Ein Filter, sie alle zu finden...

Seite 5: 5. Status quo: Filter als Placebo gegen Klagen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Technology is neither good nor bad, nor even neutral. Technology is one part of the complex of relationships that people form with each other and the world around them; it simply cannot be understood outside of that concept.

Samuel Collins

Unternehmen sind auf Gewinn orientiert und ausschließlich ihren Aktionären verpflichtet. Da, wie oben gezeigt, die Staaten sich nicht auf grundlegende Regeln und Grenzen einigen können, nehmen alle Beteiligten, seien es Konkurrenten, Bürger, Organisationen oder einzelne Nationalstaaten, die Sache in die eigenen Hände. Meist endet dies für Unternehmen in Klagen, Kampagnen, schlechter Presse und generell Aktionen, die die Geschäftstätigkeit, den Gewinn und die Ruhe in ihren "schönen neuen digitalen Gärten" beeinträchtigen.

Die Gegenstrategien lassen sich grob in zwei Bereiche unterteilen. Einerseits wird versucht, im eigenen digitalen Garten Probleme zu unterdrücken, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen. Hier werden beispielsweise Filter genutzt, um automatisch Urheberrechtsverstöße aufzufinden und anstößige Worte automatisch auszublenden. Diese automatischen Filter sollen als Versicherung gegen Klagen dienen, da demonstrativ etwas "unternommen" wird und man damit seinen Kontrollaufgaben gegen anstößige oder illegale Inhalte nachkommt.

Einige Beispiele, die von Evgeny Morozov zusammengetragen wurden, sollen kurz zeigen, wie problematisch diese Systeme sind. So wurde beispielsweise eine Darstellung von Adam und Eva von Facebook als anstößig erkannt und gesperrt. Auch Zuseher der (Science Fiction) Hugo Awards wunderten sich, als der Livestream plötzlich wegen einem fälschlicherweise als Urheberrechtsverletzung erkannten Video während Neil Gaimans Dankesrede unterbrochen und zensiert wurde. Auch Apples iTunes-Store ist nicht vor Fehlern sicher: So wurde Naomi Wolfs Buch "Vagina: A New Biography" zu V***** verstümmelt, was das Auffinden des Buches etwas erschwert haben dürfte.

Neben diesen offensichtlichen Eingriffen sind Kontrollalgorithmen, die im Hintergrund arbeiten, viel schwerer zu erkennen. So kann Googles "Suchvervollständigung" (Autocomplete) manche Wörter einfach gar nicht anbieten (bisexuell wurde erst kürzlich freigeschalten) oder auch ganz neue hinzufügen: So wird der Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Bettina Wulff bei einer Google-Suche mit dem Begriff "Escort" ergänzt und ihr so eine zweifelhafte Karriere angedichtet.

Aber auch "personalisierte" Webangebote, die ungeliebte oder selten abgefragte Inhalte herausfiltern oder weit unten unter tausenden Statusmeldungen oder Suchanfragen verstecken, führen zu einer Verzerrung der Wahrnehmung. Informationen werden gar nicht mehr neutral - also so wie sie wirklich auftreten - angezeigt, sondern dahingehend "optimiert", einen möglichst angenehmen und vielleicht auch verkaufsfördernden Online-Besuch zu verleben - was durch Webfilter ohne Belästigung durch vielleicht verstörende aktuelle Nachrichten möglich wird.

Aber es wird neben einer Kontrolle der eigenen Portale auch aktiv gegen Mitbewerber und Kritiker vorgegangen, um diese zu verdrängen. In einer Analyse der Asymmetric Threats Contingency Alliance (ATCA) sehen wir auch ein Beispiel für diese Vorgehensweise und die Folgen.

Vor dem Hintergrund der mangelnden Durchsetzbarkeit nationaler Normen beauftragten diverse Firmen, darunter die altbekannten Freunde von der Recording Industry Association of America (RIAA) und der Motion Picture Association of America (MPAA), die ohne Rücksicht auf Kollateralschäden, wie die Grundrechte, ihren Kampf gegen Filesharing fortführen, die indische Firma AiPlex in einem Akt der Selbstjustiz - im Sinne einer fehlenden Ermächtigung durch einen Richter oder ein Rechtssystem - mit Attacken auf Filesharing-Infrastruktur. Es ging nicht um das Aufspüren illegaler Inhalte, sondern laut ATCA darum, die Infrastruktur, über die legale und illegale Pakete gleichermaßen laufen, d.h. freie peer2peer Filesharing-Hubs, stillzulegen. ATCA berichtet, dass die Netzaktivisten erst nach einer ersten Welle von Angriffen durch die indische Firma mit Gegenangriffen geantwortet haben, die ihr Vorgehen schließlich beendete.

Was diese Beschreibungen deutlich zeigen, ist die Problematik von Regeln im Netz durch private Institutionen ohne Kontrolle durch den Staat und unter Einbindung aller Beteiligter. Denn in obigen Beispielen wurde am Staat vorbei agiert - in Angelegenheiten, die eigentlich staatliche Aufgaben wären.

6. Eine erste Bilanz

Gedanken sind zollfrei, aber man hat doch Scherereien.

Karl Kraus

Die hier geschilderten Ereignisse hängen alle zusammen und lassen sich auf ein Unvermögen oder den Unwillen zur Zusammenarbeit aller Betroffenen zurückführen. Anstatt die Probleme ehrlich zuzugeben und beispielsweise durch Haltefristen und andere zeitlich begrenzte Maßnahmen einen geordneten Ablauf zu ermöglichen, lassen sich insbesondere offizielle Stellen von nationalen und internationalen Vertretern der Wirtschaft vor sich hertreiben. Dabei geraten insbesondere Einzelpersonen immer wieder unter die Räder, da die bisherigen Instrumente wirtschaftlicher Auseinandersetzung eher auf Firmen untereinander ausgelegt waren und nicht auf Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen, Pensionisten und anderen Einzelpersonen, die im Gegensatz zu Firmen keinerlei Möglichkeit haben, sich angemessen Gehör zu verschaffen.

Wie ein kurzfristig ans Licht der Öffentlichkeit gelangtes Memo des Republican Study Committee Think Tanks in den USA zeigt, gibt es quer durch alle Parteien insbesondere bei der jüngeren Generation durchaus ein Bewusstsein dafür, dass als erster Schritt die Ursachen der meisten Klagen, die Urheber-, Verwertungs- und Patentrechte, reformiert werden müssen. So liest sich der rasch wieder relativierte Vorschlag ausnehmend vernünftig:

  • Reform der digitalen Schadensersatzberechnung, um zu hohe Forderungen zu verhindern
  • Erweiterung der "fair use"-Nutzung, z.B. durch weitere Ausnahmen für Forschung, Lehre und Privatgebrauch
  • Hohe Strafen für Urheberrechtstrolle und falsche Urheberrechtsbehauptungen
  • Eine Limitierung von Schutzfristen und anderen Hürden für Innovationssektoren

Da ja in Reden und offiziellen Dokumenten die Bedeutung des digitalen Raumes für Demokratie, Wirtschaft und Innovation immer wieder hervorgehoben wird, könnten das die ersten Zeichen für echte Taten sein. Als Beispiel für eine besonders schöne Rede soll hier kurz noch Secretary of State Hillary Clintons Rede zur Freiheit des Internets im Januar 2010 zitiert werden, in der sie die grundlegende Bedeutung des Netzes in demokratischen Gesellschaften betont. Die Bedrohung gehe nach Clinton von Regierungen aus, die diese Freiheitsnetze missbrauchen, um die Zivilgesellschaft durch restriktive Verbote zu kontrollieren:

...the same networks that help organize movements for freedom, can also be hijacked by governments to crush dissent and deny human rights. With the spread of these restrictive practices, a new information curtain is descending across much of the world.

Hillary Clinton

Obwohl private Akteure in dieser Rede leider nicht erwähnt werden, so kann man der grundsätzlichen Einschätzung durchaus etwas abgewinnen. Wenn jetzt mehr Handlungen den großen Worten folgen würden, könnte der digitale Raum den dringend nötigen Innovationsschub bringen, den neben der Demokratie auch die Gesamtgesellschaft und die Wirtschaft dringend brauchen würden.

Gernot Hausar ist Historiker in Wien. Er beschäftigt sich mit Wissens- und Informationsweitergabe, Informationskontrolle, Semantic Web, Digital Humanities und eLearning. Er arbeitet auch als freischaffender Redakteur im Bereich Zeitgeschichte.