Zaghafte Abkehr von Geldschwemme trotz Rekord-Inflation

War da nicht ein bisschen mehr? Schlichtes Sparen zahlt sich momentan nicht aus. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Die EZB will Anleihekäufe einstellen, aber auch nicht wirklich. Bei der nächsten Sitzung soll die Zinswende kommen, während die Weltbank vor einer weltweiten Stagflation warnt

"Der EZB-Rat ist bereit, alle seine Instrumente anzupassen und dabei erforderlichenfalls flexibel zu sein, um sicherzustellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei seinem Zielwert von zwei Prozent stabilisiert", hat die Europäische Zentralbank (EZB) nach der letzten Ratssitzung am Donnerstag erklärt.

Die angesichts einer stetig steigenden Rekordinflation beschlossenen Maßnahmen zeigen aber, dass man in Frankfurt am Main entweder real das Problem nicht erkennt, es nicht ernst nimmt oder bewusst dafür sorgen will, die in der Corona-Pandemie ausgeuferten Staatsschulden über die Inflation teilweise zu beseitigen.

Denn, so hatte die Europäische Statistikbehörde (Eurostat) kürzlich festgestellt, die offizielle Teuerung ist in der Euro-Zone im Mai schon auf 8,1 Prozent gestiegen. In Deutschland ist sie mit 8,7 Prozent sogar schon überdurchschnittlich hoch.

Für "Otto Normalverbraucher" ist die reale Teuerung ohnehin viel höher, denn auch im Euroraum wurden bei der Ermittlung der Inflationsrate immer mehr Faktoren herausgenommen, um sie aufzuhübschen. In Deutschland ist das noch schlimmer, weshalb das Statistische Bundesamt (Destatis) die Inflation sogar offiziell nur mit unterdurchschnittlichen 7,9 Prozent beziffert.

Bestenfalls kosmetische Reaktion

Die EZB reagiert auf die Rekordinflation bestenfalls kosmetisch, weil sie dazu gezwungen ist. Eine Zinswende, wie sie in vielen Ländern längst eingeleitet wurde – unter anderem in Großbritannien und den USA – wurde auch noch nicht eingeleitet. Die EZB kündigte nur an, dass sie auf der nächsten Ratssitzung am 21. Juli "beabsichtigt", den Leitzins anzuheben. So soll in der ersten Zinserhöhung seit mehr als einem Jahrzehnt der Leitzins von null auch um 25 Basispunkte auf 0,25 Prozent erhöht werden.

Man kann es schlicht lächerlich nennen, dass damit die enorm hohe Inflation bekämpft werden soll. Das gilt auch für die Absicht, dass im September ein weiterer Zinsschritt folgen könnte, je nach konjunktureller Lage und Inflation. Der könnte dann sogar 50 Basispunkte betragen, wird erklärt. Dann würde der Leitzins bestenfalls im September auf 0,75 Prozent steigen, wenn dies tatsächlich umgesetzt wird.

An den Negativzinsen für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank ändert sich zunächst gar nichts. Der Einlagensatz (Strafzins) liegt weiterhin bei minus 0,5 Prozent. Also müssen die Banken weiter dafür bezahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der EZB parken.

Damit rechtfertigen die Banken wiederum das sogenannte Verwahrentgelt, dass sie den Kunden oft aufdrücken. Diese müssen für die Lagerung ihres Geldes bei der Bank bezahlen. So werden die Kunden seit langer Zeit gleich mehrfach "rasiert": Sie bekommen keine Zinsen auf Sparguthaben und müssen für die "Verwahrung" bei den Banken bezahlen, während sich das Guthaben über die starke und steigende Inflation immer schneller entwertet.

Als einzige konkrete Maßnahme kann genannt werden, dass die EZB – allerdings auch erst ab dem 1. Juli – keine Staats- und Unternehmensanleihen mehr im Rahmen des allgemeinen Kaufprogramms (APP) aufkaufen will. Schon Ende März hatte die Zentralbank den Kauf von überwiegend Staatsanleihen durch das Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) gestoppt.

Seit 2015 hat die EZB etwa für fünf Billionen Euro Anleihen erworben und damit inflationstreibend sehr viel Geld in die Finanzmärkte gepumpt. Über die umstrittenen Ankäufe von Staatsanleihen wurde zeitweise die komplette Netto-Neuverschuldung der Euro-Länder finanziert – dabei darf die EZB eigentlich keine Staatsfinanzierung betreiben.

Wichtig ist auch hier das Kleingedruckte, denn zu den Anleihen ist zu lesen. "Was das Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) angeht, beabsichtigt der EZB-Rat, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des Programms erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2024 weiterhin bei Fälligkeit wieder anzulegen."

Das bedeutet im Klartext, dass auch die Anleihekäufe nicht wirklich eingestellt werden, sondern Gelder aus fällig werdenden Anleihen will die EZB noch mindestens bis 2024 reinvestiert wissen – also werden weiter Anleihen gekauft – um die Zinsen für hoch verschuldete Staaten möglichst niedrig zu halten.

Dabei hat die EZB-Präsidentin Christine Lagarde natürlich ihre französische Heimat im Blick. Ohnehin ist ihr gesamter Zeitplan auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgestimmt. Emmanuel Macron ist inzwischen als Präsident bestätigt – und am Sonntag findet die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Vor der zweiten Runde werden keine Zinsen erhöht und darin darf man Wahlwerbung für Macron sehen, der die bitteren Pillen erst nach den Wahlen verteilen muss, auch was die Subventionen auf Energie angeht.

Nicht nur "zu spät und zögerlich"

Warum diese Politik zur angeblichen Inflationsbekämpfung lächerlich ist, die meisten Beobachter sprechen aber eher nur von "zu spät und zu zögerlich", zeigt sich unter anderem in den USA. Dort wurde im Mai nun gerade schon eine offiziell weiter gestiegene Inflationsrate von nun 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr registriert.

Damit ist die Inflation so hoch, wie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr. Die Inflation steigt, allerdings dort schon langsamer als im Euroraum, denn im April lag sie bei 8,3 Prozent.

Sie war aber zwischenzeitlich sogar schon wieder etwas gefallen. So hatte die Teuerungsrate in den USA im April schon bei 8,5 Prozent gelegen. Denn die FED hat, anders als die EZB, die Zinsen nun schon in zwei Schritten erhöht, zuletzt im Mai um einen größeren Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte. Damit liegt er nun in der Spanne von 0,75 bis 1 Prozent.

Es wird erwartet, dass die FED schon nächste Woche einen größeren Schluck aus der Flasche nehmen wird und die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte anheben wird. Zudem hat die Notenbank schon mit dem Abbau ihrer auf gigantische neun Billionen Dollar aufgeblähten Bilanzsumme begonnen und der FED-Chef Jerome Powell hat weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr angekündigt.

Am Beispiel Großbritanniens wurde hier schon aufgezeigt, wohin die Reise auf dem Weg der Inflation geht. Die Bank of England (BoE) hatte sogar schon früher als die Federal Reserve Bank (Fed) die Nullzinspolitik beendet. Binnen sechs Monaten wurde der Leitzins inzwischen auf ein Prozent angehoben - den höchsten Stand seit der Finanzkrise 2009. Diese Woche dürfte die BoE zum fünften Mal die Zinsen anheben.

Erwartet wird ein Zinsschritt um 50 Basispunkten auf dann 1,5 Prozent, da in der Spitze ab Herbst sogar offiziell eine zweistellige Inflationsrate erwartet wird. Die untersten Einkommensschichten haben längst schon mit einer realen Inflation über zehn Prozent zu kämpfen, da sie einen besonders großen Anteil ihrer Kaufkraft für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen – Bereiche, in denen besonders hohe Preissteigerungen zu beobachten sind.

Euphemismen und schwammige Begriffe

Da derzeit alle Zeichen für eine weiterhin steigende Inflation sprechen, kann man auch die Aussage der EZB, dass sie "die Inflation mittelfristig bei seinem Zielwert von zwei Prozent stabilisieren" wolle, als Lüge bezeichnen. Schon das Verb "stabilisieren" ist ein Euphemismus.

Stabilisieren kann man auf dem Niveau, auf dem man sich befindet. Darin liegt sogar ein Freudscher Versprecher. Denn bestenfalls sind die beschlossenen und angekündigten Maßnahmen nur dazu geeignet, die Teuerungsrate auf dem derzeit hohen Niveau zu stabilisieren, die der breiten Bevölkerung massiv Kaufkraft entzieht.

Ansonsten müsste es nämlich heißen, dass die Inflation gesenkt werden müsse. Auffällig ist auch der schwammige Begriff "mittelfristig". Da der nicht definiert ist, stellt sich die Frage: Wie lange sollen wir Inflationsraten am Rand um zehn Prozent aushalten?

Klar ist: Die EZB hat mit der Veränderung der Zielvorstellungen eine Möglichkeit geschaffen, sich vom eigentlichen Ziel der Zentralbank zu verabschieden. Zwar wurde das Zinsziel im vergangenen Sommer nur von knapp unter zwei Prozent auf zwei Prozent angehoben, doch auch hier war das Kleingedruckte wichtiger. Demnach will die Frankfurter Notenbank nun auch stärkere Abweichungen bei der Inflation nach oben oder unten über einen längeren Zeitraum akzeptieren. Natürlich wurde auch hier nicht definiert, was ein längerer Zeitraum sein soll: sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre oder zehn Jahre?

Es muss erneut wieder einmal ins Ausland geschaut werden, in die Schweiz zum Beispiel, wo die Inflationsrate gerade einmal auf 2,9 Prozent geklettert ist, worüber die Eidgenossen schon stöhnen, um eine klarere Analyse in den sogenannten Qualitätsmedien zu erhalten. So stellt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest: "Die EZB hechelt der Inflation hinterher und vernachlässigt weiterhin sträflich ihre Pflicht zur Wahrung der Preisstabilität."

Die NZZ bemerkt daher auch richtig, dass "die Bürger vorerst mit hoher Geldentwertung leben müssen" – und dabei wird auch der Zusammenhang zur hohen Staatsverschuldung hergestellt.

Es wird auch berichtet, dass sogar eine offizielle Inflation herrscht, die doppelt so hoch wie die Zielmarke ist, auch wenn man die volatilen Preise für Energie und Lebensmittel herausrechnet. "Die Teuerung geht also bereits sehr stark in die Breite, wie die Konsumenten bei fast jedem Einkauf spüren." Denn hohe Energiepreise schlagen sich immer erst mit Verzögerung in den Preisen nieder.

Wie Telepolis mehrfach feststellte, taugt auch der Ukraine-Krieg nicht als EZB-Ausrede. Die Inflation war schon im vergangenen Dezember im Euro-Raum auf fünf Prozent und in Deutschland schon auf 5,7 Prozent angestiegen. So meint nun auch die NZZ, dass die EZB die Folgen des Krieges "aus Selbstschutz überbetont" würden und führt an, dass diese "den allgemeinen Preisanstieg zwar forciert" hätten, aber die Inflation eben schon viel länger hoch ist.

"Eine kluge Geldpolitik hätte vorausschauender agiert und sich schrittweise von der ultraexpansiven Politik verabschiedet, denn eine Notenbank muss erfahrungsgemäß immer mit exogenen Schocks rechnen – dieses Mal waren das die Pandemie, die Lieferkettenprobleme und der Ukraine‑Krieg", erklärt die NZZ richtig.

Und auch in Zürich ist man der Meinung, dass sich die "schon jetzt unangenehme Situation" weiter verschärfen wird. Der Inflationsdruck nimmt noch zu, der Preisdruck auf vorgelagerten Stufen ist anhaltend hoch. "So sind die Erzeugerpreise im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland jüngst um 33 Prozent hochgeschossen. Diese Steigerungen werden sich auch auf die Preise für die Endverbraucher auswirken."

Damit ist noch nichts zu den Energiepreisen gesagt, denn die Preise für Öl und Gas gehen weiter in die Höhe und für den Euroraum wird Energie auch schon über den Wechselkurs teurer, da der Euro gegenüber dem Dollar wegen der Notenbankpolitik an Wert verliert.

Aber die Energiepreise sind zuletzt erneut angestiegen, obwohl sogar die OPEC die Ölfördermenge ausweiten will. Die hilflosen Versuche, über Tankrabatte die Inflation zu senken und die Verbraucher ruhig zu stellen, sind entweder schon - wie in Spanien verpufft - oder werden wie in Deutschland schnell verpuffen.

Dass man neben Russland von Seiten der EU auch noch mit dem wichtigen Gaslieferanten Algerien verprellt, wird sicher auch nicht preis- und inflationsdämpfend wirken, genauso wenig wie die Substitution von russischem oder algerischen Gas durch das extrem dreckige und teure Fracking-Gas aus den USA, dass per Schiff angeliefert werden muss. Die Kapazitäten halten sich dabei in engen Grenzen.

Zudem hatte sich schon im Herbst 2021 abgezeichnet, dass das Gespenst der gefährlichen Stagflation zurück ist. Der Zeitpunkt, die Geldpolitik zu straffen, wurde von praktisch allen Notenbanken verpasst, nur die Lagarde-EZB hinkt besonders hinterher.

Man kann das aber längst nicht mehr mit Unfähigkeit begründen. Es kann sich eigentlich nur noch um eine bewusste Politik handeln. Es ist vermutlich keine Realitätsverweigerung mehr, die uns in die gefährliche Lage bringen wird, dass wir mit einer Stagnation und hoher Inflation zu kämpfen haben werden.

Der "perfekte Sturm", vor dem gewarnt wurde, hat sich längst zusammengebraut. Die EZB ist in die Sackgasse gerannt, weil sie den Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Nullzinspolitik besonders lange verpasst hat. Mit steigenden Zinsen erhöhen sich nun aber die Stagflationsgefahren.

Es rächt sich eben, wenn man zu lange an einer erratischen Politik festhält. Die Landung wird umso härter, je länger man keinen klaren Kurswechsel einleitet, wie Experten warnen: "Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen."

Mythos: Stagflation durch Lohnerhöhungen

Doch real strafft die EZB weiterhin ihre Geldpolitik nur ein klein wenig. Die Absichtserklärungen dienen vor allem als Signal. Sie haben vor allem zum Ziel, die Beschäftigten, denen längst über die Inflation das Geld aus der Tasche gezogen wird, von Arbeitskämpfen mit hohen Lohnforderungen abzuhalten. Allseits wird Lohnzurückhaltung gefordert, um eine Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden.

Dabei stellen Ökonomen wie Marcel Fratzscher fest, dass eine drohende Stagflation aufgrund der Lohnerhöhungen ein Mythos ist. So hatte auch in den 1970er-Jahren ein Ölpreisschock die Inflation angetrieben, die damals steigenden Löhne hätten der wirtschaftlichen Lage aber nicht nachhaltig geschadet, meint er. Vielmehr hätten die Lohnerhöhungen die Wirtschaft durch die erhöhte Kaufkraft der Menschen sogar stabilisiert. "Es ist also auch aus Unternehmersicht durchaus sinnvoll, sich nicht gegen Lohnerhöhungen zu stellen."

Klar ist aber, dass das Stagflations-Gespenst nun auch bei der Weltbank angekommen ist, die vor Szenarien wie vor 50 Jahren warnt. Und nach der Weltbank hat inzwischen auch die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung (OECD) ihren Ausblick für die Weltwirtschaft zusammengestrichen.

Beide Finanzorganisationen warnen inzwischen klar und deutlich vor einer weltweiten Stagflation. Die OECD erwartet im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum von drei Prozent (zuvor 4,5 Prozent). Die Industriestaaten‑Organisation spricht von einer Lage, wie man sie seit den 1970er-Jahren nicht mehr gesehen habe.

Und die OECD hat auch eine ganz andere Analyse als die EZB: Infolge des Ukraine-Krieges werde die Inflation höher ausfallen und länger andauern als bislang angenommen, sagte OECD‑Generalsekretär Mathias Cormann.

Die Weltbank hat ihre Prognose für das globale Wirtschaftswachstum sogar auf 2,9 Prozent gesenkt. In dem Bericht wird auch das "S-Wort" unverblümt in Washington schon in den Mund genommen. Schon im Titel heißt es. "Stagflationsrisiko steigt inmitten einer drastischen Wachstumsverlangsamung."

Der Krieg in der Ukraine habe die konjunkturellen Schäden aus der Corona‑Pandemie noch verschlimmert, weshalb viele Länder mit einer Rezession rechnen müssten, teilte die Weltbank mit.

"Das Risiko einer Stagflation ist beträchtlich und hat potentiell destabilisierende Folgen für die Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen", sagte Weltbank‑Präsident David Malpass. "Für viele Länder wird es schwierig sein, eine Rezession zu vermeiden." Schwaches Wirtschaftswachstum bei steigenden Preisen könnte gerade in zahlreichen Entwicklungsländern großes Leid auslösen.