspolitische Sprecher der FDP im Europäischen Parlament will über diese Konditionalitäten reden, "damit nicht einfach nur das europäische Geld für Bereiche, die man eh schon geplant hatte, genutzt wird und dann vielleicht zusätzlich noch ein bisschen Steuergeschenke verteilt werden".

Es ist erfreulich, dass der Vorschlag aufgenommen wird, der einen Kompromiss möglich machen könnte, der auch an inhaltliche Kriterien geknüpft wäre. Nur muss dann immer noch über die Frage geredet werden, wer da kontrolliert.

Die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF) hat dabei völlig versagt und deshalb will nicht einmal Körner eine "Troika schicken". Er meint, dass die Reformen mit den "Prioritäten der EU übereinstimmen" müssen: Digitalisierung und Green Deal. Dazu müsse "auch geschaut werden, hilft das tatsächlich, langfristig die Arbeitsmärkte beispielsweise fitter zu machen, sind das wirklich Programme, die insgesamt, wenn wir uns auch die gesamte Haushaltsplanung des Staates anschauen, helfen."

Kein Wort fällt von ihm aber zur Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips, zu Menschenrechten oder einer unabhängigen Justiz. Doch auch das Rechtsstaatsprinzip muss von denen eingehalten werden, die Geld fordern. Das hatte die EU eindeutig mit dem neuen Haushalt verbunden, mit dem der "Wiederaufbaufonds" verknüpft ist, der gegen den Willen der "sparsamen Vier" ebenfalls weiter deutlich ausgeweitet werden soll.

Rechtsstaatsprinzip: Ungarn, Polen, Spanien

Und wenn es um das Rechtsstaatsprinzip geht, wird bekanntlich in der EU mit zweierlei Maß gemessen. Während man Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn oder Polen einleitet, lässt man es zum Beispiel Spanien sogar durchgehen, dass Kollegen von Körner aus dem Europaparlament auf Basis absurder spanischer Vorgänge ausgeschlossen wurden.

Der Katalane Oriol Junqueras, dessen Freilassung wegen einer willkürlichen Inhaftierung auch die UNO seit mehr als einem Jahr fordert, sitzt noch heute in einem spanischen Gefängnis. Dabei müsste er im Straßburger Parlament sitzen, da ihm mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) das höchste europäische Gericht eine Immunität bescheinigt hat. Deshalb kritisiert auch Martin Sonneborn von Der Partei, dass im "Hühnerhaufen" der EU einfach alle machen, "was sie wollen und ignorieren EU-Recht" dabei.

Und hier ist ausgerechnet die Schwesterpartei der FDP mit den Ciudadanos (Cs) eine treibende Kraft für massive Verletzungen der Rechtsstaatsprinzipien in Spanien, worüber die FDP geflissentlich hinwegschaut. Es ist nicht unbekannt, dass Spanien auch vor Folter an Journalisten nicht zurückschreckt, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon festgestellt hat. Und dass es um die Unabhängigkeit der Justiz nicht sonderlich gut bestellt ist, stellte kürzlich auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest und titelte: "Spaniens Richter tanzen nach der Pfeife der Politiker."

Doch diese Defizite beklagt die EU nur in Polen oder Ungarn. Die Berichte der Group of States against Corruption (GRECO) zu Spanien sind schließlich auch der EU bekannt. Die Unterorganisation des Europarats mahnt seit vielen Jahren Reformen im spanischen Justizwesen an und kritisiert die "undurchsichtigen politischen Geschäfte bei der Ernennung von Richtern" und "vermisst auch objektive Kriterien bei der Kandidatenauswahl", streicht auch die NZZ heraus.

Jetzt ist deshalb der Zeitpunkt, demokratische Reformen einzuleiten, die in vielen Ländern dringend nötig sind. "Große Reformen" verspricht zum Beispiel auch der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte, der nun auf massive Finanzhilfen der EU hofft, um sie umsetzen zu können. Wenn er das ernst meint, hat er sicher auch nichts dagegen, dass dafür Geld als Zuschuss auch nur dann fließt, wenn sie auch real umgesetzt werden.