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Seite 4: 4. Die Privatisierung der Informationskontrolle und anderer Staatsaufgaben

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Our identities have no bodies, so, unlike you, we cannot obtain order by physical coercion. We believe that from ethics, enlightened self-interest, and the commonweal, our governance will emerge.

A Declaration of the Independence of Cyberspace. John Perry Barlow. Davos, Switzerland. February 8, 1996

Die Entscheidung, welche Inhalte in einer Gesellschaft toleriert werden und welche nicht, ist eine typische Staatsaufgabe. Eine staatliche Aufgabe ist auch die Verteidigung dieser Rechte bzw. die Bestrafung bei Übertretungen - wenn notwendig mit Gewalt. Eine Übertragung der Kontrolle und Umsetzung auf andere, nicht staatliche Akteure, wie Firmen oder Einzelpersonen, ist daher sehr kritisch zu hinterfragen.

Das Geneva Center for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) ortet im 21. Jahrhundert neben dem Staat eine Reihe von Akteuren in der analogen Welt, die staatliche Aufgaben, z.B. Gewalt, ausüben können.4 Als Beispiel seien die durch den Irakkrieg berühmt-berüchtigten Private Military Companies genannt, die entweder im Auftrag von Staaten oder aber von Firmen tätig werden.

Das DCAF ortet eine Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols in der realen Welt durch eine Privatisierung der Sicherheit, internationale Interventionen, Globalisierung und "failed states" bzw. failed statehood. Wenn wir diese vier Aspekte - vielleicht etwas boshaft - auf das Internet anwenden, so sind diese Aspekte noch viel gewichtiger. Sicherheit ist fast vollständig privatisiert (keine staatlichen Antivirus-Programme, Betriebssysteme oder Firewalls - und konfigurieren bzw. programmieren muss jeder Bürger selber) und wesentliche Entscheidungen, z.B. jene über Domainnames, sind im Falle der Top Level Domains der Kontrolle von Staaten weitgehend entzogen und finden auf internationaler Ebene statt. Globalisierung im Sinne von Providerwahl oder Ortswechsel sind die Norm und auch die anderen Aspekte des Staatsbegriffes, wie Staatsvolk oder Staatsgebiet, sind nicht ausreichend vorhanden, was der Definition von "failed states" entspricht.

Vor diesem Hintergrund sieht man deutlich, dass der westfälische Idealstaat mit seinen klaren Grenzen und einer klaren Trennung von anderen Staaten auf das Internet nicht mehr angewandt werden kann. Schon in der heutigen realen Welt wird Souveränität immer mehr nach oben und unten, aber auch in die Breite abgegeben. Dies wird auch bei einem Staatenverbund wie der EU deutlich.

Gleiches gilt für das Internet, in dem eine grundsätzliche Waffengleichheit zwischen Staat, Unternehmen und Bürgern besteht, wie auch die Auseinandersetzungen um Anonymous, Piratebay oder Wikileaks zeigen. Erst durch eine positive Einbindung der Bürger kann der Staat seine Ansprüche behaupten. Multinationale Unternehmen, meist de-facto Monopolisten mit ihren Sozialen Netzwerken, haben kein Interesse, Staaten einzubinden. Die Initiative Europe vs. Facebook, die Nutzern Einblick in die von Facebook über sie gespeicherten Daten ermöglicht, zeigt, wie es gehen kann, wenn Staat und Bürger an einem Strang ziehen.

Denn nur wenn die Bürger möglichst selbstständig agieren können und der Staat ihnen Freiräume aber auch sichere Zonen bietet, die sie je nach Bedarf nutzen können, wird sich ein - immer noch sehr vages - virtuelles Staatsgebiet (z.B. durch Bürgerwebspace), eine Staatsgewalt (regionale freiwillige CERT-Initiativen) und ein Staatsvolk (z.B. über Bürgeremailadressen) in irgendeiner Weise verwirklichen lassen. Dabei ist der Staat zumindest im Netz mehr und mehr auf die aktive Unterstützung durch seine Bürger angewiesen. Gleichzeitig muss auch ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, über die diese Kooperationen im Sinne von Max Weber zumindest vom Staat legitimiert und demokratisch kontrolliert werden können.