EZB rudert wegen Angst vor neuer Schuldenkrise zurück

Bild: moritz320/Pixabay License

Notenbank verkündete erst Stopp der Anleihekäufe, beschließt aber auf Krisensitzung wegen steigender Staatsanleihen-Zinsen wieder Anleihen zu kaufen; FED legt Vollbremsung ein

Erst kürzlich hatte die Europäische Zentralbank (EZB) nach viel zu langem Zögern eine leichte Abkehr von der Null- und Negativzinspolitik sowie der Geldschwemme angekündigt, die seit 14 Jahren die EZB-Geldpolitik bestimmen. Damit wollte die EZB, angesichts der Rekordinflation von offiziell 8,1 Prozent, eine zaghafte geldpolitische Wende einleiten.

Die Frankfurter Notenbank hatte ankündigt, sie werde am 1. Juli die Anleihekäufe einstellen. Auf der nächsten geldpolitischen EZB-Sitzung am 21. Juli sei zudem "beabsichtigt", den Leitzins um 25 Basispunkte auf 0,25 Prozent anzuheben. Das wäre die erste Zinserhöhung seit mehr als einem Jahrzehnt. Ob die tatsächlich kommt, daran hatte der Autor an dieser Stelle schon Zweifel angemeldet.

Klar war bereits, dass real die Anleihekäufe nicht eingestellt werden sollten. Denn in fällig werdende Anleihen sollte noch mindestens bis 2024 reinvestiert werden. Es sollten also weiter Anleihen gekauft werden.

Da aber mit den Ankündigungen der Zentralbank die Zinsen für Staatsanleihen von Schuldenländern wie Italien seither wieder deutlich angestiegen sind, rudert die EZB aus Angst vor dem Aufflammen einer neuen Schuldenkrise auch in dieser Frage wieder zurück, wie angesichts einer eilig einberufenen Notfallsitzung am Mittwoch klar wurde. Dazu unten mehr.

"Droht eine neue Schuldenkrise?"

"Droht eine neue Schuldenkrise?", war zum Beispiel beim ZDF schon wieder zu hören. Fakt ist, dass die Staatsschulden von großen Euro-Ländern wie Italien, Spanien, Frankreich auch über die Corona-Krise weiter ausgeufert sind. Die Schulden sind nicht, wie über die Geldschwemme geplant, gesenkt worden, über die von der EZB eigentlich Zeit erkauft werden sollte, die aber ungenutzt verstrichen ist.

Zuletzt war die Schuldenquote im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP) sogar etwas gesunken. Das hängt aber vor allem mit dem 2021 starken nachholenden Wachstum zusammen, aber auch mit der sehr hohen Inflation von nun 8,1 Prozent im Euro-Raum, mit der ein Teil der Staatsschulden weginflationiert wird.

Da aber auch von der Frankfurter Zentralbank immer wieder das Märchen aufgewärmt wird, die Inflation sei wegen dem Ukraine-Krieg in die Höhe geschnellt, sei hier noch einmal erwähnt, dass die Inflation schon im vergangenen Dezember im Euro-Raum auf fünf Prozent und in Deutschland schon auf 5,7 Prozent angestiegen war.

Die Schuldenquote von Italien liegt inzwischen schon bei fast 151 Prozent. In Spanien sind es gut 118 Prozent und in Frankreich liegt die Quote bei fast 113 Prozent. Damit sind gleich drei große Euroländer enorm verschuldet und für sie könnte es über kurz oder lang ernst werden. Das gilt vor allem für das Sorgenkind Italien, das seit vielen Jahren eine immer lauter tickende Zeitbombe ist.

Um das drittgrößte Euroland vor dem Absturz zu bewahren und damit auch den Euro, hatte der Italiener Mario Draghi aus der EZB die Geldschwemme eingeleitet, die unter der Französin Christine Lagarde nicht zurückgenommen, sondern in der Corona-Krise extrem ausgeweitet wurde.

Inzwischen ist Draghi nicht mehr EZB-Präsident, sondern Ministerpräsident von Italien und profitiert dabei von den neuen EZB-Extrawürsten, die jetzt von Lagarde für Italien gebraten werden.

Zum Vergleich der Schuldenquoten sei gesagt, dass der Durchschnitt im Euroraum bei fast 96 Prozent liegt. In Deutschland beträgt die Quote gut 69 Prozent, womit auch Deutschland weiterhin klar über dem Maastricht-Stabilitätskriterium von höchstens 60 Prozent liegt.

Griechenland, dessen Schuldenquote unter Federführung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und mit Lagarde an der Spitze bis 2020 auf 120 Prozent gesenkt werden sollte, weist dagegen sogar mehr als 193 Prozent aus und war zwischenzeitlich sogar dabei, die Schwelle von 200 Prozent zu überschreiten.

Die Leitzinsen

Da seit geraumer Zeit klar ist, dass die EZB wegen der hohen und steigenden Inflation die Leitzinsen irgendwann wird anheben müssen, sind die Renditen für italienische Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren seit dem vergangenen August von 0,56 Prozent auf nun etwa 4,1 Prozent gestiegen.

Der Anstieg fiel zuletzt sehr stark aus. Ende März lag die Rendite nur etwa halb so hoch wie bisher. Da die Anleihezinsen einiger südlicher Eurostaaten zuletzt deutlich gestiegen sind, kommen natürlich unweigerlich Erinnerungen an die Euroschuldenkrise des vergangenen Jahrzehnts hoch.

Es ist klar, dass hohe und steigende Zinsen für Staatsanleihen - das derzeitige italienische Niveau gab es zuletzt vor acht Jahren - alsbald einige Länder in Bedrängnis bringen werden. Als mitten in der Schuldenkrise vor elf Jahren die Renditen für italienische Anleihen auf 4,8 Prozent stiegen, wurde schon einmal vom "Absturz" des drittgrößten Eurolands gesprochen.

Es war damals Draghi, der aus dem Chefsessel der Notenbank sagte: Man werde tun, "whatever it takes". Draghi wollte also alles tun, um Italien und den Euro zu retten. Er wollte die Notenpressen auch unbegrenzt laufen lassen, um Staatsanleihen zu kaufen und die Risikoaufschläge zu senken. Spätestens damit war die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung über die Zentralbank überschritten.

Das war damals vielleicht sogar notwendig. Genauso notwendig wäre danach ein geordneter Ausstieg aus dieser auf lange Sicht inflationstreibende Geldpolitik gewesen. Auch hätte die erkaufte Zeit genutzt werden müssen, was allerdings nicht geschehen. Doch der Ausstieg aus der Geldschwemme, den auch die Notenbank der Notenbanken immer wieder gefordert hatte, kam nie.

Die EZB betreibt seit Jahren Konjunkturpolitik, statt für Geldwertstabilität zu sorgen, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Schon bei der leisesten konjunkturellen Eintrübung wurden seit der Übergabe des Chefsessels von Draghi auf Lagarde die Anleihekäufe wieder ausgeweitet.

Deshalb hat sich die EZB, wie es absehbar war und hier immer wieder kritisiert wurde, in eine Zwickmühle manövriert, die nun für alle sichtbar wird. Jede Straffung der Geldpolitik wird für Schockwellen sorgen und es war längst klar: Je länger man in Frankfurt die Probleme verschleppt, umso härter werden die Konsequenzen.

So hat sich derweil auch die Schuldenlage weiter zugespitzt. Als der historische Satz von Draghi fiel, lag die Verschuldung des italienischen Staates noch bei zwei Billionen Euro. Nun sind die Staatsschulden aber schon auf 2,7 Billionen angewachsen.

Das bedeutet, dass Italien nun sogar bei etwas niedrigeren Renditen als damals bald massive Probleme bekommen wird. Denn bald wird der Schuldendienst wieder immer größere Teile der Einnahmen auffressen.

Die Anleihen

Es bleibt also noch etwas Zeit, da viele Anleihen, die in den letzten Jahren billig gekauft wurden, längere Laufzeiten haben. Aber auch diese Zeit läuft ab und es ist klar, dass absehbar für einige Länder eine gefährliche Abwärtsspirale droht, zumal in Italien auch das Rezessionsrisiko steigt.

Deutschland muss derzeit für zehnjährige Anleihen etwa 1,7 Prozent Rendite bieten, doch der Zinsunterschied (Spread) zu Griechenland liegt schon bei gut drei Prozentpunkten. Griechenland muss also schon einen Risikoaufschlag von gut drei Prozentpunkten bezahlen, weshalb das Land nun nur noch für fast 4,8 Prozent an neue Anleihen kommt. Das wird angesichts der extrem hohen Verschuldung auch mittelfristig kritisch.

Im Fall Italien kommt noch hinzu, dass sich die italienische Banken mit dem bisher extrem billigen EZB-Geld mit italienischen Anleihen vollgesaugt haben. Nach Angaben des italienischen Bankenverbands haben italienische Geldinstitute für 422 Milliarden Euro italienische Staatsanleihen in den Büchern. Schnell werden auch die Banken im Land wieder in Schieflage geraten. Im Sog steigender Zinsen verlieren diese Anleihen an Wert.

Das belastet die Bilanzen der Banken. Es droht eine Verschärfung der Bankenkrise, die in Italien ohnehin nie vorbei war, wie Vorgänge noch vor drei Jahren zeigten.

Was genau beschlossen wurde, ist undurchsichtig

Angesichts der italienischen Zeitbombe (in kleinerem Maße gilt das auch für Spanien und Frankreich) ist es wenig erstaunlich, dass man angesichts der Vorgänge auf den Kapitalmärkten in der EZB wieder in den Krisenmodus umgestiegen ist.

Auch die Börsen sind in dieser Woche deutlich in die Knie gegangen. Am Mittwoch kam das Notenbank-Direktorium deshalb eilig zu einer Notfallsitzung zusammen, um vor allem dem unkontrollierten Rendite-Anstieg von Schuldenländern zu begegnen.

Was genau beschlossen wurde, ist aber undurchsichtig. Klar ist zunächst nur, dass bei dem Krisentreffen die EZB-Spitze beschlossen hat, die Gelder aus dem fällig werdenden Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) einzusetzen, um vor allem in Papiere von Italien und anderen hoch verschuldeten Ländern zu investieren, damit deren Spread gedrückt wird.

Man bastelt auch an einem neuen Werkzeug. So habe der EZB-Rat beschlossen, "die zuständigen Ausschüsse des Eurosystems zusammen mit den EZB-Dienststellen damit zu beauftragen, die Gestaltung eines neuen Instruments zur Bekämpfung der Fragmentierung, das der EZB-Rat prüfen wird, zügiger abzuschließen".

Klar ist, dass aus dem Ausstieg aus den Anleihekäufen also definitiv wie erwartet wieder nichts wird. Wie man es von der EZB längst gewohnt ist, wartet sie in der kurzen Stellungnahme mit Euphemismen auf, wenn sie zum Beispiel die Notfallsitzung als "Meinungsaustausch über die aktuelle Marktsituation" verkauft.

Sie spricht auch von einem "graduellen Prozess zur schrittweisen geldpolitischen Normalisierung", der im Dezember 2021 eingeleitet worden sei. In der Realität gab es den Prozess nie, der sich bisher nur in Absichtserklärungen zeigt. Die Notenbank spricht nebulös davon, dass sich der EZB-Rat verpflichtet habe, "neuerlichen Fragmentierungsrisiken entgegenzuwirken".

Es springt bei der Erklärung auch ins Auge, dass bestimmte Wörter einfach nicht vorkommen wollen. Weder "Italien" noch "Inflation" oder "Zinsen" tauchen auf. Man wolle bei der "Wiederanlage der Tilgungsbeträge fällig werdender Wertpapiere im PEPP-Portfolio flexibel agieren, um die Funktionsfähigkeit des geldpolitischen Transmissionsmechanismus aufrechtzuerhalten", wird wolkig schwadroniert.

Dass die EZB doch tatsächlich angesichts einer steigenden Rekordinflation von nun schon 8,1 Prozent davon spricht, dass dies "eine Voraussetzung" dafür sei, "dass die EZB ihr Preisstabilitätsmandat erfüllen kann", kann als Beleidigung der Intelligenz bezeichnet werden. Denn das ohnehin aufgestockte Inflationsziel der Notenbank liegt mit zwei Prozent schon mehr als vier Mal darunter.

Es war schon mit der zuvor beschlossenen zaghaften geldpolitischen Wende klar, dass damit die hohe Inflation sicher nicht eingeschränkt werden wird. Da nun neue inflationstreibende Maßnahmen ergriffen werden, wird das natürlich noch illusorischer. In anderen Währungsräumen, allen voran zunächst in Großbritannien, hat man längst auf die hohe Inflation mit Leitzinsanhebungen reagiert.

Und die Bank of England (BoE) hat am Donnerstag nachgelegt und den Leitzins um 25 Basispunkte auf nun 1,25 Prozent angehoben, allerdings wollten einige Ratsmitglieder gleich einen deutlicheren Schritt gehen, um inflationshemmend den Zinssatz gleich um 0,5 Prozentpunkte anzuheben.

Die BoE zeigt sich aber bereit, "kraftvoll" zu handeln, um die von der hohen Inflation ausgehenden Gefahren einzudämmen. Sie war im Dezember die erste unter den großen Notenbanken, die seit der Corona-Pandemie die Zinsen wieder angehoben hatte.

Eine Vollbremsung legt nun die US-Notenbank FED hin, wie sie von Telepolis angesichts der auch hohen US-Inflation im April vorhergesagt wurde. Kurz vor der Zinserhöhung durch die BoE hatte die FED am späten Mittwoch einen richtig großen Schluck aus der Pulle genommen und erhöhte den Leitzins außergewöhnlich kräftig um 75 Basispunkte auf nun 1,75 Prozent, um der Inflation zu klar zu begegnen.

Es handelte sich dabei um den größten Zinssprung in den USA seit 1994. Die offizielle Inflationsrate war im Mai auf 8,6 Prozent gestiegen. Sie steigt, anders als hier, allerdings auf der anderen Seite des Atlantiks derzeit nur noch leicht. Sie war zwischenzeitlich angesichts der Zinserhöhungen auch wieder einmal leicht gesunken.

Der FED-Chef zieht nun also die Notbremse und räumte damit auch ein, dass die bisherige Strategie falsch war. Deshalb reißt Jerome Powell nun das Ruder herum, auch er hatte lange mit der Zinsnormalisierung gewartet und war zunächst nur zaghaft vorgegangen. Anders als die EZB will die FED ihre Bilanzsumme auch real reduzieren.

Die "Bestände an Staatsanleihen, Schuldverschreibungen und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren" werden weiter abgebaut, schreibt die FED. Der Offenmarktausschuss sei "fest entschlossen, die Inflation auf das Ziel von zwei Prozent zurückzuführen", wird erklärt.

Es sind deshalb weitere Zinserhöhungen in den USA zu erwarten. Beobachter erwarten sogar, dass der Leitzins noch in diesem Jahr auf drei Prozent steigen dürfte. "Die entscheidende Frage ist, wo der Leitzins liegen muss, um die Inflation längerfristig hin zum angestrebten Ziel von 2 Prozent zu bringen, etwa ob bei 3,5 oder 4 Prozent. Wir werden das wohl im Laufe der Zeit empirisch herausfinden, sobald der Realzins der staatlichen Zinspapiere über alle Laufzeiten hinweg positiv ist", erklärte der FED-Präsident.

Über die Zinserhöhungen soll zügig die zirkulierende Geldmenge verkleinert werden und die durch die bisherige Geld- und Fiskalpolitik künstlich überhitzte Wirtschaft wieder abkühlen. Die Notbremse richtet sich vor allem dagegen, dass die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, meinen Beobachter.