EZB rudert wegen Angst vor neuer Schuldenkrise zurück

Seite 2: Was genau beschlossen wurde, ist undurchsichtig

Angesichts der italienischen Zeitbombe (in kleinerem Maße gilt das auch für Spanien und Frankreich) ist es wenig erstaunlich, dass man angesichts der Vorgänge auf den Kapitalmärkten in der EZB wieder in den Krisenmodus umgestiegen ist.

Auch die Börsen sind in dieser Woche deutlich in die Knie gegangen. Am Mittwoch kam das Notenbank-Direktorium deshalb eilig zu einer Notfallsitzung zusammen, um vor allem dem unkontrollierten Rendite-Anstieg von Schuldenländern zu begegnen.

Was genau beschlossen wurde, ist aber undurchsichtig. Klar ist zunächst nur, dass bei dem Krisentreffen die EZB-Spitze beschlossen hat, die Gelder aus dem fällig werdenden Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) einzusetzen, um vor allem in Papiere von Italien und anderen hoch verschuldeten Ländern zu investieren, damit deren Spread gedrückt wird.

Man bastelt auch an einem neuen Werkzeug. So habe der EZB-Rat beschlossen, "die zuständigen Ausschüsse des Eurosystems zusammen mit den EZB-Dienststellen damit zu beauftragen, die Gestaltung eines neuen Instruments zur Bekämpfung der Fragmentierung, das der EZB-Rat prüfen wird, zügiger abzuschließen".

Klar ist, dass aus dem Ausstieg aus den Anleihekäufen also definitiv wie erwartet wieder nichts wird. Wie man es von der EZB längst gewohnt ist, wartet sie in der kurzen Stellungnahme mit Euphemismen auf, wenn sie zum Beispiel die Notfallsitzung als "Meinungsaustausch über die aktuelle Marktsituation" verkauft.

Sie spricht auch von einem "graduellen Prozess zur schrittweisen geldpolitischen Normalisierung", der im Dezember 2021 eingeleitet worden sei. In der Realität gab es den Prozess nie, der sich bisher nur in Absichtserklärungen zeigt. Die Notenbank spricht nebulös davon, dass sich der EZB-Rat verpflichtet habe, "neuerlichen Fragmentierungsrisiken entgegenzuwirken".

Es springt bei der Erklärung auch ins Auge, dass bestimmte Wörter einfach nicht vorkommen wollen. Weder "Italien" noch "Inflation" oder "Zinsen" tauchen auf. Man wolle bei der "Wiederanlage der Tilgungsbeträge fällig werdender Wertpapiere im PEPP-Portfolio flexibel agieren, um die Funktionsfähigkeit des geldpolitischen Transmissionsmechanismus aufrechtzuerhalten", wird wolkig schwadroniert.

Dass die EZB doch tatsächlich angesichts einer steigenden Rekordinflation von nun schon 8,1 Prozent davon spricht, dass dies "eine Voraussetzung" dafür sei, "dass die EZB ihr Preisstabilitätsmandat erfüllen kann", kann als Beleidigung der Intelligenz bezeichnet werden. Denn das ohnehin aufgestockte Inflationsziel der Notenbank liegt mit zwei Prozent schon mehr als vier Mal darunter.

Es war schon mit der zuvor beschlossenen zaghaften geldpolitischen Wende klar, dass damit die hohe Inflation sicher nicht eingeschränkt werden wird. Da nun neue inflationstreibende Maßnahmen ergriffen werden, wird das natürlich noch illusorischer. In anderen Währungsräumen, allen voran zunächst in Großbritannien, hat man längst auf die hohe Inflation mit Leitzinsanhebungen reagiert.

Und die Bank of England (BoE) hat am Donnerstag nachgelegt und den Leitzins um 25 Basispunkte auf nun 1,25 Prozent angehoben, allerdings wollten einige Ratsmitglieder gleich einen deutlicheren Schritt gehen, um inflationshemmend den Zinssatz gleich um 0,5 Prozentpunkte anzuheben.

Die BoE zeigt sich aber bereit, "kraftvoll" zu handeln, um die von der hohen Inflation ausgehenden Gefahren einzudämmen. Sie war im Dezember die erste unter den großen Notenbanken, die seit der Corona-Pandemie die Zinsen wieder angehoben hatte.

Eine Vollbremsung legt nun die US-Notenbank FED hin, wie sie von Telepolis angesichts der auch hohen US-Inflation im April vorhergesagt wurde. Kurz vor der Zinserhöhung durch die BoE hatte die FED am späten Mittwoch einen richtig großen Schluck aus der Pulle genommen und erhöhte den Leitzins außergewöhnlich kräftig um 75 Basispunkte auf nun 1,75 Prozent, um der Inflation zu klar zu begegnen.

Es handelte sich dabei um den größten Zinssprung in den USA seit 1994. Die offizielle Inflationsrate war im Mai auf 8,6 Prozent gestiegen. Sie steigt, anders als hier, allerdings auf der anderen Seite des Atlantiks derzeit nur noch leicht. Sie war zwischenzeitlich angesichts der Zinserhöhungen auch wieder einmal leicht gesunken.

Der FED-Chef zieht nun also die Notbremse und räumte damit auch ein, dass die bisherige Strategie falsch war. Deshalb reißt Jerome Powell nun das Ruder herum, auch er hatte lange mit der Zinsnormalisierung gewartet und war zunächst nur zaghaft vorgegangen. Anders als die EZB will die FED ihre Bilanzsumme auch real reduzieren.

Die "Bestände an Staatsanleihen, Schuldverschreibungen und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren" werden weiter abgebaut, schreibt die FED. Der Offenmarktausschuss sei "fest entschlossen, die Inflation auf das Ziel von zwei Prozent zurückzuführen", wird erklärt.

Es sind deshalb weitere Zinserhöhungen in den USA zu erwarten. Beobachter erwarten sogar, dass der Leitzins noch in diesem Jahr auf drei Prozent steigen dürfte. "Die entscheidende Frage ist, wo der Leitzins liegen muss, um die Inflation längerfristig hin zum angestrebten Ziel von 2 Prozent zu bringen, etwa ob bei 3,5 oder 4 Prozent. Wir werden das wohl im Laufe der Zeit empirisch herausfinden, sobald der Realzins der staatlichen Zinspapiere über alle Laufzeiten hinweg positiv ist", erklärte der FED-Präsident.

Über die Zinserhöhungen soll zügig die zirkulierende Geldmenge verkleinert werden und die durch die bisherige Geld- und Fiskalpolitik künstlich überhitzte Wirtschaft wieder abkühlen. Die Notbremse richtet sich vor allem dagegen, dass die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, meinen Beobachter.