Ein Luftschiff ist kein Flugzeug
Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der CargoLifter AG, Dr. Carl von Gablenz
Die Vision der CargoLifter AG, gegründet von Dr. Carl von Gablenz im September 1996, ist ein auf Helium-Luftschiffen basierendes globales Transportsystem für Schwerlasten. Es soll diese "point to point" zu beliebigen Bestimmungsorten zu transportieren. Ab dem Jahr 2004 will man den CL160 mit einer Länge von circa 260 Metern und einem Durchmesser von etwa 65 Metern in Serie fertigen. Artur Schmidt ist skeptisch (siehe Innovatives Mammutprojekt oder Luftschloß) und hat nachgefragt.
Herr von Gablenz, Sie planen mit dem CargoLifter ein Luftschiff, das in seiner Größe die Luftschiffe "Graf Zeppelin" LZ 127 und "Hindenburg" LZ 129 aus den 30er Jahren sogar übertreffen soll. Was soll die Entwicklung des CargoLifter kosten, wie hoch soll der Stückpreis liegen und wieviele Einheiten planen Sie zu verkaufen?
von Gablenz: Unser Businessplan sieht vor, daß wir bis zum Jahr 2001 den ersten Prototyp fertiggestellt haben und die Flugerprobung im Jahr 2002 abgeschlossen sein soll. Für den Werftstandort und die Entwicklung des ersten Prototyps sind Investitionen in der Größenordnung von etwa 400 bis 450 Millionen DM notwendig. Der kalkulierte Stückpreis der von der CargoLifter Development GmbH gebauten Luftschiffe wird circa 100 Millionen DM betragen. Mit Beginn der Serienproduktion sollen etwa 4-5 Luftschiffe pro Jahr gebaut werden. Die Luftschiffe der CL Development sollen von der CL Financing & Leasing finanziert und dann von der CL Transport betrieben werden. Aufgrund der aktuellen Marktabschätzungen könnten später etwa 50 CargoLifter-Luftschiffe verleast werden.
Sind die Entwicklungskosten und der Stückpreis nicht deutlich zu niedrig geschätzt. Müßten nicht, wenn man die Entwicklung von Verkehrsflugzeugen als Maßstab heranzieht, die Entwicklungskosten bei mindestens 2 Milliarden Dollar für ein derartiges Großprojekt liegen. Um diese zu amortisieren, müßte der Stückpreis bei mindestens 200 Millionen DM liegen.
von Gablenz: Dies ist ein alter Streit und bewegt sich da, wo ein Luftschiff anzusiedeln ist, als ein Mittelding zwischen einem Flugzeug und einem Schiff. Gehen Sie in den Schiffbau, dann sagen Ihnen die Leute dort, daß so hohe Entwicklungskosten der helle Wahnsinn seien. Man kann nicht einfach sagen, ein Luftschiff ist wie ein Flugzeug und deshalb kostet es 1 bis 2 Milliarden. Wir sagen, ein Luftschiff ist etwas völlig anderes. Unsere Berechnungsgrundlagen basieren auf anderen Ansätzen, als sie in der Luftfahrtbranche üblich sind.
Es gibt ja im Flugzeugbau als Richtlinie konkrete Dollar/kg-Preise. Außerdem muß ja auch das Luftschiff nach Luftfahrtkriterien zugelassen werden. Man wird ja kaum die üblichen Kostenstrukturen unterschreiten können?
von Gablenz: Das ist richtig, wobei sie hier einfach auch den Weg beschreiten müssen, daß sie nicht Dinge neu entwickeln müssen, sondern möglichst Technologien verwenden, die bereits entwickelt und zugelassen sind. In bestimmten Bereichen wie den Dieselmotoren bei den Marschtriebwerken werden wir natürlich auf bewährte Aggregate zurückgreifen können, die eine entsprechende Qualität aufweisen. Bezüglich der Krananlagen werden wir auf die gängigen, im Maschinenbau zugelassen Krane zurückgreifen und diese in die Luftschiffe integrieren. Dies spart erhebliche Kosten und reduziert unseren Entwicklungsaufwand. Das haben wir bereits mit dem Luftfahrtbundesamt besprochen.
Was wird der Transport einer 50 Tonnen Last von hier nach China ungefähr kosten?
von Gablenz: Der Transport richtet sich immer nach den Einsatztagen. So gesehen ist es egal, ob man da 50 Tonnen dran hängt oder 150 Tonnen. Durch vertiefte Marktuntersuchungen wissen wir, daß der Markt auch einen erhöhten Preis verträgt, als er in den ursprünglichen Planungen 1997 vorgesehen war. Als Kostenbasis wird etwa 100.000 DM pro Tag angesetzt, d.h. bei 5 Tagen Transportzeit würden sich die Kosten auf etwa eine halbe Million DM belaufen.
Sie sagen, CL verkauft kein Luftfahrtgerät sondern Logistikdienstleistungen. Trotzdem geht kein Weg daran vorbei, daß Sie die Systemseite des CargoLifter wie bei einem Flugzeug auslegen müssen. Mittlerweile werden ursprünglich sehr optimistische Zeitvorstellungen für den Erstflug bereits deutlich nach hinten korrigiert. Hat man den Systemaufwand unterschätzt?
von Gablenz: Wir haben 1994 mit der Idee begonnen und hatten als Etappenziel zur Präsentation des fertigen Prototypen die EXPO im Jahr 2000, um der deutschen Industrie zu zeigen, daß diese nicht nur Technik erfinden kann, sondern auch in der Lage ist, sie im eigenen Land zu vernünftigen Kosten in adäquater Zeit umzusetzen. Innerhalb von 10 Jahren zur Serienproduktion zu kommen, ist auch für die Luft- und Raumfahrtindustrie ein realistischer Rahmen. Da wir die Halle erst im Sommer des Jahres 2000 fertig haben werden, ist es unmöglich, den EXPO-Termin zu halten. Wir haben als wesentlichen Meilenstein nicht den First Flight, sondern den Beginn der Serienfertigung bis spätestens zum Jahr 2004.
Im CargoLifter-Design sind Hubtriebwerke vorgesehen. Im Gegensatz zum Zeppelin NT in Friedrichshafen verfügt der CL über keine kombinierte Schubvektorsteuerung. Sind hier nicht bereits durch das Design Probleme im operativen Flugbetrieb vorprogrammiert, insbesondere beim Entladevorgang und der gleichzeitig notwendigen Ballastaufnahme?
von Gablenz: Die Anforderungen an den CargoLifter sind fundamental unterschiedlich zum Zeppelin NT in Friedrichshafen. Unser Ziel ist es, die komplexen Systeme zu entkoppeln und das Luftschiff sowohl vertikal als auch horizontal zu bewegen - Marschtriebwerke für den Reiseflug sind verbrauchsarme Dieselmotoren und es gibt Hubtriebwerke zum Vorspannen der Seile. Dafür gibt es verschiedene Triebwerke, die auch separat zu steuern sind. Bei späteren Modellen wollen wir davon wegkommen und die Technologie hin zu einer Schubvektorsteuerung zu entwickeln.
Luftschiffe in der Größenordnung einer Hindenburg haben bereits bei kleinen Anstellwinkelveränderungen (es reicht eine Änderung um 1 Grad) einen dynamischen Auftrieb. Hierbei wirken immense Kräfte. Hat CargoLifter diesbezüglich bereits Wind- bzw. Wasserkanalversuche durchgeführt? Ist der komplexe Be- und Entladevorgang schon einmal unter extremen meteorologischen Bedingungen simuliert worden?
von Gablenz: Es war von vorneherein klar, daß das Luftschiff sehr groß wird. Mit Windkanalversuchen tut man sich schwer, weil das Luftschiff ja normalerweise im Luftraum schwebt und auch die Größenverhältnisse anders sind. Unsere Hauptaufgabe zukünftig wird es jedoch sein, Modelle zu entwickeln, vor allem Computersimulationen, die uns erlauben, das Verhalten des Luftschiffs im dreidimensionalen Raum zu untersuchen.
Gemäß einer Studie des VDMA soll es einen großen Bedarf für die von CargoLifter avisierten Logistik-Dienstleistungen geben. Könnte es nicht sein, daß die prognostizierten Märkte, wenn die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und der Schwellenländer sich weiter fortsetzt, plötzlich wegbrechen, also wenn diese Länder die zu transportierenden Maschinen selber herstellen?
von Gablenz: Der Markt ist so groß, daß wir über Jahre hinaus kein Wegbrechen der Märkte zu befürchten haben. Wir sind relativ unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen. Darüber hinaus gibt es noch ganz andere Einsatzbereiche, die die VDMA-Studie gar nicht erfaßt, so z.B. Katastropheneinsätze bzw. Hilfseinsätze.
Nun ist ja die Marktseite eine Seite der Medaille, die Kostenseite ist eine andere. In der Luftfahrt rechnet man mit direkten Betriebskosten. Die durchschnittlichen Kosten, die für Sonderstransporte gemäß einer VDMA-Studie ermittelt wurden, liegen bei etwa 26 Pf/Tonnenkilometer. Für eine Boeing 747 rechnet man mit etwa 50 bis 60 Pf/Tonnenkilometer. Muß man beim CargoLifter nicht von direkten Betriebskosten ausgehen, die um etwa den Faktor 5-10 höher liegen als beim Frachttransport mit dem Flugzeug und etwa um den Faktor 10-20 die Kosten von üblichen Containerschiffen übersteigen?
von Gablenz: Wir haben solche Zahlen am Anfang ermittelt, weil wir immer danach gefragt wurden und auch die Logistiker in den Unternehmen diese Vergleichsgröße haben wollten. Mittlerweile sind wir davon abgekommen, weil Sie den Wert des CargoLifters gemäß der gesamten Prozeßkette bewerten müssen. Mit unseren Schlüsselkunden, den Lead Usern, sind wir einen Schritt weitergegangen, indem wir mit diesen gemeinsam deren heutige Transportkette, beginnend von der Produktentwicklung über die Fertigung, Montage, Auslieferung bis hin zur Wartung analysieren. Den heutigen Logistikketten stellen wir mit dem CargoLifter ein neuartiges Konzept gegenüber. Wir haben den CargoLifter auch nie als billig angeboten, sondern als wertvoll. Dies umso mehr, als er bei der Realisierung von bestimmten Missionen erhebliche Zeiteinsparungen ermöglicht. Deshalb würde ein Tonnenkilometervergleich hinken.
Wenn man sich die technische Produktbeschreibung ansieht, dann sieht es ja so aus, daß die wesentliche Innovation eigentlich die Logistikinnovation ist. Innovationen wie Schubvektorsteuerung, die Nutzung der Abgaswärme für die Beheizung des Heliums oder Kondenswasserrückgewinnung sind nicht vorgesehen. Ist dies bei zukünftigen Versionen zu erwarten.
von Gablenz: Wer sich mit Luftschiffen beschäftigt, kommt natürlich zu diesen Fragestellungen. Beim ersten Prototyp werden wir keine Experimente machen. Wir verfolgen diese Dinge parallel, um zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls diese Technologien sukzessiven in die Serie zu integrieren.
D.h. also, daß Sie im wesentlichen als Innovation auf das Krankonzept setzen und dies auch erproben. Sind in diesem Bereich die wesentlichen technischen Probleme bisher gelöst und glauben Sie, daß der operative Einsatz bei diesen immensen Lasten reibungslos funktionieren kann?
von Gablenz: Es wäre sicherlich übertrieben zu sagen, daß wir alle technischen Probleme bereits gelöst haben. Uns kommt jedoch zugute, daß wir Unternehmen als Partner haben, die erhebliche technische Kompetenz bei der Be- und Entladung großer Massen haben wie die Firma Liebherr. Es ist schon sehr erstaunlich, welche Leistungsfähigkeit die von dieser Firma entwickelten Krane aufweisen. Das Beherrschen der Last und des Ballastausgleichs ist Stand der Technik und wir wollen hier auf bewährte Techniken zurückgreifen. Entscheidend ist, die Lasten in das Luftschiff einzuleiten und dem Piloten des Luftschiffs zu erlauben, daß er sich gleichzeitig in einem bestimmten Kegel mit dem Luftschiff frei bewegen darf. Deshalb ist eigentlich die Bewegung des Luftschiffes von den Bewegungen der Last unten entkoppelt.
Aus Aktionärskreisen hört man, daß insbesondere bei potentiellen Abnehmern des CargoLifter die ständigen Änderungen der Planungsdaten auf Mißfallen stoßen. Welche seriösen Planzahlen können Sie aufgrund des aktuellen technologischen Standes für eine Fertigstellung des ersten Prototypen nennen?
von Gablenz: Mit unseren Lead-Usern haben wir nicht vereinbart, daß wir bereits im Jahr 2002 oder 2003 Lasten fliegen, sondern dies als Zeit der Erprobung gilt. Wir bekommen tagtäglich Anfragen von allen Seiten, die am liebsten alles mit dem CargoLifter machen würden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, mit bestimmten Unternehmen gezielt zusammenzuarbeiten, um mit diesen gemeinsam dann das System zu erproben und einzuführen. Die Unternehmen müssen ihre Abläufe erkennen und analysieren und zukünftige Produkte gegebenenfalls so designen, daß sie besser transportiert werden können. Diese Unternehmen kennen die Komplexität unseres Vorhabens, aber vom Markt kommt immer die Frage, wann ist der Erstflug? Nach heutiger Einschätzung werden wir erst zu Beginn der Serienfertigung im Jahr 2004 zu kommerziellen Einsätzen des CargoLifter kommen.
Sind in Ihren Überlegungen zum CargoLifter auch Alternativen vorgesehen, diesen zu einem Luftschiff für den Personentransport durchzuführen, falls sich die Erwartungen hinsichtlich der Beförderung von Gütern nicht erfüllen?
von Gablenz: Also in der Satzung haben wir das drin. Wenn das ganze mit den Gütern funktioniert und unsere Kunden zufrieden sind, dann kann man sich auch überlegen, später CargoLifter für den Personentransport einzusetzen. Wenn wir genügend Erfahrung haben und sich das Luftfahrtbundesamt und die Versicherungsgesellschaften wohl fühlen, könnte ich mir durchaus vorstellen, diesen Weg zu bestreiten.
Know-How-Träger im Bereich "Leichter-als-Luft" sind nicht so häufig anzutreffen. Planen Sie eine Kooperation mit der Zeppelin-Luftschifftechnik, um von deren Erfahrungen und Know-How profitieren zu können?
von Gablenz: Wir haben sehr gute Kontakte nach Friedrichshafen. Wir haben aber auch entsprechende Kontakte zu anderen Unternehmen im Luftschiffbereich in England und den USA. Wir legen eigentlich großen Wert darauf, daß bestimmte Dinge innerhalb dieser sehr kleinen Branche gemeinsam gemacht werden sollten. Ich glaube wir haben alle ein gemeinsames Problem, daß die Luftschifftechnologie immer noch ein bißchen unter dem Hindenburg-Syndrom leidet. Die Technologie gilt als veraltet und man muß das Image dieser Technologie zu verbessern, in unserem speziellen Fall für den Logistikbereich. Wir müssen das Potential, daß diese Technologie hat, besonders hervorheben. Luftschiffe können Lasten heben, ohne Energie zu verbrauchen. Was ihre Frage nach einer konkreten Zusammenarbeit mit der Zeppelin-Luftschifftechnik angeht, so könnte ich mir ganz gezielt einen Erfahrungsaustausch in Fragen der Zulassung, dem Einsatz neuer Materialien, bei Systemauslegungen und dem operativen Flugbetriebs vorstellen.
Zukunftsforscher sehen ein Millenium des Light Age voraus. Light steht ja nicht nur für Licht, sondern auch für eine neue Leichtigkeit. Gibt es bald diese Leichtigkeit auch bei globalen Transportsystemen?
von Gablenz: Ein System Luftschiff zwingt dazu, immer auch in Gewichten zu denken. Dort werden immense Massen in einen Schwebezustand gebracht. Unsere Vision ist es, den Transport von großen Massen zu erleichtern. In diesem Kontext sind wir eine "Light"-Firma in dem von Ihnen genannten Sinne.
Sie haben den Börsengang für frühestens Oktober 1999 geplant. Um wieviel Millionen werden Sie ihr Eigenkapital aufstocken.
von Gablenz: Unser Börsengang ist unterschiedlich zu einem normalen IPO (Initial Public Offering), da wir bereits 3 Placements durchgeführt und mittlerweile mehr als 5.000 Aktionäre haben. Wir sind somit ohnehin schon eine Publikums AG. Auf der ordentlichen Hauptversammlung am 10. März 1999 haben die Aktionäre beschlossen, das Grundkapital von 15,75 Millionen DM auf 31,5 Millionen DM aufzustocken, indem neue vinkulierte Aktien zum Nennbetrag von 5.- DM ausgegeben werden.
Sie sprachen vorhin von Entwicklungskosten, inklusive Hallenbau, in Höhe von circa 450 Millionen DM. Sollte der Kapitalbedarf auf 2 Mrd. DM ansteigen, müßten Sie dies ja dann auch über die Börse finanzieren. Damit steigt natürlich auch das Risiko für die Anleger.
von Gablenz: Natürlich gibt es immer Risiken einer Kostenüberschreitung. Das ist so. Wir haben jedoch eine Vielzahl von festen Verträgen, die dieses Risiko verringern. Sollten sich dennoch Überschreitungen ergeben, müssen wir diese unseren Aktionären glaubhaft machen.
Das Gespräch wurde am 17. Mai 1999 in Frankfurt am Main geführt.