Eine riskante Welt der Schulden und unsicherer Banken

Seite 2: Zeit für das Schuldenmachen

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Doch was schlagen die IWF-Experten vor, um dem Problem zu begegnen? Sie fordern nun, dass die öffentliche Hand mehr Schulden machen soll, um eine wachstumsfreundliche Politik zu fördern. Dass der IWF angeblich vor einer "Schuldenfalle" warnt, wie angesichts der Veröffentlichungen in Deutschland groß berichtet wurde, ist völlig falsch. Denn nach Ansicht des IWF solle der Staat eine "aktivere Rolle" spielen. Länder mit einem "Spielraum" sollten diesen auch angesichts extrem niedriger Zinsen nutzen. So werden in dem Bericht schon im Titel "Schulden" gefordert, die "sinnvoll genutzt" werden sollen. Gefordert werden vor allem Investitionen in Infrastrukturstruktur. Als Länder mit einem finanzpolitischen Spielraum bezeichnet der IWF diejenigen, die ihre Ausgaben erhöhen oder ihre Steuern senken könnten, ohne die nachhaltige Finanzstabilität zu gefährden.

Natürlich ist damit auch Deutschland gemeint, wie die IWF-Chefin Christine Lagarde auch nicht verheimlicht. "Ich glaube, dass einige Länder Finanzspielräume haben, die sie nutzen sollten", sagte sie zum Beginn der Jahrestagung auf der Pressekonferenz in Washington. Sie nannte als Beispiele Länder "wie Kanada, wie Deutschland, wie Korea", womit sie vermutlich aber nur Südkorea meint. Jetzt sei "wirklich die richtige Zeit dafür", sagte die IWF-Chefin bei ihrer Forderung nach Investitionen auch mit Blick auf die günstigen Finanzierungsbedingungen, die aus der Nullzinspolitik und der Geldschwemme der Notenbanken rühren.

Für den Direktor der fiskalpolitischen Abteilung des IWF ist angesichts der derzeitigen Lage eines entscheidend: Wenn sich die Entwicklung der privaten Schulden auf einem ungesunden Weg befinde, "muss frühzeitig in diesen Prozess eingegriffen werden", erklärte Vitor Gaspar. Der frühere konservative Finanzminister Portugals, unter dem die Schulden in seiner Heimat unter dem Rettungsschirm und IWF-Aufsicht erst richtig explodiert sind, meint, es sei die beste Strategie, früh einzugreifen, um den Risiken von Finanzkrisen, der Finanzstabilität und einer Rezession vorzubeugen. Das sei die zentrale Aussage des Papiers mit einem Umfang von 40 Seiten, an dem Gaspar mitgearbeitet hat.

Deshalb warnt der IWF wegen der hohen privaten Verschuldung vor einem "Teufelskreis, in dem ein schwaches Wachstum den Schuldenabbau behindert und der Schuldenüberhang die Konjunktur belastet". So vergleichen die Experten die Entwicklungen in den USA mit einem relative starken Wachstum und der Eurozone, in der das Wachstum weiter schwach ist. Mit einem klaren Blick auf Europa wird erklärt, es sei "sehr schwierig, die Schuldenquote ohne starkes Wachstum zu verringern". Dazu komme, das Problem einer schwachen oder sogar negativen Inflationsrate. Denn mit Deflation, also fallenden Preisen, erhöht sich die reale Schuldenlast sogar zusätzlich, weshalb auch die Inflationsziele erreicht werden müssten.

Deshalb sollten über verstärkte Investitionen eine höhere Gesamtnachfrage geschaffen werden und die Kapazitäten der jeweiligen Wirtschaft erhöht werden. Da viele Länder derzeit praktisch umsonst an Geld kommen und wie Deutschland sogar zumeist nun noch dafür bezahlt werden, wenn sie Staatsanleihen ausgeben, sind die IWF-Ökonomen überzeugt, dass sich bei Investitionen in geeignete Projekte die Verschuldungsquote eines Landes mittelfristig nicht erhöhen werde. Denn mit den Investitionen wachse die Wirtschaftsleistung und das würde zu höheren Steuereinnahmen führen. Letztlich basiert diese gesamte Strategie darauf, dass die Zentralbanken weiter die Geldmärkte fluten und die Leitzinsen praktisch bei null belassen, was der IWF ausdrücklich empfiehlt.

Altbekannte Rezepte für hoch verschuldete Länder

Eine Strategie, wie Länder verfahren sollen, die wie die portugiesische Heimat von Gaspar schon eine hohe Verschuldung haben, vermisst man vollständig. Auf Nachfragen mit Blick auf Griechenland erklärte Gaspar, dass der IWF weiter auf eine Politik von "haushaltspolitischen Anpassungen" (sprich Ausgabenkürzungen) und "Strukturreformen" setze, die dort aber bisher alles andere als erfolgreich war. Die weiteren Kürzungen, die Arbeitsplätze kosten können, wie offen eingeräumt wird, schwächen die Konjunktur aber immer weiter. Sie stehen dem oben dargelegt Rezept zur angeblichen Verringerung der Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung aber klar entgegen. Wie also in Griechenland eine wachstumsfreundliche Politik gemacht werden soll, um die Schuldenquote wenigstens zu reduzieren, ist völlig unklar.

Zu seiner Heimat Portugal äußerte sich Gaspar nicht, wo die Linksregierung genau das versucht, allerdings anders als der IWF es fordert durch Beendigung der Austeritätspolitik (Austerität ist nicht alternativlos in Portugal). In Bezug auf Portugal musste der IWF aber gerade einräumen, dass seine "Rettungspolitik" nur "bedingt" erfolgreich gewesen sei. Auch für Portugal werden dennoch wieder nur verstärkt die Maßnahmen gefordert, die schon bisher nichts gebracht haben. Weil die Linksregierung aber nun einen anderen Weg geht, wird sie von denen scharf kritisiert, die wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem IWF gerne die Rezepte abkaufen ("Das einzige Land, das mir Sorge macht, ist Portugal").

So kam Lagarde letztlich auch nur erneut mit den altbekannten Rezepten, wonach die Ausgaben mit dem gleichen Budget auf die Erhöhung von Produktivität ausgerichtet werden müssten. Also sollen in Ländern wie Griechenland oder Portugal, die ihrer Ansicht nach keinen Spielraum haben, weiter Lehrer, Krankenschwestern … gekündigt werden, um "zum Beispiel Forschung und Entwicklung" zu fördern oder "Infrastruktur zu finanzieren", wie die IWF-Chefin meint. Dass das angesichts "niedriger Zinsen", die für Länder wie Portugal gar nicht so niedrig sind, gesamtgesellschaftlich wirklich sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Schließlich erhalten auch Arbeitslose Geld vom Staat. Tatsächlich, so zeigen Beispiele wie die Hauptstadt Madrid, ist ein anderer Weg möglich ist, mit dem man sich auch tatsächlich aus der Schuldenfalle befreien kann (Schulden als "Werkzeug zur Beherrschung" abbauen). Doch das genau will der IWF nicht, der damit eines massiven Druckmittels beraubt wäre.

Gaspar meinte mit Blick auf Griechenland nebulös nur, dass Reformen "realistisch" sein müssten. Was das heißen soll, sagte er nicht. Klar ist aber, dass das Land mit den IWF-Programmen in der Depression versenkt wurde. Um da wieder herauszukommen, fügte er an, müssten auf politischer Ebene eben die geplanten Einschnitte und Reformen durch einen "Schuldenschnitt von europäischer Seite" begleitet werden. Diese Position des IWF, dass andere auf einen guten Teil des verliehenen Geldes verzichten sollen, während der IWF seinerseits auf volle Rückzahlung der Kredite pocht, ist nicht neu.

Man könnte also verkürzt sagen, dass das Konzept des IWF folgendes vorsieht: Nachdem die Staatsschulden Griechenlands in den Jahren der "Rettung" unter Kontrolle des IWF auf fast 180% explodiert sind und illusorisch damit bis 2020 auf hohe 120% gesenkt werden sollten, aber vor allem auf die öffentliche Hand verschoben wurden, soll dem Land nun, weil die IWF-Rezepte gescheitert sind, ein guter Teil der Schulden gestrichen werden. Damit wäre der Staat wieder in der Lage, neue Schulden zu machen, und könnte darüber die Wirtschaft ankurbeln. Letzteres ist sogar unvermeidlich, da Griechenland diese Schulden niemals wird zurückzahlen können. Die wichtigste Konsequenz daraus wäre aber, die IWF-Rezepte zu beerdigen, die das Land, nachdem es in einer misslichen Lage war, in den Abgrund geführt haben. Und natürlich müsste sich die Organisation an dem Schuldenschnitt und damit an der Haftung beteiligen.