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Seite 2: 2. Die Internationalisierung der Klagen und Probleme

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National borders aren't even speed bumps on the information superhighway.

Tim May

Ein weiterer Grund für die verstärkte Anwendung von "privaten" Regeln und Maßnahmen zur Kontrolle von Inhalten ist die Schwierigkeit, allgemeingültige Regeln aufzustellen. Nationale Gesetze gelten nur auf dem Staatsgebiet - und das ist in den digitalen Untiefen des Internet eher schwierig auszumachen. Besonders das ewige Katz-und-Maus-Spiel der Betreiber des Bittorrent-Indexes "Pirate Bay" mit Institutionen mehrerer Länder zeigt die Grenzen irgendeiner Informationskontrolle im Netz deutlich auf.

Dabei sind Staaten hier nicht ausschließlich Opfer, sondern sie nutzen diese Schwächen auch gezielt dafür aus, nationalen Unternehmen Vorteile auf dem Weltmarkt zu verschaffen. Ein Beispiel sind sicherlich die Auslieferungsprozesse, die im Namen der Medien-Industrien vom US-Außenministerium und vom ICE (Immigrations & Customs Enforcement) des US-Heimatschutzministeriums gegen Bürger anderer Staaten geführt werden. Üblicherweise wird dabei ein strafrechtliches Urteil vor einem US-Gericht gegen einen ausländischen Bürger erwirkt. Es ist dabei egal, ob die Handlungen, deren er angeklagt ist, in seinem eigenen Land überhaupt strafbar sind.

Internationale Auslieferungsabkommen, die eigentlich für die Auslieferung von Schwerstverbrechern - ich zögere, den Begriff Terrorist jemals wieder zu verwenden - geschaffen wurden, werden uminterpretiert, um 65-jährige Pensionisten oder 23-jährige Burschen, die eine Linkliste mit ihren Lieblingsserien im Netz auf ihre Homepage stellen, potentiell an die USA auszuliefern.

Der konkrete Fall betrifft Richard O'Dwyer, der Links auf illegale Webstreams auf seiner Homepage gesammelt hat. Da es in Großbritannien keine Linkhaftung gibt, wenn nur - wie bei klassischen Fuß- und Endnoten übrigens auch - nur auf Inhalte verwiesen wird, und dies von den Gerichten mehrfach bestätigt wurde, könnte man meinen, dass dieser Bürger in seinem Land sicher wäre. Doch mit einem Strafmaß von 10 Jahren, das das Kopieren von Vorabendserien endlich auf die Stufe von Schwerverbrechen stellt, kam das Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien zum Tragen. Und da die US-Anwälte die "verheerenden" Konsequenzen dieser kleinen Website betonten, kam der britische Richter zu dem Schluss, die Auslieferung von britischer Seite zuzulassen:

The extradition can go ahead, as there were "said to be direct consequences of criminal activity by Richard O’Dwyer in the U.S. albeit by him never leaving the North of England.

District Judge Quentin Purdy

Kritik an dem Auslieferungsabkommens von Seiten der Zivilgesellschaft wurden in einem Gutachten damit abgewiesen, daß eine inhaltliche Kontrolle jedes Auslieferungsantrages durch unabhängige Richter zu teuer wäre, zu lang dauern würde und den reibungslosen und effektiven Ablauf von Auslieferungsverfahren behindern würde ("time consuming, costly and undermine the efficient and effective operation"). Der Fall wurde verstärkt von Prominenten und Bürgerrechtsorganisationen in den USA aufgegriffen, darunter auch die EFF und Wikipedias Jimmy Wales.

Richard O’Dwyer konnte seinen bis zu 10-jährigen Urlaub in einem US-Hochsicherheitsgefängnis lange durch Einsprüche verzögern. Im November 2012 einigte er sich schließlich mit offiziellen US-Stellen außergerichtlich im Rahmen eines "deferred prosecution agreement", bei dem O'Dwyer Immunität vor Strafverfolgung durch Zahlung von Schadenersatz und eine Unterlassungserklärung erreichen konnte.