EU-Ministerrat vertagt Beschluss über neue Sperrhürde bei Europawahlen [Update]
Seite 2: Piraten und PARTEI wollen Rechtsweg beschreiten
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Auch in der Piratenpartei, die beim letzten Mal eine Abgeordnete ins Europaparlament entsenden konnte, ist man der Ansicht, dass Union und SPD die beiden Karlsruher Urteile zu Sperrhürden bei Europawahlen "nun durch Vorgaben aus Brüssel aushebeln" will. Gegen diesen "GroKo-Angriff auf Wählerwillen und Meinungsvielfalt" prüfe man nun "rechtliche Schritte" und "insbesondere einen Antrag auf [eine] einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts", so der Piraten-Bundesvorsitzende Carsten Sawosch.
Elmar Brok bescheinigte sich selbst Unzulänglichkeit
Die ausführlichste Stellungnahme zur neuen Sperrhürde kommt aus dem Büro eines Abgeordneten, der gerade mit einer ebenso kurzen wie beeindruckenden Rede zu Macrons Angriff auf Syrien zeigte, warum seine Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI) bei der letzten Bundestagswahl als die "große unter den kleinen" hervorging: Martin Sonneborn.
Dessen Mitarbeiter Dustin Hoffmann verweist unter anderem darauf, dass der auch in anderen Zusammenhängen umstrittene CDU-Abgeordnete Elmar Brok dem Bundesverfassungsgericht erklären sollte, warum ohne Sperrhürde die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments gefährdet sei. Nachdem ihm dabei so wenige gute Argumente einfielen, dass das Bundesverfassungsgericht keine solche Gefährdung feststellte, meinte er anschließend, man habe das dem Bundesverfassungsgericht nicht gut genug erklärt (vgl. Freie Wähler und Co. Jubeln und Ungleichbehandlung ohne Grund).
Hoffmanns Kenntnisstand nach sind den Befürwortern einer Sperrklausel auch für die Begründung der neuen EU-Vorschrift keine Beispiele dafür eingefallen, warum das EU-Parlament ohne eine solche Sperrklausel nicht funktioniert. Die PARTEI will deshalb gegen die neue Regelung den Rechtsweg beschreiten, wenn sie verabschiedet werden sollte.
Während Wahlrecht.de davon ausgeht, dass die neue Regelung nicht schon 2019, sondern erst bei der Europawahl danach gelten soll, glaubt Hoffmann, dass die Formulierung im Entwurf bereits eine Geltung im nächsten Jahr erlaubt. Das meint auch die Bundesregierung, wie ihr Vertreter im EU-Ministerrat für Allgemeine Angelegenheiten heute zu erkennen gab.
Hoffmann ist außerdem der Ansicht, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die neue Sperrklausel wahrscheinlich davon abhängen wird, wie hoch die Bundesregierung die Hürde setzt: Da das Bundesverfassungsgericht einer fünf- und einer dreiprozentigen Hürde bereits eine Abfuhr erteilte, hätten Union und SPD seiner Ansicht nach nur mit einer niedrigeren Hürde eine Chance.
Fünf-Prozent-Hürde für den deutschen Bundestag demnächst auf dem juristischen Prüfstand
Martin Sonneborn selbst meinte zu Telepolis, er habe "bisher noch kein einziges wirkliches Argument für die Prozenthürde gehört". "Die CDU", so der Europaabgeordnete, "hat vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt, ohne Sperrklausel wäre eine vernünftige Arbeit im EU-Parlament unmöglich":
"Ich kann nur sagen, die CDU hat Recht. Seitdem ich im EU-Parlament sitze, mache ich nur noch Unsinn, halte Reden zum State of the Union, ärgere Juncker oder Macron. Im Haushaltskontrollausschuss war ich nach Angaben meiner Chefin Inge Grässle eine Niete. Lustigerweise gehören aber die übrigen sechs Abgeordneten von Kleinstparteien überwiegend zu den Leistungsträgern - Julia Reda, Piraten-Partei, hat die Urheberrechtsdebatte vorangetrieben, Stefan Eck von den Tierschützern kämpft erfolgreich gegen Tierquälerei bei der Kaninchenhaltung, Professor Klaus Buchner (ÖDP) gegen die unkontrollierte Lieferung von Dual-Use-Gütern in autoritäre Regime. Udo Voigt (NPD) ist mittlerweile senil und verzehrt hier sein Gnadenbrot, die anderen beiden machen auch irgendwas. Ich denke, der großen Koalition geht es hier um sieben EU-Mandate, die sich sich zurückholen will. Und Merkel, Steinmeier und Maas haben hier in Brüssel Druck gemacht, weil die Fünf-Prozent-Hürde für den deutschen Bundestag demnächst auf dem juristischen Prüfstand stehen wird. Da hat man nicht gern ein funktionierendes EU-Parlament ohne Sperrklausel direkt vor der Nase." (Martin Sonneborn)
[Update: Der ehemalige Piratenpartei-Abgeordnete und Jurist Patrick Breyer meint, dass die Bundesregierung "vor dem Bundesverfassungsgericht keine Chance hat", wenn sie "eine Sperrklauseleinführung schon zur Wahl 2019 versucht", obwohl sie die Beschlussvorlage "spätestens zur übernächsten Wahl" fordert:
"[Das Bundesverfassungsgericht] hatte schon seine letzte Entscheidung auf das Fehlen 'zwingenden EU-Rechts' gestützt. Eine Option im EU-Recht reiche nicht aus. Das lässt sich auf eine frühere Umsetzung als europarechtlich gefordert übertragen. Nach meiner Überzeugung wird der Plan aber auch unabhängig von der Art und Weise seiner Umsetzung vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. Die Regelung tritt erst in Kraft, wenn alle Mitgliedstaaten sie ratifiziert haben. In Deutschland braucht es dazu ein Ratifikationsgesetz des Bundestags. Das Bundesverfassungsgericht wird dieses Ratifikationsgesetz allerdings wieder als grundrechtswidrig kippen. Zwingendes EU-Recht steht dem nicht entgegen, denn ohne die (optionale) deutsche Ratifikation kommt die Wahlrechtsreform gar nicht erst zustande. Es gilt dann weiterhin das weiterhin das bisherige Europawahlrecht, die Wahl selbst ist also nicht gefährdet." (Patrick Breyer)
Die gestern vertagte Vorlage soll nun nicht in einer Sitzung, sondern bis Monatsende schriftlich im Umlaufverfahren verabschiedet werden.]