"Eine Nation, die vorbereitet ist"

Die neue Orkansaison im Golf von Mexiko startet am 1. Juni, lange bevor sich der Wirbel von 2005 gelegt hat

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"A Nation Prepared" - so lautet das Credo der Federal Emergency Management Agency (FEMA) seit den Anschlägen am 11. September. Die viel gescholtene FEMA behauptet, ihre Lehren aus Katrina gelernt zu haben. Aus dem Bürgermeisteramt in New Orleans heißt es, ein neuer Evakuierungsplan sei erarbeitet worden. Der Gouverneursstab von Louisiana ließ verlauten, der Evakuierungsplan auf der Ebene des Bundesstaates sei nur um Details verbessert worden, weil er schon letztes Jahr gut funktioniert habe. Sonst wird auf allen Ebenen verschleiert und vertuscht, denn keiner möchte schuld sein - und alle sind's.

An diesem Punkt brach der Damm am 17th Street Canal. Die Wucht des Wassers fegte zwei Häuser komplett hinweg und warf viele andere umher. Eines der zwei zerstörten Häuser gehörte der Familie LeBlanc, die bereits fast ein Jahr vor Katrina die Behörden der Stadt darüber informiert hatte, dass ihr Garten nur noch nass war. Die Warnung versickerte wirkungslos in der Bürokratie, und die LeBlancs verloren während Katrina alles, denn sie wohnten in einem Gebiet, das durch staatlich gebaute Dämme vor Überflutungen geschützt war. Es wurde deshalb empfohlen, sich nicht unnötig vor Überschwemmungen zu versichern.

Vor wenigen Wochen stellte die lokale Zeitung Times-Picayune eine Flash-Animation ins Netz, die die vielen Brüche in den Dämmen um New Orleans chronologisch mit Zeitangaben in 14 Szenen darstellt (eine Karte der Fluttiefen wurde auch erstellt). Daraus geht deutlich hervor, dass die Dämme nicht etwa an ein paar Stellen versagt haben, sondern auf ganzer Front.

Die Stadt hätte auch 2005 von einem Orkan der Stärke 3 (Cat3 = konstante Winde um die 178–209 km/h) geschützt sein sollen. Katrina war zwar vor Landgang stärker, doch New Orleans lag wenige Kilometer westlich vom Auge des Orkans. Die Times-Picayune wies deshalb penibel nach, wie die Windstärke in der Stadt selbst innerhalb der Stärke 2 blieb, denn damit wäre bewiesen, dass der versprochene Schutz seitens der Armee-Ingenieure (und daher der Bundesregierung) nicht eingehalten wurde.

Es stellte sich heraus, dass die Flutwelle nicht nur teilweise über die Deiche schwappte (overtopping) - was zwar nicht gut wäre, aber nicht zur kompletten Überflutung der Stadt geführt hätte -, sondern dass die Wälle selbst schlecht ausgelegt worden waren. Jahrzehnte alte Dokumente belegten, dass die Dämme stellenweise auf Torf gebaut worden waren, und dass das Versacken der Wälle nicht mit einkalkuliert worden war. Die Deiche standen stellenweise mehr als einen halben Meter zu niedrig Außerdem hätten die Pfeiler, die die Stahlwände verankerten, an diesen Stellen weit tiefer in die Erde gerammt werden müssen, um die relativ weiche Torferde zu kompensieren. Deshalb meinte die Times-Picayune lapidar zur "Naturkatastrophe" Katrina:

Nature didn't do us in. The federal government's Corps of Engineers did.

Fast unerklärlich, wie solche Anfängerfehler von den besten Köpfen der US-Armee - America's Finest - gemacht werden konnten. Der Army Corps of Engineers hat mittlerweile zwar gewisse "design failures" zugegeben, betont jedoch, nie behauptet zu haben, die Stadt sei vor Cat3-Orkanen geschützt: "Wenn alles fertig gebaut worden wäre, dann hätten wir Cat3-Schutz gehabt.". Schuld sind also die Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte, die die Finanzierung für manche Teile des Projekts vorenthielten.

Doch das Versagen beschränkte sich nicht auf Beauftragte der Bundesregierung. Lokale Behörden, die die Dämme instand hielten, seien ihren Verpflichtungen nur kläglich nachgekommen. Auf für New Orleans typisch sorglose Manier trafen sich die Behörden für einen Rundgang nur einmal im Jahr, und selbst dann dauerte es nur einen Vormittag, um die rund 300 Kilometer Dämme einer Sichtprüfung zu unterziehen. Ausnahmslos erledigten die Beamten ihre Arbeit immer rechtzeitig für ein tolles Mittagessen in einem der vielen noblen Restaurants der Stadt - die Zeche zahlten immer die Bürger. Ein Ingenieur, der das Versagen der Deiche begutachten sollte, meinte, die Inspektionen bei Deichen in Florida wären strenger, selbst wenn die Deiche nur Rinder auf Wiesen schützen würden.

Louisiana: Hochburg der Ökoszene?

Auch über die lokale Verantwortung berichtete die Times-Picayune, aber vor allem scheint die Zeitung beweisen zu wollen, dass die Hauptverantwortung für die Katastrophe beim Bund liegt, denn aus Washington DC erhoffte man sich viel Unterstützung - vor allem einen besseren Schutz bis zum 1.6.2006, wenn die Saison der Orkane neu eröffnet wird.

Doch während Bush beteuerte, persönlich dafür sorgen zu wollen, dass New Orleans "besser denn je" wieder aufgebaut würde, suchte die Bundesregierung in Wirklichkeit nach Wegen, um die Schuld von sich zu schieben. So machte sie, worüber in der deutschen Presse kaum berichtet wurde, Schuldige unter den bekanntlich übermächtigen Umweltaktivisten in Louisiana aus, die seit Jahrzehnten den Ausbau jedes Projekts an den Deichen am Mississippi blockieren würden.

Leider hat die US-Bundesregierung (aus lauter Kulanz?) seit Jahrzehnten darauf verzichtet, Beweise gegen die Ökofreaks zu sammeln, weshalb das Justizministerium erst Anfang September - also während die Stadt noch größtenteils unter Wasser war - eine Email an Staatsanwälte in der Gegend schickte, damit jeder die Gelegenheit erhielt, Gerichtstermine aufzulisten, in denen Umweltaktivisten versucht hatten, die Arbeit des Army Corps of Engineers an Deichprojekten um New Orleans zu verhindern. Doof nur, dass die Geschichte aufflog und die Tageszeitung Clarion-Ledger aus Jackson/Mississippi über die Rundmail berichtete.

Zugegeben: Die Umweltschützer haben durchaus gegen die Verstärkung der Deiche am Mississippi gekämpft, weil riesige Umweltschäden an der Flussmündung durch die Begradigung des mächtigen Flusses entstanden sind. Man schützte sich vor einer Flut vom Fluss, aber dadurch versackt die ganze Küste mangels Sedimentnachschub vom Mississippi. Außerdem hatten die Umweltschützer für die Schließung des Industrial Canal durch das 9th Ward hindurch gekämpft, weil dieser Kanal eine direkte Verbindung zwischen dem Golf im Süden und Lake Pontchartrain im Norden quer die die Stadt herstellte. Käme eine Flut, so warnten nicht wenige Experten, würde das Wasser sich im engen Kanal nicht ausbreiten, sondern nur noch nach oben schießen können - über die Deiche hinüber, z.B. in das zu 98% schwarze Wohnviertel im Lower 9th Ward. Genau das ist passiert.

Allerdings haben Umweltaktivisten den Bau von Flutbarrieren am Ende der Kanäle bekämpft, die sich in die Stadt hinein vom Lake Portchartrain erstrecken. Die zwei Hauptkanäle dieser Art - der 17th Street und der London Canal - wurden beide komplett überspült. David Horowitz, der neokonservative Betreiber der Webseite Discover the Network, die linke Tendenzen an US-Unis aufspürt, veröffentlichte deshalb keine zwei Wochen nach Katrina den Artikel Green Genocide.

Egal, ob die mangelnde Finanzierung seitens des Bundes oder lokale Inkompetenz für die menschliche Katastrophe nach Karina maßgeblich war, eines scheint für die meisten Amerikaner aber klar zu sein: Die Prognose für die Orkansaison 2006 ist zwar noch schlimmer als für 2005, aber nicht wegen der globalen Erderwärmung. So schätzt das US National Hurricane Center, es könne 2006 4 bis 6 große Orkane und insgesamt zwischen 13 und 16 tropische Stürme geben. 2005 waren 12 bis 15 erwartet worden, es kamen aber 28 - ein neuer Rekord nach 21 im Jahre 1933. 2006 werden 4 bis 6 Orkane der Stärke 3 vorhergesagt. Der Grund? Die seit 1995 vorherrschende Multi-decadal Oscillation.

In Cuba, scientists can't talk about politics, but they can say anything they want about science.

Kerry Emanuel, Klimaforscher am Massachusetts Institute of Technology

Das US National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) darf nämlich die Erderwärmung nicht mit der letzten Orkansaison in Verbindung bringen, weder auf ihrer Webseite noch sonst. Die Bush-Regierung drohte einem Wissenschaftler der NOAA quasi mit einem Posten in Sibirien (dire consequences), wenn er nicht endlich die Schnauze hält.

Lektionen

Wie dem auch sei, die Orkansaison 2005 dürfte kein Einzelfall bleiben, und so legte der Mitte Mai neu gewählte Bürgermeister Ray Nagin einen neuen Plan vor, wie die Stadt evakuiert werden soll. Wir erinnern uns: Es stand einer ganzer Fuhrpark an Schulbussen unter Wasser; das Angebot der Eisenbahngesellschaft Amtrak, die Bürger von New Orleans zu transportieren, wurde nicht angenommen; und Zehntausende Menschen landeten darbend in der Sommerhitze (gut 35° C) im ebenfalls überfluteten Superdome - dem "letzten Zufluchtsort" - und im Conference Center, das zwar nicht als Zufluchtsort geplant war, aber immerhin im Trockenen am hohen Flussufer stand.

In dem kurz vor den Wahlen präsentierten Plan stellte Nagin klar, dass der Superdome nicht mehr benutzt wird, sondern es werden alle Bürger evakuiert. Die Busfahrer der Stadt hauen nicht mehr privat mit ihren Verwandten ab, sondern nehmen ihre eigenen Familien in denselben Bussen mit, die autolose Bürger transportieren. Per Zug sollen besonders ältere, kranke und behinderte Bürger in Sicherheit außerhalb der Stadt befördert werden. Das Department of Homeland Security (die Organisation über FEMA) möchte außerdem im Ernstfall spezielle Flüge von US-Fluggesellschaften chartern.

Wohin diese ganzen Menschen gehen sollen, ist weniger klar. Baton Rouge und Houston, die Städte, die die meisten Menschen 2005 beherbergt haben, ließen schon verlauten, dass nicht alles, was letztes Jahr ablief, auch in Zukunft gemacht werden kann. Keiner scheint sich so richtig als Zufluchtsort bewerben zu wollen, schließlich sind die Evakuierten ein großer Kostenfaktor - neben anderen Unannehmlichkeiten wie Staus, die den Alltag trüben. Andererseits können es sich Houston und Baton Rouge auch nicht unbedingt leisten, zu wenig Hilfe zu leisten, denn sie liegen zwar 60-90 Minuten von der Küste, sind aber trotzdem keineswegs sicher vor Orkanen.

Apropos Staus: Der Bundesstaat Louisiana hat seinen Evakuierungsplan wenig geändert, denn er habe ganz gut funktioniert: Weit mehr als eine Millionen Menschen hätten sich auf allen Spuren der Autobahnen - also auch auf den Spuren für den Gegenverkehr - ohne große Staus per Auto rechtzeitig in Sicherheit bringen können. In Houston dagegen kam es zu heftigen Staus, und manche Autofahrer blieben auf der Strecke, weil sie in der Hitze das Auto laufen gelassen haben, um dank der Klimaanlage nicht wie in der Sauna im eigenen Saft zu kochen. Am Ende reichte die Tankfüllung für manche nicht.

Die FEMA beteuert auch, ihre Lektionen gelernt zu haben. So möchte sie Kameraleute hinschicken, um einen besseren Überblick zubekommen, damit 2006 nicht schon wieder das FEMA-Management im Fernsehen ihr Unwissen über das Ausmaß der Katastrophe entblößt, während auf dem anderen Kanal das ganze Land sieht, was los ist. Vor allem möchte die FEMA mehr Rettungskräfte und Material schneller aufstellen und sofort einmarschieren, wenn der Sturm vorbei ist.

Die neue Atlantis?

Für eine Stadt wird es trotzdem zu spät sein. Anfang Juni haben die Menschen in New Orleans leider noch nicht einmal endlich den alten Schutz, der sie vor Katrina schützen sollte, aber nicht konnte. Wer kommt unter solchen Umständen zurück? Ein Ingenieur aus Kalifornien, der das Versagen der Deiche untersucht, meinte: "Ich würde mich hier nicht niederlassen, solange der Bund, der Bundesstaat und die Stadt alles wie bisher handhaben wollen."

Das Gute am zögerlichen Wiederaufbau der Stadt: Diesen Sommer können gar nicht so viele Menschen leiden, denn weniger als die Hälfte ist zurückgekehrt, und die am meisten gefährdeten Gebieten sind immer noch größtenteils kaputt und unbewohnt.

Wer weiß, warum New Orleans einmalig war, weiß auch, dass möglicherweise schon alles verloren ist. Wer das nicht weiß, fragt sich vielleicht angesichts steigender Sturmintensität, ob es nicht besser wäre, den Ort aufzugeben. So meinte etwa Michael Tidwell, Autor von "Bayou Farewell: The Rich Life and Tragic Death of Louisiana's Cajun Coast", in einer Radiosendung, die Stadt sei sowieso schon dem Ende nahe, da die Küste versinke. Sie wurde früher dem Schutz vor Überschwemmungen vom Fluss, später Profiten im Ölgeschäft geopfert. Der Golf von Mexiko kommt immer näher.

Fragt sich nur, wohin man dann zieht? Wo lebt es sich sicher? Auf einer neuen Webseite, die im Internet als Google Flood gehandelt wird, kann man den Meeresanstieg in Metern angeben. Und falls man sich dort im grünen Bereich wähnt, sollte man nicht vergessen: Vorher müsste das ganze Wasser erstmal herunterregnen.

Aber zum Glück ist das alles nur grüner Ökohype und Panikmache.