Zaghafte Abkehr von Geldschwemme trotz Rekord-Inflation

Seite 2: Euphemismen und schwammige Begriffe

Da derzeit alle Zeichen für eine weiterhin steigende Inflation sprechen, kann man auch die Aussage der EZB, dass sie "die Inflation mittelfristig bei seinem Zielwert von zwei Prozent stabilisieren" wolle, als Lüge bezeichnen. Schon das Verb "stabilisieren" ist ein Euphemismus.

Stabilisieren kann man auf dem Niveau, auf dem man sich befindet. Darin liegt sogar ein Freudscher Versprecher. Denn bestenfalls sind die beschlossenen und angekündigten Maßnahmen nur dazu geeignet, die Teuerungsrate auf dem derzeit hohen Niveau zu stabilisieren, die der breiten Bevölkerung massiv Kaufkraft entzieht.

Ansonsten müsste es nämlich heißen, dass die Inflation gesenkt werden müsse. Auffällig ist auch der schwammige Begriff "mittelfristig". Da der nicht definiert ist, stellt sich die Frage: Wie lange sollen wir Inflationsraten am Rand um zehn Prozent aushalten?

Klar ist: Die EZB hat mit der Veränderung der Zielvorstellungen eine Möglichkeit geschaffen, sich vom eigentlichen Ziel der Zentralbank zu verabschieden. Zwar wurde das Zinsziel im vergangenen Sommer nur von knapp unter zwei Prozent auf zwei Prozent angehoben, doch auch hier war das Kleingedruckte wichtiger. Demnach will die Frankfurter Notenbank nun auch stärkere Abweichungen bei der Inflation nach oben oder unten über einen längeren Zeitraum akzeptieren. Natürlich wurde auch hier nicht definiert, was ein längerer Zeitraum sein soll: sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre oder zehn Jahre?

Es muss erneut wieder einmal ins Ausland geschaut werden, in die Schweiz zum Beispiel, wo die Inflationsrate gerade einmal auf 2,9 Prozent geklettert ist, worüber die Eidgenossen schon stöhnen, um eine klarere Analyse in den sogenannten Qualitätsmedien zu erhalten. So stellt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest: "Die EZB hechelt der Inflation hinterher und vernachlässigt weiterhin sträflich ihre Pflicht zur Wahrung der Preisstabilität."

Die NZZ bemerkt daher auch richtig, dass "die Bürger vorerst mit hoher Geldentwertung leben müssen" – und dabei wird auch der Zusammenhang zur hohen Staatsverschuldung hergestellt.

Es wird auch berichtet, dass sogar eine offizielle Inflation herrscht, die doppelt so hoch wie die Zielmarke ist, auch wenn man die volatilen Preise für Energie und Lebensmittel herausrechnet. "Die Teuerung geht also bereits sehr stark in die Breite, wie die Konsumenten bei fast jedem Einkauf spüren." Denn hohe Energiepreise schlagen sich immer erst mit Verzögerung in den Preisen nieder.

Wie Telepolis mehrfach feststellte, taugt auch der Ukraine-Krieg nicht als EZB-Ausrede. Die Inflation war schon im vergangenen Dezember im Euro-Raum auf fünf Prozent und in Deutschland schon auf 5,7 Prozent angestiegen. So meint nun auch die NZZ, dass die EZB die Folgen des Krieges "aus Selbstschutz überbetont" würden und führt an, dass diese "den allgemeinen Preisanstieg zwar forciert" hätten, aber die Inflation eben schon viel länger hoch ist.

"Eine kluge Geldpolitik hätte vorausschauender agiert und sich schrittweise von der ultraexpansiven Politik verabschiedet, denn eine Notenbank muss erfahrungsgemäß immer mit exogenen Schocks rechnen – dieses Mal waren das die Pandemie, die Lieferkettenprobleme und der Ukraine‑Krieg", erklärt die NZZ richtig.

Und auch in Zürich ist man der Meinung, dass sich die "schon jetzt unangenehme Situation" weiter verschärfen wird. Der Inflationsdruck nimmt noch zu, der Preisdruck auf vorgelagerten Stufen ist anhaltend hoch. "So sind die Erzeugerpreise im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland jüngst um 33 Prozent hochgeschossen. Diese Steigerungen werden sich auch auf die Preise für die Endverbraucher auswirken."

Damit ist noch nichts zu den Energiepreisen gesagt, denn die Preise für Öl und Gas gehen weiter in die Höhe und für den Euroraum wird Energie auch schon über den Wechselkurs teurer, da der Euro gegenüber dem Dollar wegen der Notenbankpolitik an Wert verliert.

Aber die Energiepreise sind zuletzt erneut angestiegen, obwohl sogar die OPEC die Ölfördermenge ausweiten will. Die hilflosen Versuche, über Tankrabatte die Inflation zu senken und die Verbraucher ruhig zu stellen, sind entweder schon - wie in Spanien verpufft - oder werden wie in Deutschland schnell verpuffen.

Dass man neben Russland von Seiten der EU auch noch mit dem wichtigen Gaslieferanten Algerien verprellt, wird sicher auch nicht preis- und inflationsdämpfend wirken, genauso wenig wie die Substitution von russischem oder algerischen Gas durch das extrem dreckige und teure Fracking-Gas aus den USA, dass per Schiff angeliefert werden muss. Die Kapazitäten halten sich dabei in engen Grenzen.

Zudem hatte sich schon im Herbst 2021 abgezeichnet, dass das Gespenst der gefährlichen Stagflation zurück ist. Der Zeitpunkt, die Geldpolitik zu straffen, wurde von praktisch allen Notenbanken verpasst, nur die Lagarde-EZB hinkt besonders hinterher.

Man kann das aber längst nicht mehr mit Unfähigkeit begründen. Es kann sich eigentlich nur noch um eine bewusste Politik handeln. Es ist vermutlich keine Realitätsverweigerung mehr, die uns in die gefährliche Lage bringen wird, dass wir mit einer Stagnation und hoher Inflation zu kämpfen haben werden.

Der "perfekte Sturm", vor dem gewarnt wurde, hat sich längst zusammengebraut. Die EZB ist in die Sackgasse gerannt, weil sie den Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Nullzinspolitik besonders lange verpasst hat. Mit steigenden Zinsen erhöhen sich nun aber die Stagflationsgefahren.

Es rächt sich eben, wenn man zu lange an einer erratischen Politik festhält. Die Landung wird umso härter, je länger man keinen klaren Kurswechsel einleitet, wie Experten warnen: "Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen."