Zaghafte Abkehr von Geldschwemme trotz Rekord-Inflation
- Zaghafte Abkehr von Geldschwemme trotz Rekord-Inflation
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Die EZB will Anleihekäufe einstellen, aber auch nicht wirklich. Bei der nächsten Sitzung soll die Zinswende kommen, während die Weltbank vor einer weltweiten Stagflation warnt
"Der EZB-Rat ist bereit, alle seine Instrumente anzupassen und dabei erforderlichenfalls flexibel zu sein, um sicherzustellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei seinem Zielwert von zwei Prozent stabilisiert", hat die Europäische Zentralbank (EZB) nach der letzten Ratssitzung am Donnerstag erklärt.
Die angesichts einer stetig steigenden Rekordinflation beschlossenen Maßnahmen zeigen aber, dass man in Frankfurt am Main entweder real das Problem nicht erkennt, es nicht ernst nimmt oder bewusst dafür sorgen will, die in der Corona-Pandemie ausgeuferten Staatsschulden über die Inflation teilweise zu beseitigen.
Denn, so hatte die Europäische Statistikbehörde (Eurostat) kürzlich festgestellt, die offizielle Teuerung ist in der Euro-Zone im Mai schon auf 8,1 Prozent gestiegen. In Deutschland ist sie mit 8,7 Prozent sogar schon überdurchschnittlich hoch.
Für "Otto Normalverbraucher" ist die reale Teuerung ohnehin viel höher, denn auch im Euroraum wurden bei der Ermittlung der Inflationsrate immer mehr Faktoren herausgenommen, um sie aufzuhübschen. In Deutschland ist das noch schlimmer, weshalb das Statistische Bundesamt (Destatis) die Inflation sogar offiziell nur mit unterdurchschnittlichen 7,9 Prozent beziffert.
Bestenfalls kosmetische Reaktion
Die EZB reagiert auf die Rekordinflation bestenfalls kosmetisch, weil sie dazu gezwungen ist. Eine Zinswende, wie sie in vielen Ländern längst eingeleitet wurde – unter anderem in Großbritannien und den USA – wurde auch noch nicht eingeleitet. Die EZB kündigte nur an, dass sie auf der nächsten Ratssitzung am 21. Juli "beabsichtigt", den Leitzins anzuheben. So soll in der ersten Zinserhöhung seit mehr als einem Jahrzehnt der Leitzins von null auch um 25 Basispunkte auf 0,25 Prozent erhöht werden.
Man kann es schlicht lächerlich nennen, dass damit die enorm hohe Inflation bekämpft werden soll. Das gilt auch für die Absicht, dass im September ein weiterer Zinsschritt folgen könnte, je nach konjunktureller Lage und Inflation. Der könnte dann sogar 50 Basispunkte betragen, wird erklärt. Dann würde der Leitzins bestenfalls im September auf 0,75 Prozent steigen, wenn dies tatsächlich umgesetzt wird.
An den Negativzinsen für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank ändert sich zunächst gar nichts. Der Einlagensatz (Strafzins) liegt weiterhin bei minus 0,5 Prozent. Also müssen die Banken weiter dafür bezahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der EZB parken.
Damit rechtfertigen die Banken wiederum das sogenannte Verwahrentgelt, dass sie den Kunden oft aufdrücken. Diese müssen für die Lagerung ihres Geldes bei der Bank bezahlen. So werden die Kunden seit langer Zeit gleich mehrfach "rasiert": Sie bekommen keine Zinsen auf Sparguthaben und müssen für die "Verwahrung" bei den Banken bezahlen, während sich das Guthaben über die starke und steigende Inflation immer schneller entwertet.
Als einzige konkrete Maßnahme kann genannt werden, dass die EZB – allerdings auch erst ab dem 1. Juli – keine Staats- und Unternehmensanleihen mehr im Rahmen des allgemeinen Kaufprogramms (APP) aufkaufen will. Schon Ende März hatte die Zentralbank den Kauf von überwiegend Staatsanleihen durch das Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) gestoppt.
Seit 2015 hat die EZB etwa für fünf Billionen Euro Anleihen erworben und damit inflationstreibend sehr viel Geld in die Finanzmärkte gepumpt. Über die umstrittenen Ankäufe von Staatsanleihen wurde zeitweise die komplette Netto-Neuverschuldung der Euro-Länder finanziert – dabei darf die EZB eigentlich keine Staatsfinanzierung betreiben.
Wichtig ist auch hier das Kleingedruckte, denn zu den Anleihen ist zu lesen. "Was das Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) angeht, beabsichtigt der EZB-Rat, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des Programms erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2024 weiterhin bei Fälligkeit wieder anzulegen."
Das bedeutet im Klartext, dass auch die Anleihekäufe nicht wirklich eingestellt werden, sondern Gelder aus fällig werdenden Anleihen will die EZB noch mindestens bis 2024 reinvestiert wissen – also werden weiter Anleihen gekauft – um die Zinsen für hoch verschuldete Staaten möglichst niedrig zu halten.
Dabei hat die EZB-Präsidentin Christine Lagarde natürlich ihre französische Heimat im Blick. Ohnehin ist ihr gesamter Zeitplan auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgestimmt. Emmanuel Macron ist inzwischen als Präsident bestätigt – und am Sonntag findet die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Vor der zweiten Runde werden keine Zinsen erhöht und darin darf man Wahlwerbung für Macron sehen, der die bitteren Pillen erst nach den Wahlen verteilen muss, auch was die Subventionen auf Energie angeht.
Nicht nur "zu spät und zögerlich"
Warum diese Politik zur angeblichen Inflationsbekämpfung lächerlich ist, die meisten Beobachter sprechen aber eher nur von "zu spät und zu zögerlich", zeigt sich unter anderem in den USA. Dort wurde im Mai nun gerade schon eine offiziell weiter gestiegene Inflationsrate von nun 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr registriert.
Damit ist die Inflation so hoch, wie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr. Die Inflation steigt, allerdings dort schon langsamer als im Euroraum, denn im April lag sie bei 8,3 Prozent.
Sie war aber zwischenzeitlich sogar schon wieder etwas gefallen. So hatte die Teuerungsrate in den USA im April schon bei 8,5 Prozent gelegen. Denn die FED hat, anders als die EZB, die Zinsen nun schon in zwei Schritten erhöht, zuletzt im Mai um einen größeren Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte. Damit liegt er nun in der Spanne von 0,75 bis 1 Prozent.
Es wird erwartet, dass die FED schon nächste Woche einen größeren Schluck aus der Flasche nehmen wird und die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte anheben wird. Zudem hat die Notenbank schon mit dem Abbau ihrer auf gigantische neun Billionen Dollar aufgeblähten Bilanzsumme begonnen und der FED-Chef Jerome Powell hat weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr angekündigt.
Am Beispiel Großbritanniens wurde hier schon aufgezeigt, wohin die Reise auf dem Weg der Inflation geht. Die Bank of England (BoE) hatte sogar schon früher als die Federal Reserve Bank (Fed) die Nullzinspolitik beendet. Binnen sechs Monaten wurde der Leitzins inzwischen auf ein Prozent angehoben - den höchsten Stand seit der Finanzkrise 2009. Diese Woche dürfte die BoE zum fünften Mal die Zinsen anheben.
Erwartet wird ein Zinsschritt um 50 Basispunkten auf dann 1,5 Prozent, da in der Spitze ab Herbst sogar offiziell eine zweistellige Inflationsrate erwartet wird. Die untersten Einkommensschichten haben längst schon mit einer realen Inflation über zehn Prozent zu kämpfen, da sie einen besonders großen Anteil ihrer Kaufkraft für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen – Bereiche, in denen besonders hohe Preissteigerungen zu beobachten sind.